1 ...6 7 8 10 11 12 ...19 Aber ein wenig neugierig wurde sie durch Aumes Ankündigung schon. Ehe sie losging, wollte sie noch loswerden, was sie auf dem Herzen hatte.
»Aume, hast du Zugriff auf mein Kath-Geschenk?«
»Nein. Und du hast es mit deinem eigenen Datenleser aufgerufen. Ich könnte den knacken. Ich respektiere aber deine Privatsphäre. Etwas Wichtiges gefunden?«
Sollte sie das glauben, das mit der Privatsphäre?
Sie beschloss, das Spiel mitzuspielen. Sich dieser Illusion nicht hinzugeben, war etwas verstörend.
»Ich habe etwas gefunden und wir alle sollten darüber reden.«
»Dann komm auf die Brücke.«
Thasri erhob sich, stopfte den Datenspeicher in ihre Tasche. Die Sucht ließ nach und machte neuer Entschlossenheit Platz. Ihre Suche hatte einen Sinn, sie ertrank nicht in der Ekstase der Erkenntnis. So war es besser.
»Ich bin schon unterwegs.«
Als Thasri die Brücke betrat, war sie die Letzte, die die Neuigkeit mitbekam, an der alle anderen bereits mit unterschiedlicher Begeisterung kauten. Aume aber war nicht überrascht. Ihre Menschenkenntnis, unterstützt durch ein sehr effektives neurales Netzwerk, wuchs stetig an. Es gab immer weniger Unerwartetes für sie.
Darius und sein Freund Sol reisten ab. Es war keine wirklich spontane Entscheidung. Der Prinz, sich seiner eigenen Bedeutung nun vollends gewahr, gehörte nicht zu jenen, die mitliefen, egal wie bescheiden er sich auch gab. Er hielt sich für jemanden, der handelte und Verantwortung übernahm. Die Gene einer langen Linie von Gewaltherrschern ließen sich nicht verleugnen, und wer nicht an die Macht der DNA glaubte, dann vielleicht an die einer Sozialisation. Aume war mit beidem zufrieden. Sie verstand Darius und aus diesem Verständnis erwuchs der eklatante Mangel an Überraschung.
Es musste lange im Prinzen gekocht haben. So lange und tief verborgen, dass es selbst Aume eine ganze Weile verborgen geblieben war, die alles sah, alles hörte und deren Erkennungsroutinen für menschliche Mimik und Gestik eine nahezu perfekte Qualität erreicht hatten. Doch dann, kurz nachdem sie sich endgültig zum Aufbruch entschlossen hatten, um das Elend nicht länger mit ansehen zu müssen, hatte er es angekündigt. Es war kein Vorschlag gewesen. Eine Entscheidung, nachvollziehbar, von klarer Motivation und dennoch unvorhergesehen für alle anderen, nicht zuletzt, da sie alle begriffen, wie dieser Schritt beide Männer ins Verderben zu führen in der Lage war.
»Mein Vater muss die Kontrolle verloren haben – entweder über sich oder über das Imperium, und ich weiß nicht, was von beidem schlimmer ist«, waren seine einleitenden Worte gewesen und es folgten weitere, eine Art Rechtfertigung, gewiss eine Erklärung, aber vor allem ein Weg, sich noch einmal selbst davon zu überzeugen, dass dieser Schritt der richtige war. Menschen brauchten das, so hatte Aume gelernt. Sie warben um Legitimation. Selbst brutale Diktatoren gierten nach ihr, einer höheren Bestätigung, die ihre persönlichen Motive vertretbar machten.
Aume fand das eher schwierig.
»Es ist gefährlich«, sagte Vocis unnötigerweise, offenbar erfüllt vom Beschützerinstinkt einer imperialen Soldatin, die von früh an darauf konditioniert worden war, ihr Leben für die Herrscherfamilie hinzugeben, egal welche Bedrohung sich ihr in den Weg stellen sollte. Sie konnte nichts dagegen tun, aller Selbstkontrolle zum Trotz, denn die Psychomechaniker der Ausbildungseinheiten verstanden ihr Geschäft. Noch mehr Sozialisation.
»Ich bin mir der Gefahr bewusst, aber ich kenne mich im Zentrum der Macht aus«, erwiderte Darius begütigend, wohl wissend, dass Vocis dieser Beruhigung zur Wahrung ihrer geistigen Stabilität bedurfte. »Ich nehme Sol mit, denn er hat Talente, die mir helfen werden.«
Sol nahm diese Bemerkung zum Anlass, selbstgefällig zu grinsen, das erste Mal seit geraumer Zeit, dass er zufrieden wirkte.
