Linda windet sich, kann sich seinem festen Griff in ihrem Nacken jedoch nicht entziehen. Sie versucht, ihren Kopf schräg zu legen, aber er lässt es nicht zu. Wie ein Schraubstock hält er sie in der Position.
»Ich frage mich, Linda, wieso so viele Dinge ausgerechnet an Heiligabend passieren. Ausgerechnet dir. Und ausgerechnet all das, was ich überhaupt nicht mag.« Er streicht mit der Handfläche über die nackte Haut ihres Hinterns. »Hast du darauf eine Antwort?«
»Zufall«, quetscht sie heraus. Sofort. Eine zurechtgelegte Reaktion.
Das Horn bricht dramatisch in die Melodie ein.
Mit einer kräftigen Bewegung setzt er einen Hieb. Auf das aufgeblätterte, empfindliche und schutzlose Stück Haut zwischen heruntergezogenem Hosenbund und bis auf den Rücken gerutschtem Shirt. Es klatscht. Die Musik kann es nicht übertönen.
Linda quietscht. Ihr Körper ruckt nach vorn. Ganz gleich, ob sie damit gerechnet hat oder nicht – die Härte des Schlages hat sie überrascht. Nicht alles verläuft nach ihrem Plan.
»Hast du auch eine ehrliche Antwort?« Er legt seine Handfläche wieder auf ihren Hintern. Greift noch einmal fester in ihren Nacken und unterbindet konsequent Lindas Versuch, ihren Körper zur Seite zu drehen.
Sie beginnt zu schweigen. Vollständig.
Ein zweiter Schlag trifft sie. Wuchtiger. Nachhaltiger. Linda schnappt nach Luft. Sie zieht den Kopf nach unten und presst ihre Stirn gegen die Lehne. Was soll sie schon antworten. Es waren keine Zufälle. Natürlich nicht.
Die Melodie wechselt von C-Dur zu A-Moll.
»Na gut«, meint er hinter ihr und rückt sich zurecht. Vorsichtig berührt er ihren Hintern, hebt die Handfläche leicht, senkt sie wieder. Passend zum Takt der Rührtrommel. Er nimmt den Rhythmus auf. Allmählich. Der Abstand zum Klangkörper wird immer größer. Die Schläge nehmen an Intensität zu.
Linda keucht. Sie öffnet den Mund, um Luft zu bekommen. Die Augen kneift sie zusammen. Ihr Plan gelingt, denkt sie. Sie hat ihn so lange gereizt, bis er endlich die Geduld verliert. Einen ganzen Abend lang hat es gedauert. Pinkfarbenes Lametta war nötig, versteckte Schokoladenplätzchen, die alte Jogginghose, absichtlich auf den Tisch geworfene Strümpfe. Und noch viele Unartigkeiten mehr. Weihnachten. Das Fest der Liebe.
Die Celesta verdoppelt die Melodie um zwei Oktaven.
»Bescherung«, kommentiert er zeitgleich. Und bevor Linda darüber nachdenken kann, bricht auf ihrem Hintern der Boléro los. Im Rhythmus trifft die Hand, fest, beißend, aber nie auch nur einen halben Takt zu früh oder zu spät. Mit jeder Oktave nimmt die Intensität zu. Die Hitze steigt auf ihrem Hintern im gleichen Maß wie die Obertöne in den Raum. Beide wechseln die Klangfarbe. Immer wieder.
Linda bemerkt, dass er nicht aufhören wird. Sie versucht sich zu erinnern, wie lang das Musikstück andauert, aber es gelingt ihr nicht. Und sie kann sich auch immer weniger konzentrieren. Die Haut beginnt erst zu zwicken, dann zu brennen. Pulsierend. Immer im Takt. Linda stellt sich darauf ein. Sie bemerkt, dass ihr Körper reagiert. Jeder Wechsel der Tonart treibt sie höher. Längst hat sie die Hand in ihrem Nacken vergessen, sie spürt sie nicht mehr, auch wenn sie dort noch gehalten wird. Es gibt kein Entkommen mehr. Und es ist auch keines nötig. Linda drückt sich der schlagenden Hand entgegen. Was für eine Bescherung.
Basstrommel. Becken.
Linda schnappt nach Luft. Laut. Sie verdreht die Augen. Jetzt, denkt sie. Gleich beginnt sie zu fliegen. Mit dem ganzen Orchester. Jetzt. Gleich.
Ein dissonanter Akkord lässt die Melodie sterben. Die Atmosphäre bricht zusammen wie ein Kartenhaus. Plötzlich ist Stille im Raum. Nur das Vinyl knackt leise. Wie Nachwehen.
Linda bewegt sich noch ein wenig weiter, aber ihr gelingt es nicht, abzuheben. Sie fühlt sich kurz davor, doch der Antrieb fehlt. Die Hand ist verschwunden. Abbruch.
Mit einem klackenden Geräusch hebt sich der Tonarm, schwenkt gnadenlos zurück und rastet ein. Völlig unbeteiligt. Ein leises Knarren bremst das Vinyl. Stille.
»Scharfes Stück«, sagt er süffisant und erhebt sich. »Wusstest du, dass Ravel den Boléro als Provokation empfunden hat?« Er schlendert zur Schrankwand, nimmt die Platte vorsichtig, dreht und begutachtet sie. »Provokation«, wiederholt er genussvoll. Dann schiebt er die schwarze Platte zurück in die Papierhülle. »Weißt du, was das ist, eine Provokation?«
Er schaut zum Sofa. Linda atmet noch immer aufgeregt. Erregt. Mit der Stirn auf dem Leder der Lehne. Ihr Hintern leuchtet rot in den Raum hinein. Sie würde alles geben, es zuende bringen zu dürfen. Alles. Das weiß er. Sie hätte es sogar haben können, wenn sie es nicht so darauf angelegt hätte.
»Eine Provokation ist jedenfalls nichts, was zwingend zum Erfolg führt, meine Liebe«, erklärt er. »Ravel hatte sich die Reaktionen auf seine Komposition auch ganz anders vorgestellt.« Er durchquert den Raum, schaut noch einmal auf den zitternden Körper von Linda. »Räum die Socken weg. Und dann komm ins Bett. Versuche es morgen in einer anderen Tonart. Vielleicht erreichst du dann, was du möchtest.«
Er dimmt das Licht und verlässt den Raum. Es wird nicht lang dauern, bis Linda sich abgekühlt hat und ihm folgen wird. Das weiß er. Vielleicht, denkt er, hat sie sogar etwas gelernt heute. Dann hätte er ihr sogar noch etwas geschenkt am späten Heiligabend.
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