»Natürlich Paul, Tiffy wird das schon verstehen. … Aber selbstverständlich. Ich mache den Vertrag fertig und schicke ihn Ihnen heute Abend noch zu.« Oliver drückte einen Knopf auf dem kleinen Headset über seinem Ohr, um das Gespräch zu beenden.
»In einem halben Jahr wird er mir dankbar sein.« Oliver öffnete die Augen und drehte den Kopf zur Tür.
»Matt, was kann ich für dich tun?«, erkundigte er sich bei seinem Kollegen und nahm die Füße vom Tisch.
»Ich bin doch immer wieder überrascht darüber, dass deine Mandanten tatsächlich zu dir zurückkehren«, begrüßte Matthew ihn und schloss die Tür hinter sich. Oliver grinste und zuckte mit den Schultern.
»Ich bin der Beste und das wissen sie. Und seien wir ehrlich, es ist Pauls fünfte Ehe und seine Auserwählte Tiffy ist gerade achtzehn geworden. In ein, zwei Monaten fängt sie eine Affäre mit ihrem Personal Trainer oder ihrem Tenniscoach oder irgendeinem anderen athletischen, gutaussehenden Kerl an, der höchstens halb so alt sein wird, wie Paul es ist. Ein paar Wochen später wird auch Paul selbst bemerken, dass seine geliebte Tiffy ihm nicht treu ist, er wird versuchen, sie zurückzugewinnen, wird ihr ein Vermögen an Geschenken überlassen und in einem halben Jahr wird er um einen Termin bitten, damit wir die anstehende Scheidung besprechen. Aber du bist sicher nicht seinetwegen hier?« Oliver warf einen Blick auf den roten Aktendeckel in Matthews Hand. Es stand kein Name darauf, keine Bezeichnung, keinerlei Hinweis darauf, was sich in seinem Inneren befand. Sein Kollege wusste offensichtlich nur zu gut, wie er Olivers Interesse erregen konnte.
»Ich habe eine Scheidung für dich, die etwas kniffliger sein könnte.«
»Einer deiner Mandanten?« Oliver seufzte, sein Interesse bereits wieder erloschen. Matthew war Wirtschaftsanwalt, vertrat die großen Firmen des Landes. Die Akte, die Matthew ihm gerade auf den Tisch legte, die Hand noch auf dem Deckel, um Oliver daran zu hindern, hineinzusehen, würde einen ähnlichen Fall wie Pauls beinhalten. Dabei hatte er sich für einen kurzen Augenblick darüber gefreut, eine Herausforderung vor sich zu haben.
»Eine Mandantin, ja«, noch immer ruhte Matthews Hand auf der Akte. »Eine Mandantin, die sich in einer richtig miesen Scheidung wiederfindet, die sie wirklich nicht verdient hat. Wenn sie jemand da raushauen kann, dann du, aber versprich mir bitte, ihr gegenüber nett zu sein und dich zu benehmen.«
»Tu ich das nicht immer?«, fragte Oliver und griff nun nach der Akte. »Ava Gainsborough … der Name sagt mir etwas.« Er sah Matthew fragend an.
»Sie war Britain’s Darling . Du erinnerst dich? Das Casting vor zwölf Jahren bei dem sie Darsteller für eine Jubiläumsaufführung von Peter Pan suchten?«
Oliver runzelte die Stirn.
»Das weißt du wirklich nicht mehr? Ava hat sich mit nur fünfzehn Jahren gegen erwachsene und etablierte Schauspielerinnen für die Rolle durchgesetzt. Nachdem die Laufzeit des Stückes vorbei war, wechselte sie ins Modelbusiness.«
»Jetzt reden wir …«, erklärte Oliver. Model sagte ihm doch weitaus mehr, als jugendliche Theaterschauspielerin.
»Ein Topmodel im Scheidungskrieg, ja?« Er begann, sich den Ehevertrag, der vor ihm lag, genauer anzusehen.
»Exmodel«, korrigierte Matthew ihn. »Sie hat das Modeln bereits vor vier Jahren aufgegeben und sich stattdessen eine Modelagentur aufgebaut. Eine überaus erfolgreiche Agentur.«
»Lass mich raten, an dem Erfolg bist du nicht ganz unbeteiligt«, murmelte Oliver, als er die erste Seite umblätterte. »Was hat sie angestellt?«
»Ihr Mann ist fremdgegangen, sie hat sich von ihm getrennt und die Scheidung eingereicht.«
Oliver sah von dem Vertrag auf und wartete darauf, dass Matthew fortfuhr.
»Ich verstehe nicht, wie diese Angelegenheit dann für sie schwierig sein könnte?«, erklärte er schließlich. Matthew räusperte sich und erhob sich langsam.
»Seite fünf, Paragraph dreizehn.«
Oliver schlug die genannte Seite auf und überflog den genannten Paragraphen.
