In Rahnsburg war die Kleine nicht unbekannt. Ein Ehepaar, das des Weges kam, sprach Hedi an.
»Was machst du denn hier, Hedi? Wie geht es der Mutti? – Was hast du da für schöne Blümchen?«
»Die verkaufe ich.«
»So? – An wen denn?«
»An Sie«, rief Paul. »Wollen Sie welche haben!«
»Du verkaufst die Blumen?«
»Ja«, sagte Pucki ernsthaft, »der Vati hat doch kein Geld mehr, und meine Schuhe, die kaputt sind, müssen heil gemacht werden. Da will ich dafür Geld bekommen.«
Die beiden lachten belustigt. »Was willst du denn für die Vergissmeinnicht haben?«
Hedi zuckte die Schultern. »Ich muss soviel Geld haben, dass der Vati das kleine Schwesterchen bezahlen kann und dass er meine Schuhe machen lässt.«
Lachend nahm die Spaziergängerin zwei Zehnpfennigstücke aus der Börse und reichte sie dem Kinde.
»Du wirst dir sicherlich Bonbons dafür kaufen?«
Hedi strahlte. »Nein, das Geld bekommt der Vati, weil er doch keins hat.«
Inzwischen hatte Paul den Sack auf die Straße gelegt, griff mit beiden Händen hinein und hielt dem Ehepaar mehrere Blumen hin.
»Mir können Sie auch welche abkaufen.«
»Wie sehen denn die Blumen aus, mein Junge. – Sieh mal, diese hier haben ja kaum noch Blätter. Solche Blumen kaufe ich nicht.«
Grimmig warf Paul die Blumen zurück in den Sack und hob ihn auf die Schulter. »Na, dann nicht!«
Diese kleine Szene war von der Bäckersfrau beobachtet worden, deren Laden sich gerade an der Straßenecke befand.
»Kleine Hedi, willst du mir auch Blümchen verkaufen? Ich schenke dir ein Stück Kuchen.«
Sofort lief Pucki in den Laden und stellte das Körbchen auf den Tisch.
»Such dir welche aus!«
Die Bäckersfrau nahm Stiefmütterchen heraus und reichte der Kleinen ein Stück Kuchen.
Das Kind wartete ein Weilchen, dann sagte es mit leiser Bitte in der Stimme: »Du musst mir aber noch ein bisschen Geld für den Vati geben.«
Zu den zwanzig Pfennigen, die Pucki bereits hatte, wurde ein drittes Zehnpfennigstück gelegt. – Strahlend eilte das Kind zurück zu den Freunden und zeigte ihnen den verdienten Betrag.
»Wird sich der Vati aber freuen – nu haben wir viel Geld!«
Schließlich ging es zur Gärtnerei. Paul errechnete für seine Blumen eine stattliche Summe, er wollte mindestens sieben Mark einnehmen, denn sieben Mark kostete die Eisenbahn, die beim Kaufmann Römer im Fenster stand.
»Und ich kaufe mir einen Roller«, sagte Walter.
»Und ich das Ding vom Fleischer, das sich immerzu dreht und soviel Wind macht.«
Die Kinder kamen in die Gärtnerei. Pucki stellte artig das Körbchen mit den restlichen Blumen vor die Gärtnersfrau.
»Jetzt bringen wir dir viele Blumen, weil du doch für die Hochzeit welche brauchst. Die musst du uns abkaufen und uns viel Geld dafür geben, denn mein Vati hat kein Geld.«
»Hier hast du einen ganzen Sack voll Blumen – ich will sieben Mark haben!«
Mit diesen Worten schüttete Paul den Inhalt des Sackes vor die Gärtnersfrau hin. Wie sahen die armen Blümchen aus! Die meisten waren von den Stängeln abgebrochen, die anderen welk und zerzaust. Pucki blickte erschrocken darauf nieder.
»Oh, ihr armen, lieben Blümchen!«
»Was fällt euch denn ein, so mit den lieben Blumen umzugehen«, sagte die Gärtnersfrau erregt. »Wisst ihr nicht, dass alle Blumen der himmlische Vater zur Freude der Menschen wachsen lässt, dass man sie gut behandeln muss? Dieses zerdrückte Zeug kann ich nicht brauchen. – Haben eure Eltern gesehen, dass ihr die Blumen in den Sack stecktet?«
Paul schob die Unterlippe vor, während Walter und Fritz beschämt daneben standen. Sie hatten nicht geahnt, dass die Blumen durch eine derartige Behandlung verdorben würden.
