1 ...7 8 9 11 12 13 ...46 "Die Folgen können schrecklich sein", gab Mr. Winkle zu bedenken.
"Hoffentlich nicht", meinte Mr. Snodgraß.
"Der Doktor ist, glaube ich, ein sehr guter Schütze."
"Das sind Offiziere meistens", bemerkte Mr. Snodgraß ruhig. "Aber Sie sind's doch auch, nicht wahr?"
Mr. Winkle bejahte und änderte, da er seinen Gefährten nicht hinreichend bestürzt sah, seine Taktik.
"Snodgraß", sagte er, und seine Stimme bebte vor Erregung, "wenn ich falle, so werden Sie in einem Paket, das ich in Ihre Hände zu legen gedenke, einen Brief finden an – an meinen Vater."
Auch diese Attacke schlug fehl. Mr. Snodgraß war zwar gerührt, übernahm aber die Besorgung des Schreibens so Bereitwillig wie ein Briefträger.
"Wenn ich fallen sollte", fuhr Mr. Winkle fort, "oder wenn der Doktor fällt, so werden Sie, als bei der Sache beteiligt, vor Gericht gestellt. Schrecklich der Gedanke, meinen Freund der Gefahr der Deportation, wenn nicht noch Schlimmerem, auszusetzen!"
Mr. Snodgraß kratzte sich zwar ein wenig den Kopf, aber sein Heroismus war unerschütterlich. "Wenn es Freundespflicht gilt", rief er begeistert, "biete ich allen Gefahren Trotz."
Wie verwünschte Mr. Winkle in seinem Innern die aufopfernde Freundschaft seines Gefährten, als sie einige Minuten schweigend nebeneinander gingen, beide tief in Gedanken versunken.
Der Morgen entschwand, und Mr. Winkle geriet in Verzweiflung.
"Snodgraß", sagte er, plötzlich haltmachend, "daß uns nur ja keine Störung dazwischenkommt! Sie dürfen durchaus nicht etwa eine Anzeige machen oder die Polizei anrufen, um durch meine oder die Verhaftung des Dr. Slammer vom siebenundneunzigsten Regiment, wohnhaft in der Chathamkaserne, diesem Duelle vorzubeugen. Ich sage Ihnen, tun Sie es nicht ."
Mr. Snodgraß ergriff die Hand seines Freundes mit Wärme und beteuerte enthusiastisch: "Seien Sie unbesorgt!"
Ein Schauder überlief Mr. Winkle, als er die schreckliche Überzeugung gewann, daß er von der ängstlichkeit seines Freundes nichts zu hoffen hatte und bestimmt war, das lebende Ziel einer Feuerwaffe zu werden.
Nachdem die Lage der Dinge mit allen Nebenumständen mit Mr. Snodgraß erörtert worden und in einem Kaufladen Pistolen, Pulver, Blei und Zündhütchen besorgt waren, kehrten die beiden Freunde in den Gasthof zurück; Mr. Winkle, um über das bevorstehende Duell nachzudenken, und Mr. Snodgraß, um die Waffen für den augenblicklichen Gebrauch gehörig instand zu setzen.
Es war ein trüber, unfreundlicher Abend, als sich beide auf den Weg machten. Mr. Winkle hatte sich, um der Beobachtung der Leute zu entgehen, in einen ungeheuren Mantel gehüllt, und Mr. Snodgraß trug unter dem seinen die Werkzeuge der Zerstörung.
"Haben Sie alles bei sich?" fragte Mr. Winkle mit erstickter Stimme.
"Alles", erwiderte Mr. Snodgraß. "Auch Munition die Fülle, wenn die ersten Schüsse resultatlos verlaufen sollten. Ein Viertelpfund Pulver in der Schachtel und zehn Zeitungen zu Pfropfen in der Tasche."
Das waren Freundschaftsbeweise, für die sich jeder Mensch hätte ungemein verpflichtet fühlen müssen. Vermutlich waren aber Mr. Winkles Dankesgefühl zu übermächtig, um sich in Worten ausdrücken zu lassen, denn er sagte nichts und ging, wenn auch ziemlich langsam, weiter.
"Wir kommen ganz zur rechten Zeit", bemerkte Mr. Snodgraß, als sie über die Hecke des ersten Feldes kletterten. "Die Sonne will eben untergehen."
Mr. Winkle blickte auf den sinkenden Feuerball und dachte mit Schmerz an die Möglichkeit seines eigenen "Untergangs", der ihm in so kurzer Frist bevorstehen konnte.
"Dort ist der Offizier!" rief er, nachdem sie wieder einige Minuten gegangen waren.
"Wo?"
"Dort! Der Herr in dem blauen Mantel."
Mr. Snodgraß blickte in die Richtung, die ihm der Finger seines Freundes wies, und gewahrte eine verhüllte Gestalt. Durch Winken mit der Hand gab der Offizier zu erkennen, daß er ihrer gleichfalls ansichtig geworden, und die Freunde folgten ihm in einiger Entfernung.
