Viele der urban geprägten Gartenbewegungen wurden bereits ausführlich wissenschaftlich und publizistisch dargestellt und in ihren politischen, kulturellen, ökologischen, solidarischen, technischen, ästhetischen, architektonischen, raumplanerischen und weiteren Perspektiven reflektiert. Kurz, es wurde und wird bereits sehr viel Spannendes über das Phänomen des Stadtgärtnerns geschrieben. Der Anspruch des vorliegenden Buches ist es, vor allem zur Beantwortung der praktisch-gärtnerischen Fragen beizutragen: Wie kann man auch unter den speziellen Bedingungen von dichten Siedlungsgebieten biologischen Gartenbau betreiben? Welche samenfesten Sorten, welche Gefäße und welche Substrate sind dafür geeignet? Wie schon bei den beiden letzten Handbüchern zur Samengärtnerei und zu Biogemüseraritäten haben auch bei diesem Buch zahlreiche Arche Noah-Mitglieder freizügig Tipps aus ihrem oft langjährigen Erfahrungsschatz zur Verfügung gestellt und viele spannende Hinweise zum Anbau von Gemüse in Pflanzgefäßen gegeben. Das Buch führt diese Erfahrungen zusammen und ergänzt sie mit Porträts von kleinen Gärten in Berlin, London, Wien und Amsterdam.
Da die Stadtgärtnerei jenseits der klassischen Schrebergärten ein eher junges Phänomen ist und für viele Menschen den Einstieg in den Gemüse- und Kräuteranbau bedeutet, will auch dieses Buch besonders benutzerfreundlich, leicht verständlich und nachvollziehbar sein. Es soll Motivation, Inspiration und Hilfestellung für den Anbau auf Balkon und Dachterrasse, in Hochbeet, Schulgarten und Blumenrabatte bieten.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Freude mit diesem Buch, erfolgreiches Gärtnern und genüssliches Verspeisen!
Beate Koller, Arche Noah
Dieses Buch war eine große Herausforderung. Das Thema, ob und wie man auch ohne Garten gärtnern kann, beschäftigt viele. Es gibt mehr Fragen als Antworten, und an vielen Orten wird gleichzeitig drauflosgegärtnert. Die neue Gartenbewegung – nein, die vielen neuen Garteninitiativen – in den Städten sind erst wenige Jahre alt. Für viele Fragen gibt es noch keine „Standardangaben“. Das besonders Spannende am Schreiben dieses Buches lag genau darin: zusammenzuführen und zu vernetzen; z.B. das vollautomatische, selbstgebaute Bewässerungssystem aus London, das nach Anleitungen einer Garteninitiative aus Kanada eingerichtet wurde, mit den Erfahrungen meiner Nachbarin hier in Schiltern, wie Tomaten am besten in großen Kübeln gezogen werden. Ja, die schönsten Paradeiser, die ich bei der Recherche für dieses Buch gesehen habe, wuchsen drei Häuser weiter, wie ich nach meiner Rückkehr aus Amsterdam und London überrascht feststellte. Viele Erfahrungen in diesem Buch stammen von GärtnerInnen, die schon seit vielen Jahren am Balkon Gemüse anbauen. Dieses Zusammenführen braucht Ruhe und einen klaren Kopf: Vielen Dank an meinen Mann Gebhard Kofler und unsere beiden Kinder für ihre Unterstützung, mich so viel in Ruhe werken zu lassen. Und es braucht viel Zeit: Vielen Dank an den Löwenzahn Verlag, der meine Recherchen zu diesem Thema ermöglicht hat, und an die geduldigen Mitarbeiterinnen im Verlag – allen voran Anita Winkler, die ich immer wieder mit der Abgabe des Manuskriptes vertrösten musste. Vielen Dank an die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Vereins Arche Noah, die sich mit so großer Begeisterung in dieses Thema geworfen haben: Maria Hagmann für ihre kritische Durchsicht. Franco Baumeler, dem Gartenleiter der Arche Noah, und seinem Team für das Mitbetreuen der bepflanzten Gefäße. Allen, die meine vielen Fragen beantwortet haben, und ein besonderes Dankeschön an alle so erfahrenen FestlandgärtnerInnen, die beim Thema Gemüsegärtnern in Pflanzgefäßen erstmals daran dachten, was alles nicht funktionieren kann. Danke an Reinhild Frech-Emmelmann von ReinSaat, die sich die Mühe gemacht hat, von vielen Gemüsen balkontaugliche Sorten zu empfehlen.
Möge dieses Buch zu neuen Methoden des Gemüseanbaus motivieren. Möge es Freude und Sinn stiften, offene Fragen beantworten und neue Fragen entstehen lassen. Danke den Gärtnern und Gärtnerinnen, die mir und uns die so konstruktive Auseinandersetzung mit diesem Thema ermöglicht haben, die sich so freizügig an der Entstehung dieses Buches beteiligt und mir ihre Erfahrungen geschrieben haben oder die ich in ihren Gärten besuchen durfte.