»Wie wollen Sie vorgehen?«, fragte Plastikk, wie stets an den praktischen Aspekten ihrer Absichten interessiert.
»Ich kenne Leute. Solche, die meinen Ansichten zugeneigt sind. Ich werde mit ihnen Kontakt aufnehmen. Und ich werde mit meinem Vater reden.« Er machte eine betonte Kunstpause. »Ob er nun will oder nicht.«
Das klang sehr entschlossen. Es klang vor allem endgültig. Aume kannte das spezielle Timbre, sie wusste, dass Menschen dann, unabhängig von ihrem Intelligenzgrad, keine weiteren Diskussionen wünschten. Also tat sie alles, um diesen ohnehin unausweichlichen Prozess zu beschleunigen.
»Ich werde euch ein passendes Schiff erstellen. Ich benötige einige Rohstoffe, aber das Problem können wir auf dem Weg lösen«, erklärte Aume ihre Unterstützung.
Darius nickte ihr dankbar zu. »Ich habe bestimmte Spezifikationen«, sagte er dann mit einem um Entschuldigung bittenden Unterton. »Ein kleines Schiff nur. Aber es sollte nicht unnötig auffallen. Es muss einen grünen Drachen tragen, das Wappen meiner Familie. Nur eine Geste, aber jedes Statement kann mir helfen, zur richtigen Zeit den richtigen Effekt zu erzielen.«
»Sagen Sie mir, was Sie brauchen. Ich mache mich sofort an die Arbeit.«
»Und wir …«, sagte Plastikk. »Wir fliegen zu der Welt, auf der Dendh seine Flotte gebaut hat, zu den Koordinaten, die Vigil übermittelt wurden?«
»Das ist möglicherweise nicht das Gleiche«, hörten sie Thasris Stimme.
Aume zögerte mit einer Antwort. Das fiel nicht nur Plastikk auf, der misstrauisch die Stirn in Falten legte. Als hätte jemand einen Schalter umgelegt, war aller Aufmerksamkeit auf Aume gerichtet, die nicht den Eindruck machte, als sei ihr dies besonders unangenehm. Dennoch merkte jeder sofort, dass sie noch eine Neuigkeit zu erklären hatte, eine, die von ihren bisherigen Annahmen abwich.
»Ich denke, dass wir neue Informationen haben«, sagte die Schiffsintelligenz und sah Thasri an, die bestätigend nickte.
»Heraus damit!«, forderte ausgerechnet Holoban Kerr, und das mit einem gewissen Nachdruck. Ob es seine Worte waren oder die Erkenntnis, dass jede weitere Verzögerung nur unnötigen Unwillen heraufbeschwören würde …
Aume sprach Thasri an. »Die Kath haben Ihnen ein Geschenk zum Abschied gemacht.«
»Das stimmt. Ein Datenspeicher voller historischer Aufzeichnungen.« Die Wissenschaftlerin verzog ein wenig das Gesicht. »Redaktionell bearbeitet, nehme ich an.«
Wer seine Geschichte beherrschte, beherrschte alles. Aume war sich dieser Tatsache bewusst, also waren es die Kath auch. »Haben Sie schon Gelegenheit gehabt, sich davon das eine oder andere anzusehen?«
»Nur sehr oberflächlich. Viel interessantes Material, zum Teil in grandioser Detailfülle. Für die Historikerin in mir eine Goldgrube, in die ich mich stürzen und aus der ich niemals wieder auftauchen möchte, vor allem, wenn ich die Gelegenheit bekommen sollte, die dort gemachten Angaben mit Funden auf Kath-Welten in Zusammenhang zu bringen.« Thasri sah immer noch so kritisch drein, dass sie ihre Worte ein wenig Lügen strafte. »Ich kann einfach nicht alles für bare Münze nehmen. Ich benötige valide Verweise, die diese Daten bestätigen, sonst bleiben sie nur eine schöne Geschichte.«
»Geschichte besteht oft nur aus schönen Geschichten«, sagte Darius. »Ich darf das sagen, meine Familie war und ist ebenfalls ganz hervorragend in ›redaktioneller Bearbeitung‹.« Er sagte es mit dem notwendigen Grad an Bitterkeit, der half, die eigene Distanz zu dieser Praxis zu betonen.
»Die Kath tun nichts ohne Grund«, sagte Aume. Sie schaute bedeutungsvoll drein und dieses Bemühen verfehlte ihre Wirkung nicht.
»Ich habe in der Tat etwas gefunden, was unser weiteres Vorgehen betrifft«, kündigte die Wissenschaftlerin an. »Ich habe Aume bisher keinen Zugriff gewährt.«
»Weil Sie mir misstrauen.«
»Oh ja.«
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