»Ist Ihnen bewusst, was genau in dem Schreiben von Bradley Amesbury steht, welches Sie mir überlassen haben?«
Sie presste die Lippen fest aufeinander und straffte die Schultern. Oliver schloss daraus, dass sie den Brief durchaus verstanden hatte.
»Wieso …« Er unterbrach sich. Es kostete ihn viel Mühe, aber er fragte sie nicht, wieso sie sich dann so verhielt, dass es Amesbury geradezu in die Hände spielte.
»Michael will mir alles wegnehmen, wofür ich gearbeitet habe oder was mir persönlich etwas bedeutet, das habe ich sehr wohl verstanden. Nach dem »Wieso« müssen sie allerdings meinen Exmann oder seinen Anwalt selbst fragen. Er mag das Penthouse nicht, er findet die Tiefgaragenparkplätze zu eng und traut unseren Nachbarn nicht, keinen Kratzer in seinen Wagen zu machen. Er mag es nicht, wie ich es eingerichtet habe und lebt seit unserer Trennung ohnehin im Haus am Stadtrand. Er kann mit der Agentur nichts anfangen. Er hat keine Ahnung vom Business. Und am allerwenigsten kann er etwas mit Rufus anfangen.«
»Sie haben ein Kind?«
»Einen Hund«, korrigierte sie ihn und vor Olivers innerem Auge tauchte das Foto eines dieser kleinen Quälgeister auf, die man in einer Handtasche spazieren führte. Diese Frau machte es ihm wirklich nicht einfach. Er hob die Hand, als sie den Mund öffnete, um fortzufahren.
»Das war gar nicht das, was ich meinte. Ich habe mich vielmehr gefragt, ob Ihnen bewusst ist, auf welcher Grundlage Ihr Noch-Ehemann die Rechte an allem, was Sie während der Ehe erwirtschaftet haben, einfordert.«
Ihre Lippen wurden zu einer noch schmaleren Linie, als Oliver es für möglich gehalten hatte. Ja, sie hatte definitiv verstanden, was der Auslöser des Schreibens gewesen war.
Oliver lehnte sich in seinem Stuhl zurück und sah sein Gegenüber schweigend an.
»Was genau wollen Sie hören, Mr. Rutherford? Dass ich jung, dumm und naiv war, diesen Vertrag zu unterschreiben?«, sie nickte in Richtung des Vertrages auf seinem Schreibtisch. Ihre Stimme blieb ruhig. Oliver hatte schon gestandene Firmenbosse in ähnlichen Situationen in Wutausbrüche oder Tränenanfälle ausbrechen sehen. Ava Gainsborough tat weder das eine, noch das andere.
»Ja, ich war jung, dumm und naiv. Ich war verliebt und habe Michael vertraut und den Vertrag unterschrieben, ohne ihn genau gegenzulesen oder prüfen zu lassen.«
»Nein, nein«, wehrte Oliver ab, »das ist schon ganz Anderen passiert.«
»Matthew sagte, Sie seien der Beste und wenn es jemanden gäbe, der mir helfen könne, dann wären Sie das. Wenn Sie sich nicht in der Lage sehen, mir zu helfen, so sagen Sie es bitte gleich.«
»Sagen Sie mir bitte in Ihren eigenen Worten, weshalb Ihr Mann Sie verklagen kann.«
»Was soll das?«
»Ich will nur sichergehen, dass Sie die Angelegenheit wirklich verstanden haben.«
Ihre Hände umschlossen die Handtasche so fest, dass Oliver zusehen konnte, wie sich ihre Knöchel weiß färbten. Gut, vielleicht steckten hinter dieser kühlen Fassade ja doch noch irgendwo ein paar mehr Emotionen, die man herauskitzeln konnte.
»Mrs. Gainsborough?«
»Miss«, korrigierte sie ihn und Oliver fühlte sich für einen Augenblick an seine Schulzeit erinnert. Schade, dass Miss Gainsboroughs Kostüm nicht einige Nummern kleiner und ihre weiße Bluse nicht ein wenig durchsichtiger war.
»Paragraph dreizehn des Ehevertrages sieht vor, dass beide Parteien jederzeit dazu bereit sind, ihren ehelichen Pflichten nachzukommen. Michael wirft mir vor, ich hätte diesen Paragraphen verletzt und sei … nicht in der Lage, ihn zu erfüllen.«
»Mhm«, Oliver beobachtete sie genau, während er den Brief zu sich zog. »Ich glaube, das genauen Wort, das Mr. Amesbury von Ihrem Mann wiedergibt lautet frigide .«
Ein Zucken um ihre Augen. Ganz kurz nur, doch Oliver hatte es gesehen.