»Ist das dein Ernst?«
»Denk dran, du hast versprochen nett zu sein und dich zu benehmen. Ich hab Amber gesagt, sie soll für morgen einen Termin mit Ava ausmachen, das sollte dir ja genug Zeit geben, den Vertrag auf Herz und Nieren zu prüfen. Vielleicht findest du ja etwas, das ihr hilft, aus der Sache rauszukommen, ohne, dass sie alles verliert oder es zu einer Schlammschlacht kommt. Oder schlimmer: beides passiert.«
Oliver sah Matthew ungläubig nach, bis dieser sein Büro verlassen hatte. Als sich die Tür hinter ihm schloss, senkte er den Blick wieder über den Vertrag. Er fluchte leise und drückte den Kopf an seinem Headset, der ihn mit seiner Sekretärin verband.
»Amber, für heute keine weiteren Telefonate durchstellen, die nicht im Vorfeld vereinbart wurden. Ach und wann kommt Ava Gainsborough morgen?«
»Um zehn Uhr, habe ich mit ihr vereinbart«, kam die Antwort. Oliver beendete das Gespräch und begann, den Ehevertrag noch einmal von Anfang an durchzulesen und sich Notizen dazu zu machen.
»Ava Gainsborough ist da«, erklang Ambers Stimme über Olivers Headset.
»Danke, Amber, schick sie rein.« Oliver nahm das Headset vom Ohr, schaltete es aus und legte es auf den Schreibtisch. Er hatte sich den Ehevertrag, der vor ihm in der Akte lag, gründlich durchgelesen. Den Rest des vorigen Tages hatte er damit zugebracht, Recherchen über seine neue Klientin anzustellen. Er hatte unzählige alte Zeitungsartikel und Bilder über das von Matthew erwähnte Casting für ihre spätere Rolle der Wendy Darling gefunden, ganz zu schweigen von etlichen Fotos aus ihrer Modelkarriere. Aber so sehr er auch suchte, er konnte nichts finden, das neuer war, als vier Jahre. Kaum, dass sie dem Modeldasein den Rücken gekehrt hatte, schien sie aus der Öffentlichkeit verschwunden zu sein. Er fand zwar einige Informationen über ihre Agentur, aber Ava Gainsborough selbst tauchte auf keinem weiteren Foto mehr auf. Mit dem letzten Bild, das er von ihr von einer Fashion Show in Mailand vor vier Jahren gefunden hatte, vor Augen, traute Oliver seinen Augen nicht, als Ava Gainsborough nun durch die Tür seines Büros trat.
Sie war immer noch schlank, blond und gutaussehend, aber sie versuchte das offensichtlich tunlichst zu vermeiden. Die Queen selbst könnte sich nicht mehr verhüllen, als es die Frau tat, die gerade auf seinen Schreibtisch zukam. Er hörte Amesbury bereits die Korken des Siegeschampagners öffnen. Angefangen von dem zu einem festen Dutt zurückgebundenen Haar über das beigefarbene Kostüm, dessen Rock deutlich unterhalb ihrer Knie endete und das insgesamt eine Nummer zu groß wirkte bis hin zu den ebenso beigefarbenen Pumps, die kaum einen Laut auf den Holzdielen unter ihnen verursachten, war sie ein fleischgewordener Abtörner. Das konnte unmöglich die gleiche Frau sein, von der er am Abend zuvor noch Fotos aus der Sports Illustrated gesehen hatte, auf denen sie sich in der damals neuesten Bikinikollektion am Strand räkelte.
»Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie mir so schnell einen Termin geben konnten, Mr. Rutherford. Matthew sagte, Sie seien der Beste in Ihrem Fachbereich.« Sie rang sich den Anflug eines Lächelns ab und streckte ihm ihre rechte Hand entgegen. Perfekt manikürt, aber nicht der leiseste Hauch Farbe auf ihren Nägeln, stellte Oliver fest. Als sie ihre Hand senkte, bemerkte Oliver erst, dass er sie noch immer anstarrte. Er räusperte sich, erhob sich leicht und schüttelte ihre Hand.
»Bitte, setzen Sie sich«, forderte er sie auf und warf einen Blick auf seine Notizen vom Vortag. Ein Seufzen unterdrückend riss er die beiden Blätter aus dem Block, knüllte sie zusammen und warf sie in den Papiereimer unter seinem Schreibtisch. Sie würden ihm nicht helfen. Er hatte angenommen, es hier mit dem leichtesten Fall der Geschichte zu tun zu haben. Diese Annahme hatte Miss Gainsborough gerade zunichte gemacht. Sie erinnerte ihn an seine Großmutter, schoss es ihm durch den Kopf, wie sie so dasaß, die manikürten aber unlackierten Hände um die Handtasche auf ihrem Schoß geklammert, als fürchte sie, man würde sie ihr jeden Moment entreißen.
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