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Schatzsuche im Walenseeschloss
Michael Weikerstorfer
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Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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© 2020 – Papierfresserchens MTM-Verlag GbR
Mühlstraße 10, 88085 Langenargen
Telefon: 08382/9090344
Alle Rechte vorbehalten. Taschenbuchausgabe erschienen 2017.
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.
Titelbild: Abdulah Polić
Lektorat: Redaktions- und Literaturbüro MTM
ISBN: 978-3-86196-672-2 - Taschenbuch
ISBN: 978-3-96074-236-4 - E-Book (2020)
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Reisepläne
Die Ankunft
Das Walenseeschloss
Der Turm
Die restlichen Schlüssel
Der Schatz
Epilog
Das Walenseeschloss im Modell
Der Autor
Unser Buchtipp
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Müde saß Paul in einem der gemütlichen Lehnsessel der Hotellounge. Obwohl er letzte Nacht nicht geschlafen hatte, wollten seine Augen nicht zufallen. Das gelbliche Licht, das von den altmodischen Lampen an der Decke auf sein Gesicht herabschien, wirkte zwar beruhigend, aber nicht einschläfernd. Das einzige Geräusch, das er vernehmen konnte, war das dumpfe, gleichmäßige Ticken einer riesigen Hoteluhr, die über der Eingangstür hing.
Paul schloss die Augen und versuchte, das Ticken auszublenden. Doch es würde bestimmt nicht viel bringen, wenn er jetzt schlief, schließlich war der Vormittag schon fast wieder zu Ende. Seufzend grub er sich tiefer in den weichen roten Stoff des Lehnsessels und versuchte, sich etwas auszuruhen.
„Hey, nicht einpennen! Aufstehen! Komm schon, du fauler Sack! Ich hab was gefunden!“, brüllte plötzlich jemand völlig aufdreht in sein Ohr.
Genervt schlug Paul die Augen auf. Sein Cousin Fritz stand vor ihm und wedelte mit einer Reisebroschüre vor seiner Nase herum.
Ach ja, das hätte er fast vergessen. Dieser verrückte Fritz war ja auch hier. Dessen Eltern waren eine Woche lang auf einer Tagung, deshalb musste Paul in dieser Zeit auf ihn aufpassen. Zu viert hatten sie die letzten paar Tage in diesem Viersternehotel in Hall in Tirol verbracht. Sie hatten nichts Besonderes gemeinsam unternommen, bevor Fritzʼ Eltern schließlich abgereist waren. Schon seit zwei Tagen waren die beiden Cousins in diesem Hotel auf sich alleine gestellt.
Fritz war mit seinen 14 Jahren zwar nur vier Jahre jünger als er, verhielt sich aber Pauls Meinung nach wie ein Zwölfjähriger.
Deshalb war er auch der Ansicht, dass es klüger wäre, wenn er die restliche Zeit mit ihm in diesem Hotel verbringen würde. Denn wer wusste schon, was Fritz in einem ungünstigen Zeitpunkt bei ihm zu Hause in Innsbruck anstellen könnte ...
„Was willst du denn jetzt schon wieder?“, fragte Paul gähnend. Er spürte schon wieder das dumpfe Brummen in seinem Schädel, das vermutlich von den Cocktails der letzten Nacht verursacht wurde.
„Hier, schau mal, was ich in dem Ständer mit den Reisevorschlägen gefunden habe“, sagte Fritz aufgeregt, während er das Cover der Broschüre vor Pauls Gesicht hielt. Darauf war ein Schweizer Bergsee zu erkennen. Er hatte eine längliche Form und wurde an beiden Seiten von hohen, verschneiten Bergen flankiert.
„Das ist der Walensee im Kanton St. Gallen in der Schweiz“, sprudelte Fritz los. „Hier steht, dass diese Gegend das ideale Reiseziel für Wanderer ist. Und du hast mir versprochen, dass wir in dieser Woche eine Wanderung unternehmen. Wenn wir mit dem Zug fahren, sind wir in drei Stunden und 40 Minuten dort!“
„Warte, jetzt mal langsam. Wieso willst du ausgerechnet dorthin? Wir können doch auch hier in Tirol wandern.“
„Ach ja, das hätte ich fast vergessen! Siehst du dieses Schloss da?“ Fritz deutete auf eine felsige Insel, die sich mitten im See befand. Darauf erhob sich eine gewaltige mittelalterliche Burg mit besonders vielen hohen und spitzen Türmen.
