Der behende Herr im feierlichen Anzug nickte höflich in die Runde, sagte »Grüss Gott« und fragte: »Wie kann ich von hier zum Alphornpalast kommen?« Niemand wusste es. Als jemand zögernd sagte: »Hier gibts nirgendwo einen solchen Palast«, befeuchtete der Herr mit der Zungenspitze kurz seinen rechten Zeigefinger, streckte diesen in die Höhe. Dann bedankte er sich, wieder sehr höflich in die Runde der verblüfften Gesichter nickend, und ging entschlossen westwärts.
Kannst du Feuer machen? fragte der Bub.
Glaub schon, sagte der Vater.
Warum hast du mir noch nie ein Feuer gemacht?
Wo soll ich dir ein Feuer machen, Bub? sagte der Vater. Hier in der Wohnung kann ich nicht Feuer machen. Hätten wir ein Cheminée, wärs was anderes.
Warum nicht in eine Wohnung zügeln, wo wir Feuer machen könnten? fragte der Bub.
Eine Wohnung mit Cheminée ist zu teuer.
Der Bub dachte nach. Dann schlug er vor: Aber unten auf dem Rasen, da könntest du mir doch ein Feuer machen.
Geht nicht, sagte, der Vater, das ist verboten.
Wer verbietets?
Die Hausverwaltung unseres Hauses, die Hausverwaltungen auch der anderen Häuser. Alle Mieter aus allen Häusern würden sonst ebenfalls auf dem Rasen Feuer machen wollen. Das ginge zu weit.
Und warum ginge das zu weit?
Der Rauch würde in die Wohnungen der Leute eindringen. Auch ich möchte nicht, dass es hier in der Wohnung nach Rauch stinkt.
Und draussen, dort wo die Stadt aufhört? fragte der Bub. Da würde der Rauch in keine Wohnungen kommen.
Wie stellst du dir das vor, draussen vor der Stadt? Man kann doch nicht einfach hingehen und auf dem erstbesten Feld ein Feuer machen. Jedes Feld gehört einem Bauern. Und der würde die Polizei holen, wenn wir Leute aus der Stadt hinauskämen und alle anfangen würden, auf seinen Feldern mir nichts dir nichts Feuer anzuzünden.
Und im Wald? fragte der Bub. Oder gehört der Wald auch den Bauern?
Mal ja, mal nein, ich weiss nicht, sagte der Vater, aber im Wald ist Feuermachen gefährlich. Wenns trocken ist, könnte das Feuer sich weiterfressen, der Wald zu brennen anfangen. Ists dagegen feucht, gibts vor allem Rauch, doch kein richtiges schönes Feuer.
Ich möchte aber so gerne lernen, ein richtiges schönes Feuer zu machen, sagte, traurig geworden, der Bub.
Willst du nicht zu den Pfadfindern gehen? Sagte der Vater. Pfadfinder machen hie und da Feuer.
Wo denn? wollte der Bub wissen.
An ganz abgelegenen Orten, wo ein Bauer es ausnahmsweise erlaubt, dass die Pfadfinder Feuer machen. Er erlaubts aber nur, weil es Pfadfinder sind.
Doch kannte der Bub keinen anderen Buben, der Pfadfinder war und hatte deshalb keine Lust, Pfadfinder zu werden.
Dann eben musst du warten, bis du zum Militär kommst, sagte der Vater, zum Militär muss jeder und das Militär darf überall Feuer machen.
Der Bub dachte nach. Aber wenn ich zum Militär komme, sagte er schliesslich, und noch immer nicht weiss, wie man ein Feuer macht, werde ich ausgelacht.
Ach wo, sagte der Vater, im Militär hat man gute Kameraden.
Aber das dauert noch lange lange, sagte der Bub.
Das schon, musste der Vater zugeben.
Und wer weiss, ob sie mich überhaupt nehmen werden beim Militär, sagte der Bub.
Na ja, wart mal ab, sagte der Vater.
Aber vielleicht sterbe ich, bevor ich zum Militär komme und bevor ich einmal ein Feuer gemacht habe, sagte der Bub.
Ach geh, lachte der Vater.
Plötzlich hatten sie ihn umzingelt und gepackt, bogen seinen rechten Arm bis zu den Schulterblättern empor, trieben ihn mit Püffen, Fusstritten vorwärts, einander um die Wette ausmalend, wie sie das Bubi im nahen Wald jetzt dann bis aufs Blut quälen, foltern und, warum eigentlich nicht, auch hinrichten wollten, etwas besseres habe so ein Herrenbüblein und Höseler ja auch nicht verdient.
Im Namen des Gesetzes! schrie einer, den sie Sheriff nannten, vielleicht, weil ihm bereits Barthaare sprossten.
Gestossen, geboxt fiel der Eingefangene hin, wurde am Hemdkragen wieder hochgerissen, eine Knieschramme blutete.
Er stört, sein blosser Anblick beleidigt uns, wiegelte der Sheriff auf. Weg mit ihm, er muss weg! brüllten die andern.
Nirgends Hilfe, die Felder menschenleer.