»Da lobe ich mir dein Körbchen, Kleine. Deine Blumen will ich schon nehmen, obgleich ich sie auch nicht recht brauchen kann. Vergissmeinnicht und Stiefmütterchen habe ich selbst ausreichend.«
»Du hast doch gesagt, dass du Blumen brauchst?«
»Das verstehst du noch nicht, Pucki, dazu bist du noch viel zu klein, um zu wissen, welche Blumen ich brauchen kann und welche nicht. – Haben dir die Eltern gesagt, dass du mir die Blumen bringen sollst?«
»Nein, ich wollte dem Vati Geld besorgen, weil er keins hat.«
»Das ist sehr schön von dir, Pucki, doch in Zukunft wird es besser sein, wenn du daheim erst fragst. Nun hast du im Garten all die Vergissmeinnicht abgepflückt, die die gute Mutti so lieb hat. Es wird ihr gewiss nicht recht sein, dass du sie mir bringst.«
»Aber der Großmutti wird es recht sein und dem Vati.«
»Komm, Pucki, wir wollen fort!« rief Paul. Er stopfte die Blumen zurück in den Sack, zum größten Leidwesen Hedis, die noch manches Blümchen hervorzog und in ihr Körbchen legte.
»Wenn wir sie in Wasser stellen, werden ihre Augen wieder ganz hell«, meinte sie.
»Was soll ich dir nun für die Blumen geben, Pucki?«
»Ganz toll viel Geld!«
»Willst du es vernaschen?«
»Nein, dem Vati bringen.«
Die Gärtnersfrau gab Hedi fünf Fünfpfennigstücke, die das Kind sorgsam in die Schürzentasche steckte. Es glaubte sich nun sehr reich und konnte kaum die Freude des Vaters erwarten, die er haben würde, wenn sie ihm das viele Geld brachte.
Vor der Gärtnerei stellte Paul den Sack mit den Blumen in die Ecke, um ihn dort stehen zu lassen. Er hatte gar keine Lust, die Last zurück zum Wagen zu tragen und daheim noch Schelte zu bekommen, weil er so viele Blumen nutzlos abgerissen hatte.
Schließlich ging es heim. Die drei Buben waren sehr missmutig, weil sie von dem Verkauf gar nichts ernteten. Paul jammerte um seine Eisenbahn und wollte von Hedi einen Teil ihres Geldes haben. Doch die Kleine hielt ihre Geldstücke fest.
»Das ist doch für den Vati. Wenn er mal wieder viel Geld hat, sage ich ihm, dass er dir die Eisenbahn kaufen soll.«
Inzwischen hatte man im Forsthause das Verschwinden des Kindes bemerkt. Allzu unruhig war man darüber nicht, da die Sonne noch hoch am Himmel stand.
»Vielleicht ist sie im Wald beim Vater«, sagte die Mutter. »Hedi war in der letzten Zeit sehr brav, sie weiß, dass sie nicht fortlaufen darf.«
Eine halbe Stunde später kam das Kind. Die Augen strahlten, die Bäckchen glühten vor Freude.
»Wo warst du denn?«
»Ach, Mutti – wenn der Vati doch erst wieder hier wäre! Ich habe ihm so 'ne Freude gemacht wie noch nie. – Mutti, bist du traurig, dass ich die Vergissmeinnicht aus dem Garten verkauft habe?«
»Was hast du gemacht?«
»Lieber Gott, der Vati ist so ein armer Mann, weil ich meine Schuhe kaputt gemacht habe, und nun habe ich Geld verdient. – Großmutter, du hast doch gesagt, der Vati hat kein Geld. – Sieh mal her!«
Voller Stolz legte die Kleine die acht Geldstücke auf den Tisch. Ihr Stimmchen schnappte vor Jubel fast über, als sie rief:
»Das habe ich dem Vati eingesammelt – wie wird er sich freuen!«
Anfangs wollte die Mutter tadelnde Worte sagen, sie sah jedoch, wie glücklich ihr Kind in dem Gedanken war, dem Vater helfen zu können.
»Nicht wahr, Mutti, nu hat er wieder viel Geld, nu braucht er nicht traurig zu sein. Alle Leute haben mir Geld für die Blümchen gegeben. Weißt du, wenn der Vati wieder mal für ein Kindchen was bezahlen muss, gehe ich wieder nach Rahnsburg – dann gehe ich in jedes Haus und bringe Blumen.«
Frau Sandler nahm die Kleine und drückte sie zärtlich an sich. Was Hedi heute getan hatte, war aus gutem Herzen gekommen, und dafür durfte sie das Kind nicht schelten. Später musste sie Hedi freilich sagen, dass sie auf diese Weise kein Geld verdienen durfte.
Abends kam der Vater heim. Ehe er die Seinen begrüßen konnte, hing Pucki an seinem Halse.
»Vati, ich bin kein Pucki mehr, es geht auch nicht schlimm aus! Ich habe dir Geld gebracht, viel Geld. – Vati, jetzt bist du nicht mehr arm.«
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