»Sind Sie frigide Miss Gainsborough?«, fragte er gerade heraus und beugte sich leicht über den Schreibtisch.
»Nein«, lautete ihre knappe, emotionslose Antwort. Oliver neigte den Kopf zur Seite. Er war zu nah dran. Es fehlte nicht mehr viel, um sie aus der Fassung zu bringen.
»Beweisen Sie es mir.«
Nichts. Sie zeigte keinerlei Regung. Oliver lehnte sich wieder in seinem Stuhl zurück, hob die Arme und verschränkte die Hände hinter seinem Kopf.
»Seien wir ehrlich, wenn Sie so vor Gericht auftauchen, wie Sie es in meinem Büro tun, wird jeder Richter der Welt ihrem Mann einen Freifahrtschein fürs Fremdgehen ausstellen. Sie wollen, dass ich Ihren Fall übernehme, Miss Gainsborough, einen Fall, der so gut wie unmöglich zu gewinnen ist. Ich verliere keine Fälle, Miss Gainsborough, also beweisen Sie mir, dass es überhaupt eine Chance gibt, ihn zu gewinnen. Zeigen Sie mir, dass Ihr Ehemann lügt, dass sie nicht frigide sind. Ziehen Sie sich aus.«
»Wie ist es gelaufen?«, fragte Phoebe, kaum, dass Ava ins Büro kam.
»Frag nicht«, bat Ava. Sie kochte noch immer vor Wut. Was glaubte dieser Kerl eigentlich, wer er war? Und was um alles in der Welt hatte Matthew sich dabei gedacht, sie zu ihm zu schicken? Er musste doch wissen, was für ein Arschloch sein Kollege war.
»So schlimm, ja?« Phoebe zog die unterste Schublade ihres Schreibtisches auf und holte eine Schachtel Pralinen hervor, die sie Ava entgegenhielt.
»Ist Alkohol drin, aber verrat’s nicht dem Boss.«
Avas Mundwinkel zuckten, als sie eine der Pralinen nahm.
»Danke, Phoebs.«
»Nimm sie mit, ich hab noch´ne Packung«, erklärte ihre Assistentin und hielt ihr die Schachtel weiterhin entgegen. »Kann ich sonst noch was tun? Außer Michael zu verprügeln. Du weißt, das Angebot steht noch.«
»Du könntest nach Scheidungsanwälten für mich suchen, mir eine Liste ausdrucken. Ich hab noch ein paar Telefonate zu führen …«, und sie spürte, wie sich ein stechender Schmerz hinter ihren Schläfen ausbreitete.
»Ich mach mich gleich dran«, versprach Phoebe und wandte sich ihrem Computer zu.
»Du bist die Beste.«
»Ich weiß, vergiss das nur nicht. Mein Geburtstag ist in drei Monaten.«
Drei Stunden später schloss Ava die Tür zu ihrem Penthouse auf. Rufus kam sofort auf sie zugelaufen. Ava ließ sich auf die Knie fallen und schlang die Arme um den Hals des Wolfshundes.
»Er darf dich nicht kriegen, Kleiner«, flüsterte Ava in das graue, zottelige Fell. Rufus leckte ihr übers Gesicht und legte seine Pfoten auf ihre Knie.
»Schon gut, schon gut. Komm, Zeit für dein Futter.« Nachdem sie Rufus gefüttert hatte, nahm sie eine Migränetablette und ging zur Couch. Ihre Kopfschmerzen waren in den letzten Stunden nur noch stärker geworden und sie hatte die Arbeit für den Tag beendet. Ava zog Phoebes Liste mit Scheidungsanwälten aus der Tasche und ging sie durch. Phoebe hatte nicht nur Namen und Telefonnummern aufgeschrieben, sondern auch Anmerkungen dazu notiert. Keine davon war erbaulich. Laut Phoebes Liste konnte es keiner der von ihr gefundenen Anwälte mit Bradley Amesbury aufnehmen. Nicht, dass sie das überraschte. Michael hatte stets betont, mit Amesbury einen der besten Anwälte des Landes zu kennen. Als sie mit der Agentur statt zu ihm zu Matthew als Klientin ging, hatte Michael sich persönlich angegriffen gefühlt. Ihr Versuch, ihm zu erklären, dass sie Bradley Amesbury einfach unsympathisch fand und nicht in der Lage war, auf Jahre mit ihm zusammenzuarbeiten, hatte Michael ihr vorgehalten, Geschäftliches mit Privatem zu vermischen. Sie hatte ihn nicht darauf hingewiesen, dass Amesbury ein Golffreund seines Vaters war.
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