Schnell, schneller! hetzten die Richter, die Henker. Und schlugen auf ihn ein: Mach dein Testament, Bubi! Sollen wir Mami nachher einen Gruss bringen von dir? Gewiss wird sie ob deines Todes untröstlich sein.
I wo, krähte einer, gern wird der Papi ihr ein anderes Bubi machen, ein besseres sogar.
Im Wald wurde der jetzt käsbleiche Bub mit dem Strick, den ein Blondschopf lange schon wie ein Lasso hatte durch die Luft wirbeln lassen, an einen Buchenstamm gebunden. Unter Schmähungen, wilden Drohungen hob rund um das Opfer eine Art Kriegstanz an. So ist das Leben, so wills die Gerechtigkeit, schrie der Sheriff, von einem Bein aufs andere hüpfend, schwört ihr, über alles, was hier jetzt abläuft, zu schweigen wie das Grab? Die Hüpfer und Tänzer reckten Schwurfinger empor: Wie das Grab, wie Bubis Grab, ja, wir schwören, wir schwören bei unserem eigenen Blut, bei Super-Man, bei Rambo, dem heiligen Rächer, bei allem, was stark ist und gerecht!
Der Bub, am Buchenstamm fixiert, der Strick schmerzte, wollte tapfer bleiben, doch Schluchzen überwältigte, schüttelte ihn.
Wer hat dir denn erlaubt, so erbärmlich zu heulen, du Nussgipfel, du Schwächling? fuhr ihn der Sheriff an, noch immer tanzend, wer überhaupt erlaubt dir, so feige zu sein?
Seine Feigheit schreit nach Strafe, brüllte die Meute, sie stinkt zum Himmel, sie beleidigt den grossen Manitou.
Der Tanz ebbte ab, hörte auf.
Schuldig oder nicht schuldig? fragte der Sheriff.
Schuldig, schuldig, was denn sonst! krähte die Bande. Und plötzlich blitzte eine Messerklinge, wurde dem Bub an die Gurgel gesetzt. Der, schreckensstarr, brachte keinen Laut mehr hervor, pisste hilflos in die Hosen, an die blossen Beine.
Pfui Teufel! schimpfte der Sheriff, als ers bemerkte. Pfui, pfui! auch die andern und traten mit ihren Schuhen nach den Schienbeinen des Opfers: Schweinigel, Hosenbrünzler! Hände, Finger zerrten, rissen ihm die feuchten Kurzhosen, den nassen Slip auf Füsse und Sandalen herab.
Ha! Wenn Änneli dich jetzt sehen würde, höhnte einer, ist doch dein Schatz, oder nicht? Würde wohl Augen machen, wenns dich sähe, so ein Bubi, ein feiges, so ein Schnäbi, ein kleines!
Schneiden wirs doch ab, wurde vorgeschlagen, dann ist fertig gebrünzelt! Und flugs war die Messerstahlklinge an der Wurzel des kleinen Pimmels.
Nein nein! heulte der Bub entsetzt auf.
Wiehernd weideten sich die Richter, die Henker an seiner Angst: Geschieht dir recht, du Bettnässer, du Schmutzfink!
Dann aber entschied der Sheriff: Genug jetzt!
Der Bub wurde losgebunden. Hoch im Bogen flogen seine Hosen, sein Slip, von Pfuirufen begleitet, ins übernächste Gebüsch.
Dass du uns nie wieder unter die Augen kommst! drohte der Sheriff. Hast du verstanden: Nie wieder! Bleib beim Mami und lass dir Märlein erzählen. Hier draussen hast du nichts zu suchen, kapiert? Wenn du dich wieder zeigst, machen wir kurzen Prozess mit dir.
Nur in Hemd und Sandalen rannte der Bub davon, stolperte über eine Wurzel, fiel hin, rappelte sich wieder auf, rannte in Panik dem Waldausgang zu.
Höhnisch schrieen sie hinter ihm her: Lauf, Bubi, lauf!
Er musste, da es von der Alpweide aus keinen anderen Einstieg in die Schlucht gibt, über den steilen Wald- und Gestrüpphang gekommen, zuletzt wohl vor allem heruntergerutscht sein, bis dass die Schuhsohlen die ersten Sprossen jener halb schon verfaulten Leiter erreicht hatten, die über ein Felsband direkt auf den Schluchtpfad, den immer feuchten, hinabführt. Was mag er gesucht haben hier unten, wo der Schwarzbach sich zwischen Felswänden hindurch- und über Gesteinsblöcke oder querliegende Baumstämme hinwegkämpft? Bizarre Steine vielleicht oder lichtscheue Pflanzen? Ausser schwarzem Holunder da und dort am Wegrand weist die Schlucht, in die niemals ein Lichtstrahl fällt, zwar reichlich Moos, jedoch kaum Pflanzenwuchs auf. Tiere gibts hier keine, nie ist ein Vogellaut zu hören. Was also mag der Alleingänger gesucht haben? War er einfach neugierig gewesen? Doch was solls? Er war gekommen und plötzlich hatte es ihn erwischt, ausgerechnet hier.
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