»Na, wie ein durchgeknallter Fan klingst du echt nicht.« Trish schnieft.
»Ach, das hat Margie bestimmt nicht so gemeint«, sage ich halbherzig. Dabei wissen wir beide, dass für Margie Rücksicht auf die Gefühle anderer Menschen ein Fremdwort ist.
Trish sieht mich mit Dackelblick an. »Kann ich dir wenigstens bei den Vorbereitungen helfen? Ich weiß alles über Al Bad.«
»Wie heißt er eigentlich richtig?«
»Das weiß ich nicht.« Sie grinst spitzbübisch. »Vielleicht was ganz fürchterlich Spießiges, wie Alan oder Alwin oder so? Aber abgesehen davon weiß ich echt alles. Kannst mich gerne ausfragen. Was sein erfolgreichster Song war, mit wie vielen Frauen er schon was hatte, mit wem er gerade liiert ist …«
»Aber nur, was das Musikalische angeht«, warne ich sie, denn manchmal habe ich den Eindruck, als wüsste Trish mehr über das Privatleben mancher Stars als diese selbst. »Die Bettgeschichten interessieren mich nicht.«
»Die sind doch das Spannendste! Besonders bei Al, der Typ ist so was von heiß!« Trish hopst vom Schreibtisch und umarmt mich ungestüm.
Ich zucke instinktiv zurück und schiebe sie von mir. »Ganz ruhig. Das ist nur ein Interview.«
»Du bist ja wirklich eiskalt«, mault Trish. »Nun lass mich mich doch wenigstens für dich freuen, wenn du es schon nicht tust.«
»Ich mache nur meinen Job«, entgegne ich und denke im Stillen, dass Trish allmählich gelernt haben sollte, es genauso zu machen. »Du kannst damit anfangen, mir die letzten Pressemitteilungen rauszusuchen, und Kopien sämtlicher Artikel zu besorgen, die wir jemals über All Bad geschrieben haben.«
Als ich spätabends das Redaktionsgebäude verlasse, laufe ich Suzannah über den Weg. Ausgerechnet Suzannah, Kollegin von einem Lifestyle-Magazin und meine ehemals beste Freundin. Obwohl wir im selben Redaktionsgebäude arbeiten, haben wir es in den letzten Monaten erfolgreich geschafft, uns aus dem Weg zu gehen.
Das letzte Mal, als ich sie sah, saß sie gerade auf meinem damaligen Lebenspartner. Die Szene ist noch immer so präsent, als wäre sie gerade erst passiert: Wie ich früher als geplant in seine Wohnung gekommen bin, weil es im Sportstudio über Nacht einen Wasserrohrbruch gegeben hatte und der Fitnesskurs, den ich geben sollte, ausfallen musste. Wie ich, seine Wohnungsschlüssel noch in der Hand, vom Flur aus direkt ins Schlafzimmer sehen konnte. Wie das Sonnenlicht aufs Laminat fiel, als wollte es mir extra noch den Weg weisen. Wie Suzannahs Brüste im Rhythmus ihrer Bewegungen hüpften, während sie sich wie selbstvergessen mit geschlossenen Augen auf meinem Freund bewegte. Wie das Bett bebte, wie es bei uns nie gebebt hatte. Wie Henrik nur »ach du Scheiße!«, rief, als er mich wie angewurzelt im Türrahmen stehen sah. Wie Suzannah mich in den nächsten Tagen mit Anrufen, Mails und internen Nachrichten bombardierte, die ich allesamt ignorierte, bis sie mich in Ruhe ließ.
Noch hat sie mich nicht gesehen. Ich trete hinter eine der Säulen im Eingangsbereich und warte, bis sie das Gebäude verlässt. Durch die Glastür kann ich sehen, wie sie auf einen Mann zugeht. Er küsst sie zur Begrüßung. Einen Moment bin ich wie erstarrt, dann realisiere ich: Es ist nicht Henrik.
Im Gegensatz zu mir schläft Finn, unser Fotograf, auf dem Nachtflug von Hamburg nach Miami tief und fest. Entsprechend fit und ausgeruht steigt er aus dem Flieger, während ich gähnend hinter ihm herstolpere und ab und zu unauffällig versuche, meine dank der unbequemen Economy-Sitze verspannten Schulter- und Nackenmuskeln zu lockern.
Nachdem wir meine Reisetasche vom Gepäckband geholt haben – Finn hat fast nur seine Fotoausrüstung dabei, da er abends wieder zurückfliegen wird – und durch die Einreisekontrolle durch sind, suchen wir unseren Anschlussflug nach Bimini.
