Petra Ramsauer
Vorwort
Richtig Angst haben
Was Angst macht
Die Macht der Angst
Auf Leben und Tod
Anmerkungen
Natürlich werde dieser Text fragil bleiben und ausschnitthaft ausfallen, schreibt Jana Hensel am Beginn ihres Essays in der Wochenzeitung Die Zeit über die Folgen von Corona. „Die Pandemie hat ein Beben ausgelöst: Etwas völlig Neues, gänzlich Unvorhersehbares, nichts Planbares. Keinen politischen Umsturz, keine Revolution, aber einen emotionalen Umsturz.“ 1Damit trifft sie exakt mein Grundgefühl beim Schreiben dieses Buches. Die Pandemie des neuartigen Corona-Virus hat wie ein Brandbeschleuniger latente Sorgen an die Oberfläche getrieben. Vor allem die Angst davor, dass alles anders werden kann. Von einer Sekunde auf die nächste.
„Folge deiner Angst, wenn du zwischen zwei Alternativen schwankst.“ – Diesen hilfreichen Rat habe ich als junge Frau aufgeschnappt. Einen zweiten habe ich leider erst als ältere Frau erhalten: wann immer der Furcht-Reflex hochkommt, eine Pause einzulegen. Es reichen ein paar Atemzüge. So öffnet sich der Blick. Um das Richtige tun zu können und nicht in Hektik zu verfallen. In brisanten Momenten in Konfliktgebieten hat mir dies möglicherweise oft das Leben gerettet. Doch es hat auch meinen Alltag wohltuend verändert.
Als Krisenreporterin ist mein Leben davon geprägt, mich diesem elementaren Gefühl mit möglichst klarem Kopf zu stellen. Diese Erfahrungen möchte ich hier mit-teilen. Es geht in diesem Buch nicht um Angst als Krankheit, sondern um die Angst als fundamentales Gefühl, das die Weichen einer Biografie stellt, sie lähmen, aber auch beflügeln kann.
Dieses Buch soll Mut machen, sich der Angst zu stellen. Es besteht aus vier Teilen, vier Aspekten, die mir relevant scheinen und über die zu schreiben ich das Bedürfnis hatte. Zunächst geht es um die Angst als Reporterin, die Bedeutung von Kriegsberichterstattung, wieso Risiken Sinn machen können, dass ich immer eine Ängstliche war und blieb. Im zweiten Abschnitt beschreibe ich die Anatomie des Gefühls der Angst. Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit der Macht der Angst und damit, warum die Pandemie des Corona-Virus zur Zäsur wird und was dies auch für unsere Wahrnehmung der vielen Krisen überall auf der Welt bedeuten wird. Abschließend schreibe ich über die Angst als traurigen Ausdruck des Zeitgeists und warum eine offene Auseinandersetzung mit dem Tod einen Ausweg aus der bedrückenden Dauer-Ängstlichkeit bieten kann. Warum eine wohlmeinende Fehlerkultur uns aus dem Korsett der Perfektion befreit und es gar nichts bringt, sich vor der Angst zu fürchten.
Mich hat eine schwere Tumor-Erkrankung als junge Frau tief geprägt. Mir geholfen, die Wahrheit, dass ich sterben werde, zu akzeptieren. Das hat mein Rest-Leben sehr zum Guten verändert. Deshalb plädiere ich dafür, sich der Tatsache, dass wir alle zerbrechliche Sterbliche sind, zu stellen. Angst, finde ich, sollte ein ungelebtes Leben machen, nicht der Tod.
Angst kann ein Ratgeber sein, ein Impuls für Wachstum, aber auch ein Gefühl wie ein Bremsklotz, das sich verstärkt, wenn es vermieden, ignoriert wird. Richtig Angst zu haben ist eine Kunst, vielleicht eine der wichtigsten Lektionen im Leben. Basierend auf meinen Erfahrungen als Krisenberichterstatterin möchte ich dem Phänomen auf den folgenden Seiten auf die Spur gehen. Es mit der Angst aufzunehmen, bedeutet erst einmal, von ihr zu wissen. Sich ihr, wie eben betont, ruhig und ausgeschlafen zu stellen. Sie als Teil unseres Lebens zu akzeptieren.
Warum ich zwei Jahrzehnte lang über Krisen, Kriege und Konflikte berichtet habe und wieso ich glaube, dass es sich auszahlt, im Leben Risiken einzugehen .
