»Mutti – Mutti –« rief Pucki, »sieh nur, wie froh sie alle sind. – Sieh mal, dort der kleine Junge isst noch schneller als unser Harras! – Ach, Mutti, ich könnte immerzu tanzen!«
»Willst du nicht auch eine Waffel essen, Pucki?«
Pucki schüttelte den Kopf. »Die Kinderchen sollen sie alle essen! – Ach, Mutti, ich möchte, sie kämen jeden Tag her und futterten sich satt!«
Frau Sandler ahnte das Glück, das in dem Kinderherzen erwachte bei dem Anblick so vieler erfreuter Kinder. – Pucki stürmte durch den Garten, unbeachtet von all den Schmausenden, klatschte in die Hände und jauchzte immer wieder:
»Wie sie alle futtern – sie werden keinen Hunger mehr haben!«
Für sie selbst schien in dem großen Forsthausgarten kein Platz zu sein. Sogar auf Holzklötzen, die man herbeigetragen hatte, saßen die Kleinen. Doch was schadete das, es schmeckte allen, und man labte sich an der guten Milch, die Frau Sandler herbeibrachte. Und über den Kindern, hoch oben in den Zweigen der Bäume, sangen die Vöglein ihre Frühlingslieder.
Pucki lief nach der Gartenpforte und verfolgte mit den Blicken eine Amsel. »Nachher sind da viele Krümchen für euch da, dann habt auch ihr es gut!« rief sie.
»Wer hat es gut?«
Hedi Sandler fuhr herum, und ihr Gesicht hellte sich auf.
»Onkel Oberförster – guck mal, alle die Kinder da habe ich eingeladen.«
»Ja, was ist denn heute bei euch los, Pucki?«
»Die Kinder habe ich mir eingeladen, Onkel Oberförster.«
»Na, das ist ja eine recht große Gesellschaft. – Kann ich nicht auch eine Waffel bekommen? Sieh mal, das sind meine beiden Jungen, die zu den Ferien heimgekommen sind und noch ein Weilchen hierbleiben müssen, weil in ihrer Schule eine böse Krankheit ausgebrochen ist.«
Mit leuchtenden Blauaugen blickte Pucki unerschrocken zu den beiden Jungen auf. Der eine war hoch aufgeschossen, der andere bedeutend kleiner und ein wenig rundlich.
»Sind das deine Kinder, Onkel Oberförster?«
»Ja, das hier ist der Claus, der in der Prima sitzt, und das hier –«
Pucki lachte. »Ich weiß schon, Onkel Oberförster, das hier ist der große Claus, und das da ist der kleine Claus. Aber der große Claus gefällt mir besser als der kleine Claus.«
Claus Gregor, der Primaner, lachte belustigt auf bei den Worten des reizenden kleinen Mädchens.
»Warum gefalle ich dir denn nicht?« fragte Eberhard, der Vierzehnjährige.
»Mir gefällt der große Claus eben besser.«
»Bekomme ich dann auch eine Waffel?«
»Komm mal mit, ich werde die Minna fragen.« Pucki streckte die Hand aus und versuchte den Primaner in den Garten zu ziehen.
»Lass nur«, wehrte der ab, »wir wollen die Waffeln deinen kleinen Gästen nicht fortnehmen.«
»Komm nur ruhig mit in den Garten. Mutti hat gemeint, wir sollen nachher spielen, dann kannst du mitmachen.«
»Siehst du, Claus«, lachte der Oberförster, »nun hast du gleich eine Beschäftigung. Pucki wird dir schon zu tun geben.«
Der Primaner schien wenig Lust zu haben, mit all den kleinen Kindern zu spielen. Aber Pucki ließ seine Hand nicht mehr los.
»Nur ein bisschen, weil – ich dich doch so gern hab'!«
»Du kennst mich doch noch gar nicht.«
»Nein; aber jetzt kenne ich dich, und dich habe ich gern. – Ich habe aber auch den Harras gern. – Du musst dir mal den Harras ansehen.«
Frau Sandler, die noch im Garten umherging, um die vielen kleinen Gäste nach Möglichkeit zu bewirten, bemerkte den Oberförster mit seinen beiden Söhnen. Sie kam rasch näher und erstattete mit verlegenem Lachen Bericht über den unerwarteten Besuch, der sich heute im Forsthause eingefunden hatte.