Andrea Heistinger
Schiltern, im Dezember 2011
Treffpunkt Garten
Wenn Menschen etwas tun, was sie noch nie zuvor getan haben, kann Neues in die Welt kommen. Wenn Menschen gärtnern, die zuvor noch nie gegärtnert haben, tun sie das mit einem neuen Blick, mit neuen Handgriffen, mit neuen Begrifflichkeiten. (Wer von uns „gelernten“ GärtnerInnen wusste schon, was ein DIY-Gefäß ist? Eine Antwort darauf finden Sie im Kapitel „Jungpflanzen selber ziehen“.) Neo-GärtnerInnen denken auf ihre Art und Weise über das Gärtnern nach, mit einem unverschulten Blick. Oft wird im neogärtnerischen Überschwang auch gar nicht lange überlegt, sondern einfach drauflosimprovisiert. Pflanzgefäße werden aus den Materialien des Alltags geformt, Vogelabwehr-Installationen aus Videobändern geknüpft oder die Zeitung von gestern als Mulchschicht aufs Gemüsebeet aufgebracht. Vieles bewährt sich und stellt sich als äußerst praktikabel heraus, was vorher schlicht und einfach auf dem Müll gelandet wäre: Milch- Tetra-Packungen, um darin Schnittlauch anzubauen, oder Joghurtbecher, um darin Jungpflanzen zu ziehen. Vieles erleidet auch Schiffbruch. Auch das ist im Garten möglich; das Scheitern gehört dazu. Manches verzeihen die Pflanzen, anderes nicht. Aber dann weiß man für die nächste Pflanzsaison, was man anders machen muss. Viele der StadtgärtnerInnen, die wir bei der Recherche für dieses Buch kennengelernt haben, sind absolute Neo-GärtnerInnen. Sie pflanzen mit viel Neugier, Improvisationslust und Erfindungsreichtum. Jeder und jede auf seine Art und Weise. Das macht das Thema so besonders spannend.
In den letzten Jahrzehnten ist die Produktion von Lebensmitteln mancherorts fast unbemerkt aus den Städten ausgewandert. Gleichzeitig zogen immer mehr Menschen vom Land in die Städte. Ihre Eltern waren vielfach noch Bauer oder Bäuerin – zum Beispiel in Österreich in den 1960er Jahren noch jeder und jede Vierte – oder hatten zumindest einen kleinen Nutzgarten. Erst in den 1970er Jahren wurde es „modern“, Nutzgärten durch Rosen, Rasen und Thujen zu ersetzen, lebten und arbeiteten die Neo-StädterInnen abseits der Landwirtschaft. Nun kommen die Nutzpflanzen in die Städte, und dies in einem rasanten Tempo. An vielen Orten gleichzeitig suchen Menschen nach Möglichkeiten, Gemüse und Kräuter anzubauen und Städte und ihren unmittelbaren Wohnund Lebensraum grün, nutzbar und ertragreich zu machen. Und auch „am Land“ wird wieder mehr Gemüse angebaut, auch hier haben viele Menschen „nur“ einen Balkon oder eine Terrasse dazu zur Verfügung.
Die Motive für das Gärtnern in der Stadt mögen grundverschieden sein, vielleicht sogar konträr: Die einen graben Flächen in der Stadt um, weil sie sich gute Lebensmittel anders nicht leisten können, während andere es gerade schick finden, neben den Geranien auch Salat im Balkonkistchen anzubauen. Mancherorts bauen Menschen Gewürzkräuter im kleinen Vorgarten an, die sie aus ihren Herkunftsländern mitgebracht haben und die in den Geschäften sonst nicht erhältlich sind. Viele gärtnern, um ihre Kinder mit den Lebensrhythmen der Natur vertraut zu machen oder um in Gemeinschaftsgärten Freunde und Freundinnen oder Nachbarn zu treffen. Die neue Gartenbewegung ist gleichermaßen politisch wie ökologisch motiviert, und sie lässt sich nicht über einen Kamm scheren. Aber das Gärtnern bringt Menschen zusammen, die sonst nicht zueinander gefunden hätten, es verbindet und schafft eine gemeinsame Sprache. Gärten in der Stadt entstanden oft auf Flächen, die zuvor unattraktiv und verwahrlost waren und als Durchgangs-, aber nicht als Aufenthaltsort genutzt wurden: Nebenflächen von U-Bahnen, kleine Grünflächen, die zuvor als Hundeklo dienten; in engen Hinterhöfen oder auf verwilderten Flächen. Genauso auf Balkonen und Terrassen, auf denen zuvor ausschließlich zur Zierde gegärtnert wurde. So entstehen an vielen Orten gleichzeitig wie kleine Lauffeuer kleine gesellschaftliche Urknalle. Bewegungen, die Neues in die Welt bringen, und dies auf äußerst fruchtbare Art und Weise. Viele der Gärten, die wir auf der Recherchereise für dieses Buch besucht haben, waren gerade einmal ein oder zwei Jahre alt, angelegt von Menschen, die gerade dabei sind, das Gärtnern zu erlernen. Vieles ist aus fachlicher Sicht „falsch“. Doch die neue Gartenbewegung ist kreativ und enorm lernfähig. Versuch und Irrtum bringen in großer Geschwindigkeit neue Anbaumethoden hervor. Es gibt kaum Bücher oder standardisierte Handlungsanleitungen. Die neue Stadt- und Topfgartenszene gärtnert einfach drauflos. Sie filmt die Wachstumsversuche und stellt die Videos auf You-Tube, tauscht in Blogs Erfahrungen aus; manche messen und wiegen den Ertrag der Pflanzgefäße wöchentlich und wetteifern übers Internet, wer bis zum Jahresende den produktivsten Balkon hatte. Durch diese Form der Vernetzung werden neue Ideen, Infos über bewährte Rankhilfen oder Düngemittel, Kompostierungsmethoden und Methoden, um Gießwasser zu sparen, in Windeseile und freizügig weitergegeben.
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