[28]»Entscheidend ist […] nicht, ob der Organismus oder seine Teilsysteme die Fähigkeit verlieren, zentral gesteuert beziehungsweise integriert werden zu können, sondern ob er selber fähig ist, diese Steuerungs- und Integrationsleistungen auszuüben. Würden eines Tages Computer entwickelt, die – eine gespenstische Vision – fähig wären, nach Funktionsausfall des Gehirns dessen Integrationsfunktionen zu übernehmen und ihn wie einen lebendigen Menschen agieren zu lassen, würde das an dem Tod des auf diese Weise marionettenhaft von außen gesteuerten Menschen nichts ändern. Zum Vergleich: Ein fahruntüchtig gewordenes Auto wird nicht dadurch fahrtüchtig, daß ein außerhalb angebrachter Motor Antriebsleistung auf seine Räder überträgt.«8
Darauf können die Kritiker des Hirntodkriteriums wiederum erwidern, dass die funktionale Definition des Lebens es offenlässt, ob »die Organtätigkeit, deren irreversibles Aufhören den Tod darstellt, spontan sein muß und nicht als Leben zu rechnen ist, wenn sie künstlich induziert und aufrechterhalten wird«9.
Meiner Meinung nach stoßen wir an diesem Punkt der Auseinandersetzung auf die entscheidende Frage: Gehört es zum Begriff des Lebens, dass ein Körper die Lebensfunktionen ohne technische Unterstützung aufrechterhält? Diese Frage muss eindeutig mit Nein beantwortet werden, weil beispielsweise Menschen mit einem Herzschrittmacher oder Dialysepatienten zweifellos nicht tot sind. Also muss im zweiten Schritt gefragt werden, in welchem Maße die Vitalfunktionen unabhängig von [29]technischen Maßnahmen erfolgen können müssen, damit ein Körper als lebendig gelten darf. Erst wenn diese Frage überzeugend beantwortet ist, wird es meines Erachtens möglich sein, eine klare Grenze zwischen lebendigen und toten Menschen zu ziehen und endgültig zu entscheiden, ob die sogenannten Hirntoten tot sind oder nicht.
Die vorangegangenen Ausführungen könnten den Eindruck erweckt haben, dass die Zulässigkeit der Organentnahme bei »Hirntoten« ausschließlich davon abhängt, ob diese Menschen tatsächlich tot sind. Dieser Eindruck ist jedoch irreführend. Es darf nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass unter bestimmten Umständen auch die Organentnahme bei lebenden Menschen moralisch erlaubt sein könnte. Selbst wenn die sogenannten Hirntoten nicht wirklich tot sein sollten, dürfte also nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden, dass ihnen unter besonderen Umständen Organe zum Zweck der Transplantation entnommen werden könnten. Darüber sollte zumindest eine offene Debatte möglich sein, deren Ergebnis nicht im Voraus feststehen darf.10
Obwohl sich das Hirntodkriterium in der Praxis weitgehend durchgesetzt hat, hält die Debatte über seine Angemessenheit an. Da bei der Festlegung eines Todeskriteriums viel auf dem Spiel steht und seine Einführung weitreichende Folgen für das gesellschaftliche Leben hat, dürfte sich daran in naher Zukunft nichts ändern.
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