»Es sollten nur einige bedürftige Kinder herauskommen, Herr Oberförster, aber Pucki hat wahrscheinlich die Einladung so ungenau gemacht, dass noch viele andere Kinder sich mit auf den Weg gemacht haben. Ich konnte sie doch nicht wieder fortschicken.«
»Du – großer Claus«, flüsterte Pucki, »das sind alles kleine Kinder, die furchtbar hungern. Aber heute sind sie satt.«
»Macht dir das Freude, Pucki?«
»Sehr große!«
»Du bist ein braves, kleines Mädchen.«
»Kommst du jetzt mit uns spielen, großer Claus? Ich rufe schnell ein paar Kinder, dann gehen wir in den Wald und spielen.«
Es gelang Claus Gregor nicht, sich fortzuschleichen.
»Bleibe nur hier«, lachte der Oberförster, »die kleine Pucki rechnet auf deine Hilfe. Lange wird es ja nicht dauern.«
Pucki hatte sich verschiedene Kinder zu einem Kreisspiel herangeholt. »Wir spielen nun ›Fuchs, du hast die Gans gestohlen.‹«
Hell und lustig erklangen die Kinderstimmen. Claus Gregor musste mitsingen. Und während man sich dauernd im Kreise drehte, tönte es durch den Wald:
»Fuchs du hast die Gans gestohlen,
Gib sie wieder her,
Sonst wird dich der Jäger holen
Mit dem Schießgewehr.«
Pucki sang das Lied bis zu Ende.
»Nimm, du brauchst nicht Gänsebraten,
Mit der Maus fürlieb!«
Da lachte der große Claus, hob Pucki auf seinen Arm und schwenkte sie einige Male hoch in die Luft.
Endlich kam Förster Sandler aus dem Walde heim und erklärte, es sei nun an der Zeit, dass die Kinder wieder heimgingen. Pucki bedauerte das auf das lebhafteste. Der heutige Tag war für sie eine einzige Freudenstunde gewesen, die sie gar gern noch länger ausgedehnt hätte.
»Wir kommen bald wieder«, klang es von vielen Kinderlippen.
»Ja, kommt mal recht bald!«
Frau Sandler warf ihrem Manne einen verzweifelten Blick zu, doch der winkte beruhigend mit der Hand. Es ging selbstverständlich nicht, dass öfters ein derartiger Massenbesuch das Forsthaus aufsuchte.
»Bist du nun glücklich?« fragte Pucki eine der Frauen, die mitgekommen war.
»Sehr glücklich, du kleines Mädchen. Du kannst dir nicht denken, wie schlimm es ist, wenn man Kinder hat, die manchmal hungern und frieren müssen.«
»Frieren musst du auch?«
»Sehr oft; wir sind arme Leute und haben kein Holz und keine Kohlen.«
»Oh –« jubelte Pucki, »Holz kannste kriegen! Mein Vati hat so viel Holz! Weißt du was, wenn ihr wiederkommt, dann sage ich es dem Vati und dem Onkel Oberförster. Der hat noch viel mehr Holz! Dem gehört alles Holz, das im Walde steht. Der Onkel Oberförster ist sehr gut.«
Für die gut gemeinten Worte des Kindes hatte die Frau nur ein Lächeln. Sie wusste genau, dass auch der gutmütigste Oberförster das Holz, das im Walde aufgeschichtet war, nicht verschenken durfte. Trotzdem nahm Pucki sich vor, den guten Onkel Oberförster bei der nächsten Gelegenheit darum zu bitten.
3. Kapitel: Heinzelmännchen an der Arbeit
»Au!«
Pucki steckte den Finger in den Mund, aus dem ein großer Blutstropfen hervorquoll. Seit Tagen bestickte sie einen Lampenteller. Es war eine ganz leichte Handarbeit, aber Pucki machte sie große Mühe, und oftmals wurde das Genähte wieder aufgetrennt, weil sie die Nadel nicht in die richtigen Löcher gesteckt hatte. – Nun ging das Geburtstagsgeschenk für den Vater seiner Vollendung entgegen. Es waren nur noch am Rande einige Stiche auszuführen, und am Donnerstag würde der fertige Lampenteller auf dem Geburtstagstisch des Vaters liegen.
Zu Puckis Füßen spielte die zweijährige Waltraut mit Bauklötzen. Auch sie schien schwere Arbeit zu haben, denn der Turm, der errichtet werden sollte, purzelte immer wieder zusammen. Schließlich fing Waldi an zu weinen und schleuderte einige der Bauklötzchen zornig gegen die Tür.
»Bist du artig!« herrschte Pucki die kleine Schwester an, »sonst steche ich dich mit der Nadel!«
»Waldi will einen Turm!«
»Waldi ist ein kleines, dummes Mädchen.«
»Waldi will einen Turm!«
»Dann baue ihn dir.«
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