Der Himmel wurde mit jedem Augenblick trüber, und melancholisch heulte der Wind über die einsamen Felder, wie ein Riese, der seinem Hund pfeift. Das Düstere der Szene stimmte Mr. Winkle todestraurig. Er schauerte zusammen, als er an dem Laufgraben vorbeikam – der sah aus wie ein kolossales Grab.
Der Offizier bog plötzlich von dem Fußpfad ab, klomm über ein Pfahlwerk, stieg über eine Hecke, und sie gelangten auf ein abgeschlossenes Feld. Zwei Herren warteten bereits dort; der eine ein kleiner wohlbeleibter Mann mit schwarzem Haar, der andre eine stattliche Erscheinung in einem militärischen Überrock – mit vollkommenem Gleichmut auf einem Feldstuhl sitzend.
"Die Gegenpartei und ein Wundarzt, vermutlich", sagte Mr. Snodgraß. "Nehmen Sie ein Tröpfchen Branntwein."
Mr. Winkle ergriff die Feldflasche, die ihm sein Freund hinreichte, und labte sich mit einem langen Schluck an der belebenden Flüssigkeit.
"Mein Freund Mr. Snodgraß, Sir", stellte er vor, als der Offizier herantrat.
Dr. Slammers Sekundant verbeugte sich und brachte ein ähnliches Futteral, wie Mr. Snodgraß es bei sich führte, zum Vorschein.
"Ich denke, weitere Worte sind wohl überflüssig", begann er kaltblütig, als er den Pistolenkasten öffnete, »da eine Abbitte entschieden abgelehnt wurde."
"Ganz Ihrer Meinung, Sir", versetzte Mr. Snodgraß, dem es langsam schwül zumute wurde.
"Wollen Sie vielleicht die Schritte abzählen!"
"Bitte sehr", entgegnete Mr. Snodgraß.
Die Distanz wurde abgeschritten und die weiteren Vorbereitungen getroffen.
"Sie werden diese Waffen besser als Ihre eignen finden", sagte der Sekundant der Gegenpartei und bot seine Pistolen an. "Sie haben doch beim Laden zugesehen? Oder haben Sie vielleicht etwas gegen deren Benützung einzuwenden?"
"Nicht das mindeste", versicherte Mr. Snodgraß. Ein Stein fiel ihm vom Herzen, denn er hatte nur sehr schleierhafte Begriffe vom Laden einer Pistole.
"So können wir, denke ich, jetzt unsre Duellanten aufstellen", bemerkte der Offizier mit einer Gleichgültigkeit, als wären die beiden Gegner Schachfiguren und die Sekundanten die Spieler.
"Ja, das können wir", erwiderte Mr. Snodgraß, der in seiner Unerfahrenheit in solchen Dingen zu jedem Vorschlag ja gesagt haben würde.
Der Offizier verfügte sich zu Dr. Slammer, und Snodgraß trat an Mr. Winkles Seite.
"Es ist alles in Ordnung", sagte er und händigte seinem Freunde die Pistole ein. "Geben Sie mir Ihren Mantel."
"Sie haben doch den Brief an sich genommen, teurer Freund?" fragte der arme Winkle.
"Alles in Ordnung. Zielen Sie ruhig und schießen Sie ihn durch die Schulter."
Mr. Winkle kam dieser Rat sehr ähnlich vor wie ein anderer, den Zuschauer bei Straßenboxkämpfen stets und stur auch für den kleinsten Jungen übrig haben: Los, feste, hau ihn um! – Ein großartiger Rat; wenn man nur wüßte, wie man es machen soll. Dennoch legte er schweigend seinen Mantel ab – es verging eine geraume Weile, bis er damit zu Rande kam.– und nahm die Pistole entgegen. Die Sekundanten traten zurück, der Mann auf dem Feldstuhl tat ein Gleiches, und die Duellanten gingen aufeinander zu.
Mr. Winkle stand in dem Rufe außerordentlicher Menschenfreundlichkeit. Vermutlich war auch sein Wunsch, niemand absichtlich zu verletzen, die einzige Ursache, warum er, kaum an der verhängnisvollen Stelle angelangt, die äugen schloß und daher das seltsame und unerklärliche Benehmen des Dr. Slammer nicht gewahren konnte. Dieser stutzte nämlich, sah seinen Gegner an, trat zurück, rieb sich die Augen, sah wieder hin und rief endlich:
"Halt! Halt!"
"Was soll das heißen", sagte er, als die beiden Sekundanten zu ihm eilten. "Das ist nicht der Mann."
"Nicht der Mann?" sagte Dr. Slammers Freund.
"Nicht der Mann?" wiederholte Mr. Snodgraß.
Читать дальше