Unsere Hochzeit war zugleich ein Abschiedsfest, denn ein paar Wochen später sollte unsere große Fahrt beginnen. Mit nur zwei Flugtickets in der Hand, aber einem Herzen voller Abenteuerlust begaben wir uns auf unsere Hochzeitsreise, um die Welt zu entdecken.
Klara: Meine allererste Begegnung mit dem Thema Radreisen war sehr imposant: Während meiner ersten längeren Reise sitze ich, neunzehnjährig, an einem verregneten Tag in der Küche einer neuseeländischen Jugendherberge, da schwingt mit lautem Gepolter die Tür auf und eine hünenhafte Gestalt tritt in Erscheinung. Mit deutschem Akzent beginnt die vollkommen durchnässte, mindestens 180 Zentimeter große Radfahrerin auf Englisch von ihrer Odyssee im strömenden Regen zu erzählen, während sich am Boden eine immer größer werdende Wasserlache bildet. In meinem Kopf wiederum bilden sich viele Fragezeichen: Wie kann man bloß freiwillig mit dem Fahrrad unterwegs sein, noch dazu bei diesem Wetter? Wie läuft so eine Radreise überhaupt ab? Und wie, um Himmels willen, kann so was jemandem Spaß machen? Obwohl die mit großen Gesten untermalten Ausführungen wie: „Die letzten Kilometer schüttete das Wasser direkt in meinen Jackenkragen und lief mir dann bei den Hosenbeinen wieder heraus“ eigentlich sehr denkwürdig erscheinen, vergaß ich diese Begegnung letztendlich doch wieder schnell. Die Zeit war noch nicht reif. Auch Jahre später, auf einem Roadtrip in die Mongolei, konnte ich mir nicht vorstellen, jemals auf diese Art und Weise zu reisen, denn beim Anblick eines österreichischen Pärchens, das sich auf Rädern in Zeitlupe durch den kasachischen Wind und die eintönige Steppe kämpfte, schwor ich Florian hoch und heilig, so etwas niemals zu tun. Niemals!
Es war also nicht die Begegnung mit diesen Tourenradlern, die mich dazu brachte, 2009, nur ein Jahr später, mit einem provisorisch beladenen Mountainbike für ein paar Wochen durch das schwedische Gotland zu radeln. Es war – natürlich – meine große Liebe Florian. Nachdem er mich, ich weiß nicht wie, überredet hatte, eine Radreise mit ihm zu unternehmen, hatte er leichtes Spiel: Die Mischung aus Fährfahrten, Kaffeepausen, wunderschöner Landschaft und der Möglichkeit, in den Tag hinein zu leben, begeisterte mich. „Das macht Spaß, und zwar so richtig!“, stellte ich verblüfft fest.
Klara: Wir beide hatten schon immer einen gemeinsamen Traum: für längere Zeit verreisen. Nun ist der ideale Zeitpunkt für eine große Reise aber gar nicht so leicht zu finden: Entweder mangelt es an Zeit oder an Geld oder an beidem, und ehe wir uns versahen, vergingen die Jahre, ohne unseren Traum verwirklichen zu können.
Flo: Und wie die Zeit verging! Der Radreisevirus hat auch mich – allerdings bereits etwas früher – erwischt. Die erste Ausfahrt mit meinen Brüdern durch das regnerische Irland war dabei das Schlüsselerlebnis. Auf behelfsmäßig ausgestatteten Rädern, mit Plastiksäcken als Packtaschen und Folien als Regenschutz (wenn ich jetzt die Fotos sehe, amüsiert mich unser Anblick köstlich), ein Land zu erkunden hat etwas Einfaches an sich. Etwas, nach dem ich mich im Alltag so oft sehnte. Jeden Tag intensiv zu erleben und sich dabei nur um Banales wie Essen, Routenverlauf und einen Schlafplatz zu kümmern, reduziert das Leben auf das Wesentliche. Viel braucht es nicht, um glücklich zu sein. Süchtig nach den Momenten des unbekümmerten Reisens, wurden die Ausfahrten in den folgenden Jahren ausgedehnt, und zum Glück bedurfte es nicht viel an Überzeugung, die Frau meines Lebens mit diesem Reisevirus anzustecken.
Als ich Klara nach elf gemeinsamen Jahren fragte, ob sie meine Frau werden möchte, und sie freudestrahlend bejahte, kamen wir zu dem Schluss: jetzt oder nie! Eine ausgedehnte Hochzeitsreise bot sich an. Gibt es überhaupt einen schöneren Grund, endlich gemeinsam aufzubrechen, als eine Heirat?