Jetzt hat es mich doch erwischt. Eine Rakete? Ein Anschlag? Granaten? Bomben? Obere Stockwerke sind also doch nicht so sicher, wie alle sagen. Die Wand, ein Stück der Decke ist herausgerissen. Das Bett steht im Freien. Die schäbige Hinterwand des Nebenhauses mit den grauen Regenflecken ist auf einmal so nahe. Bin ich tot?
Bis heute sind mir alle Nuancen der Panik, die chaotische Gedankenflut dieses Moments präsent. Auch die seltsame Erleichterung darüber, dass „es“ passiert ist. Aus dem oft vagen, manchmal konkreten Bild dessen, was geschehen könnte, wurde Realität. – Obwohl. Passiert war nichts, außer, dass mir an diesem Tag Mitte Dezember 2015 klar wurde: Ich stecke meinen Job doch nicht so locker weg.
Überfallsartig war damals nur die Entscheidung der Hausverwaltung, im Winter spontan die Fenster zu tauschen, die in meiner Dachwohnung von der Decke bis zum Boden reichten, so auch im Schlafzimmer. Als die Handwerker frühmorgens anrückten, ging ich weg. Zu Mittag kam ich kurz nach Hause, weil ich nicht warm genug angezogen war. Die Monteure waren gerade essen. Sie hatten die alten Fenster entfernt, die neuen noch nicht eingebaut. In Gedanken beim nächsten Interview, ging ich nur schnell zum Kasten. Als ich dann die Schlafzimmertür öffnete, wurde ich ins Nichts katapultiert. Die Baustelle verwandelte sich in einen Bombentreffer.
Ich war mir sicher, in einem Hotel im Gaza-Streifen zu sein. Das verstehe ich noch immer nicht ganz. Eigentlich stand damals Syrien im Fokus meiner Arbeit. Dort von einem Treffer überrascht zu werden, war eines meiner Angst-Szenarien. In Israel und den palästinensischen Gebieten hatte ich mich meist sicher gefühlt, auch während des Krieges im Sommer 2014, meiner damals letzten Reise dorthin. Einfach war es aber nicht gewesen. Die Hamas-Gruppe, ein Hybrid aus Terrororganisation und radikal-islamistischer Partei, hatte Raketen-Abschussrampen in Wohngebieten, bei Schulen und neben Hotels platziert, in denen internationale Journalisten untergebracht waren. Ob diese Berichte stimmten? Ich vermutete ja, aber war mir nicht ganz sicher. Genauso wenig darüber, ob Israels Armee trotz deren Anwesenheit diese Rampen angreifen würde.
Solche Entscheidungen, etwa, ob ich in einem Hotel im Krieg in Gaza bleibe, beruhen nicht auf hundertprozentiger Sicherheit. Ein Restrisiko prägt meinen Berufsalltag. Wenn-Aber-Gedankenketten und diffuse Angst, die sie in Gang setzen, schwappen in mein „normales“ Leben über. Nur sehr selten überwältigen sie mich aber so wie damals in meinem Schlafzimmer. Seit über zwanzig Jahren berichte ich von bewaffneten Konflikten, Bürgerkriegen und Revolutionen, vor allem aus dem Nahen Osten. Aus Gegenden, wo eine oft nicht minder gefährliche Instabilität hinter einer Fassade von Waffenruhe Konflikte abgelöst hatte. Schrieb über Terrorattentate in Bagdad, Madrid, London, Oslo und auf der Insel Utøya. Über Naturkatastrophen, wie die Folgen des Tsunamis 2014, Erdbeben, Dürreperioden, die daraus resultierenden Hungerkrisen in vielen Teilen Afrikas.
Mein Schwerpunkt waren allerdings Kriegsgebiete in Afrika und im Nahen Osten: Unter anderem Libyen, Afghanistan und vor allem Syrien und der Irak. Es sind jene Länder, in denen für Reporter und Reporterinnen 2seit Jahren die höchste Gefahr droht, bei ihrer Arbeit getötet zu werden. Zwischen 1992 und 2020 sind laut Daten des Committee to Protect Journalists 1300 Journalisten ums Leben gekommen. 3Ab dem Krieg 2003 wurde der Irak zum gefährlichsten Gebiet der Geschichte für Medienleute. 150 starben seither in diesem Land, in Syriens Bürgerkrieg verloren mit Stand Dezember 2019 bereits 137 meiner Kollegen und Kolleginnen ihr Leben. Noch höher ist die Gefahr für die Reporter, die aus diesen Ländern stammen. Sie gehen mehr Risiken ein als jene, die wie ich für Reportagen lediglich einige Wochen oder Monate in dem Krisengebiet leben.
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