Die Maschine ist klein, der Flug kurz. Von oben erhasche ich einen ersten Blick auf die Insel: Ein schmaler Strich mit einer Lagune. Als wir tiefer gehen, erkenne ich Häuser, viel Grün und eine winzig aussehende Landebahn. Der Pilot landet trotzdem sicher auf der Asphaltpiste und rollt zu einem kleinen Gebäude, vor dem er den Motor ausstellt. Wir klettern aus dem Flieger, ich ergreife meine Reisetasche – eigentlich blöd, sie mitzunehmen, aber ich hatte am Flughafen Miami keine Schließfächer gefunden – und folge Finn und den anderen Passagieren in das Gebäude. Diesmal dauern die Einreiseformalitäten nur wenige Minuten, und erst jetzt wird mir klar, dass ich die USA, kaum gelandet, schon wieder verlassen habe.
Vor dem Flughafengebäude empfängt uns warmer, feuchter Bahamas-Wind. Ich fange augenblicklich an zu schwitzen. In Miami habe ich mein sportliches, wärmendes Fleeceshirt gegen eine weiße Bluse getauscht, trage aber immer noch die gleiche cremefarbene Leinenhose, die ich schon während des Nachtflugs anhatte. Beides ist inzwischen ziemlich zerknittert. Ich suche in meiner Tasche nach einem Haargummi und binde meine Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen. Trotzdem rinnt mir bereits jetzt der Schweiß vom Nacken den Rücken herunter.
Ein muskelbepackter Hüne, der sich als Trevor vorstellt, holt uns ab. Dankbar klettere ich neben Finn auf den Sitz des klimatisierten Vans, während Trevor unser Gepäck im Kofferraum verstaut.
Nach einer kurzen Fahrt hält er an einem Anleger, von wo aus es, wie er uns erklärt, per Boot weitergeht. Tatsächlich legt gerade ein kleineres Motorboot an. Hinter dem Steuer steht ein Junge, der so klein ist, dass er, obwohl er auf Zehenspitzen steht, kaum über das Lenkrad sehen kann. Hilfreiche Hände von Mitpassagieren strecken sich uns und unserem Gepäck entgegen und helfen uns an Bord, dann legt der Junge direkt wieder ab. Der Fahrtwind ist angenehm, aber bevor ich mich abkühlen kann, haben wir schon das andere Ufer erreicht.
Am Kai steuert Trevor auf einen uralt aussehenden Pickup Truck zu, ein krasser Gegensatz zu dem modernen Van, mit dem wir den ersten Teil der Strecke zurückgelegt haben. Der Fahrersitz befindet sich auf der rechten Seite – anscheinend fährt man auf den Bahamas links. Das hatte ich vorhin gar nicht gemerkt.
Ich muss mich zwischen Trevor, Finn und die Gangschaltung auf die Vorderbank quetschen. Deshalb bin ich froh, als wir nach ein paar Minuten über eine holprige, schmale Straße vor einem Haus halten, von dem man vor lauter Blumen und Sträuchern nicht viel sehen kann.
Während Finn und ich unsere Sachen zusammensuchen und aussteigen, schließt Trevor hinter uns das Tor. Dann führt er uns ums Haus herum. Ich sehe einen Garten, noch mehr Blumen und direkt am Ende des Gartens das Meer, ein Streifen dunkles Türkis.
»Soll das Interview etwa hier stattfinden?«, zische ich Finn zu, der aber nur mit den Schultern zuckt. Offenbar hat Nele, Margies Assistentin, ihn genausowenig wie mich über Details unserer Reise informiert.
Ich hätte alles Mögliche erwartet – ein Fünf-Sterne-Hotel, eine Bar, ein Tonstudio, Backstage in einer Konzerthalle, alles typische Locations, in denen Interviews stattfinden – aber diese Holzvilla sieht alt aus und versprüht einen leicht abgewrackten Charme. Sie hat eine Veranda wie in alten Südstaaten-Filmen, auf der ein Schaukelstuhl steht. Das Gebäude selbst ist gelb gestrichen, Fensterrahmen und Veranda braun, die Tür pink. »Relax, you’re on Bimini« steht über der Eingangstür. Es ist ein Haus, das ich zwar mit Karibik, aber auf keinen Fall mit Punkmusik assoziiere.
»Al wartet im Salon auf euch.«
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