Klara: Noch bevor wir im Mai 2012 heirateten, buchten wir Flüge nach Island und von dort aus nach New York. Wie es dann weitergehen würde, wollten wir erst auf dem Weg entscheiden. Die Zeit verging wie im Flug und erst nach unserer Hochzeit stand uns der Sinn nach genaueren Vorbereitungen. Dafür hatten wir knapp zwei Monate, in denen ich mein berufsbegleitendes Studium abschloss, wir unsere Jobs kündigten, unsere Wohnung aufgaben und unser gesamtes Hab und Gut verstauten. Mir fiel es schwer, mich auf diese große Reise einzustellen – ich hatte einfach zu viel um die Ohren und mein damaliges Leben schien auch so sehr erfüllend zu sein. Fast ertappte ich mich, etwas zu zweifeln. Tränen der Rührung überkamen mich, als wir uns von unseren Lieben am Bahnhof verabschiedeten. Ich war hin und her gerissen zwischen Abschiedsschmerz und Vorfreude auf das Ungewisse. So lange hatten wir von dieser Reise geträumt. In ein paar Stunden sollte unser Abenteuer beginnen!
ISLAND
DER BEGINN EINER UNVERGESSLICHEN REISE
ZWEIFEL |
15. Juli 2012, 22:00 Uhr |
Klara: Großartig! Seit Monaten, nein, seit Jahren – mindestens einem gefühlten Jahrzehnt – ordneten Flo, mein Neo-Ehemann, und ich beinahe alles dem Wegfahren unter. Bei wichtigen Entscheidungen begannen die Begründungen für oder gegen etwas meist mit „Wenn wir dann wegfahren … “ . Ob es sich dabei um das unverwüstliche, vererbte Achtzigerjahre-Retrogeschirr im schrägen Grau-Rosa-Muster meiner Eltern handelte, das wir nicht durch neues ersetzten, denn „wenn wir dann wegfahren , müssten wir das neue Geschirr sowieso einlagern, da entsorgen wir das alte lieber vor der Reise“, um die Wohnungswahl („lieber die kleine günstige, nur, bis wir dann wegfahren … “ ) oder gar um den Hochzeitstermin („im Mai, dann kommen wir zur warmen Saison nach Island und in die Staaten“), im hintersten Eckchen unserer Gehirnwindungen stand fest: Eines Tages kommt der Zeitpunkt der Abreise!
Nun ja, endlich ist es so weit. Und wir? Lungern übermüdet, strapaziert und mies gelaunt in der Abflughalle. So habe ich mir das aber nicht vorgestellt. Florian sichtlich auch nicht. Jetzt kommen sie, die Zweifel: Lohnt sich der Mega-Aufwand? Wozu tun wir uns das eigentlich an? Hätten wir nicht doch lieber eine Eigentumswohnung samt Golden Retriever kaufen sollen? Ist unsere Ära als hygieneresistente Lowbudget-Radreisende eventuell unbemerkt vorübergegangen? Aber nein, wir plagen uns nicht nur selbst mit diesen Fragen, sondern laden unseren Unmut als Draufgabe auch noch beim anderen ab und machen uns gegenseitig für etwaige Unbehaglichkeiten verantwortlich. Ich frage mich zum Beispiel, ob sich Florian nach unserer Hochzeit (von mir unbemerkt) zum fahrradfetischistischen Pedanten entwickelt hat. Natürlich, er hat die Räder wunderbar und bis ins kleinste Detail auf Vordermann gebracht, aber dass er jetzt so übergenau ist?! Pah … Flo wiederum scheint von mir momentan auch nicht gerade besonders angetan zu sein. Bloß weil ich es nicht einmal hinkriege, das Pedal für den Flug abzuschrauben. Und dann motz ich auch noch blöd?! Ach … Wohin geht die Reise!?
Klara: „Jetzt kann es losgehen“, denken wir uns. Los geht aber vor allem unsere totale Erschöpfung. Wie bei jedem unserer Urlaube – vom kurzen Wochenendausflug bis hin zu eben dieser Weltreise – gestaltet sich die Abreise superchaotisch. Das scheint bei uns zu einer perfekten Reise anscheinend dazuzugehören. Zigmal verabschieden wir uns von unseren Freunden und Familien, verstauen die letzten Habseligkeiten und machen die Räder bis in die frühen Morgenstunden reisefit. Nach einem wirklich allerletzten gemeinsamen Essen mit meinen Eltern (das wir mit einem 50-Euro-Hochzeitsgeschenkgutschein begleichen und das zufällig auf den Cent genau 50 Euro ausmacht) werden just in time auch noch unsere, bei Flos Elternhaus vergessenen Fahrradwimpel in einem ÖBB-Zug von einem verständnisvollen Schaffner nachgeliefert.
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