„Und was ist das für ein Schloss?“, wollte Paul wissen.
„Ha!“, schrie Fritz völlig außer sich. „Genau das ist es eben! In der ganzen Broschüre wird diese Burg nicht erwähnt.“
„Jetzt schrei doch nicht so laut“, beschwerte sich Paul. „Du weißt gar nicht, wie sehr mein Schädel schon schmerzt.“
„Aber, Paul, jetzt hör mir doch mal zu!“, sagte Fritz ungeduldig und nahm auf einem Lehnsessel neben ihm Platz. „Ich habe die ganze Zeit, während du gepennt hast, im Internet nach diesem Schloss gesucht. Und weißt du was? Ich habe nichts gefunden. Keine einzige Information. Nur Hunderte Fotos, auf denen der Walensee zu sehen ist. Und bei keinem dieser Fotos wird erklärt, was es mit dem Schloss auf sich hat. Findest du das nicht auch ... mysteriös?“
„Also, ehrlich gesagt, ist mir das so was von egal“, murmelte Paul schläfrig.
„Ach komm, es wird noch spannender“, fuhr Fritz unbeirrt fort. „Siehst du diese Hängebrücke, die vom Berg zur Insel hinüberführt? Über diese Brücke können wir in das Schloss gelangen und darin nach Schätzen suchen.“
„Warte ... was?“, rief Paul verwundert. „Du willst wirklich in diese baufällige Bruchbude hineingehen? Ist das dein Ernst?“
„Ach, so baufällig ist die Burg doch gar nicht. Das sieht auf dem Foto nur so aus“, meinte Fritz. „Ich weiß schon genau, wie wir dorthin kommen. Wir fahren einfach mit dem Zug vom Bahnhof Hall in Tirol bis zur Ortschaft Ziegelbrücke. Von da sind es mit dem Bus nur noch 40 Minuten nach Amden, wo wir in einem Hotel übernachten können. Und am nächsten Tag wandern wir zur Hängebrücke und besichtigen das Schloss. Ist das nicht fabelhaft?“
Paul überlegte kurz. Er konnte sich daran erinnern, dass die Eltern von Fritz ihm vorgeschlagen hatten, dass er mit ihm im Laufe der Woche etwas unternehmen sollte. Und da ihm selbst nichts Besseres einfiel, war die Idee von Fritz vielleicht gar nicht so schlecht.
„Na gut“, stimmte Paul zu und warf einen Blick auf die Hoteluhr. Es war kurz nach elf Uhr morgens. „Heute nach dem Mittagessen fahren wir zum Bahnhof.“
„Abgemacht!“, sagte Fritz begeistert. „Aber wir können auch zu Fuß gehen, es ist ja nur ein Katzensprung.“ Als er hörte, wie Paul seufzte, fügte er hinzu: „Ach komm schon, das schaffst sogar du mit deinen hundert Kilo!“
„Hey, sei ruhig, so viel wiege ich schon seit mehreren Monaten nicht mehr!“
„Ja, ja, träum weiter“, meinte Fritz seelenruhig und stand auf.
Während er davonging, bereute Paul, dass er ihn nicht für seinen frechen Kommentar geohrfeigt hatte.
***
Simone saß am Schreibtisch in der privaten Bibliothek ihres Vaters. Die alte Standuhr im Eck zeigte vier Uhr nachts an, die Fensterläden waren verschlossen. In der Bibliothek herrschte Dunkelheit, nur das gelbliche Licht der Schreibtischlampe ließ unheimliche Schatten zwischen den Bücherregalen erscheinen. Der Computermonitor flimmerte vor Simones müden, trockenen Augen. Neben ihr stand eine bereits mehrfach geleerte Kaffeetasse, der Rest des Tisches war zugedeckt mit unzähligen Unterlagen, Büroartikeln, Papierkram und einem ganz besonderen Gegenstand, mit dem sie sich während der letzten nächtlichen Stunden beschäftigt hatte: einem uralten, in Leder gebundenen Buch. Es war tief unter einem Haufen anderer Bücher versteckt gewesen, die unter einem der Regale verstreut lagen.
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