Sein Haar ist dunkel und bedeckt sein Gesicht, das die typische sonnengeküsste Farbe der Menschen hat. Ich streiche es beiseite und es fühlt sich rau und dennoch fein unter meinen Fingern an, als ich es berühre. Welche Farbe wohl seine Augen haben? Sein Kinn deutet Entschlossenheit an. Seine Wange zeigt einen frischen Schnitt, die Haut feine Linien, die sicher tanzten, wenn er lachte. Bedauern erfüllt mich.
Da höre ich Isidiras Stimme, die mich zu sich ruft. Doch als ich mich gerade lösen will, spüre ich eine Berührung, einen Griff um mein Handgelenk. Erschrocken keuche ich auf und unsere Blicke verfangen sich.
Es wird sein, als würden alle Sterne der Nacht auf einmal aufleuchten.
»Lass mich los«, flüstere ich lautlos und versuche, meine Hand aus der seinen zu lösen.
Seine Augen werden heller strahlen als die Sonne.
Doch der Griff ist zu stark. Als würde er sich mit aller noch verbliebenen Kraft an das Leben klammern. Hoffen, dass ich ihn retten kann. Wie falsch er doch liegt .
Das Meer verstummt, die Zeit bleibt stehen.
Sein Mund sagt kein Wort und doch prasseln die Fragen auf mich ein.
Und dein Herz wird wissen: Er ist es!
Mit einem Flossenschlag löse ich den Bann und tauche ab. Die kalten Wogen löschen die Hitze, die mein Herz in Brand gesetzt hat, und ich flüchte vor dem Gefühl, in mir selbst zu ertrinken.
Immer weiter schwimme ich, nur weg von diesen Augen, die bis auf den Grund meiner Seele geblickt haben. Fort, nur fort.
Doch dann trifft mich der Gedanke wie ein Schlag: Isidira!
Ich halte inne und blicke umher, doch sie ist nirgends zu sehen. Schnell drehe ich um und schwimme erneut nach oben. Als ich durch die Wasseroberfläche stoße, sehe ich, wie meine Schwester den Fremden in ihren Schoß gezogen hat. Wie sie mit ihrer Hand seine Stirn streichelt.
Doch sein Blick ist abgewandt, suchend – bis er den meinen findet. Und ihn festhält.
»Isidira!«, sende ich panisch den stummen Ruf nach meiner Schwester aus, die viel zu lange braucht, um aufzusehen. »Wir müssen zurück!« Zögernd lässt sie von ihm ab, küsst seine Stirn, und nach einer gefühlten Ewigkeit ist sie endlich wieder an meiner Seite und wir tauchen hinab in die Sicherheit der Tiefe.
»Er ist es«, höre ich dich beschwörend murmeln. »Ich bin mir sicher!«
»Wie kannst du dir sicher sein?«, schnaube ich.
»Ich weiß es einfach«, beharrst du.
»Mir ist nicht aufgefallen, dass das Meer verstummt wäre«, versuche ich dir die Hoffnung zu nehmen.
»Er war verwirrt, er hätte mir sicher in die Augen gesehen, wärest du nicht dazugekommen«, antwortest du ungewohnt heftig.
»Du hättest alles vergessen und wärest nie mehr zu mir zurückgekommen!«
»Na und? Das ist es wert.«
»Es ist ein Mensch !« setze ich gekränkt den finalen Stich.
»Er ist es«, höre ich dich beschwörend murmeln. »Ich bin mir sicher!«
Doch es klingt, als müsstest du dich selbst davon überzeugen, während ich … eine seltsame Leere spüre, die sich in mir ausbreitet, seit er mich mit seinen dunklen Augen angesehen hat.
Als wir auf dem Meeresgrund ankommen, schwimmst du, ohne mich eines Blickes zu würdigen, davon.
Es war das einzig Richtige , beschwöre ich mich selbst.
Warum fühlt es sich dann an, als würde mein Herz in Stücke gerissen werden?
Nichts erfreut mich an diesem Tag. Weder das Spiel der Strömungen, die wunderschöne Muster in den Sandboden malen, noch das Spiel mit den Fischen, die mich umschweben und auf Streicheleinheiten hoffen. Meine Gedanken sind an der Wasseroberfläche gefangen und ich denke mit jedem vergehenden Moment intensiver darüber nach, zurückzuschwimmen.
Nur ein einziger Blick , lockt die Stimme in mir.
Als die Sonne untergeht, kann ich mich nicht mehr bezwingen, und rascher als je zuvor tauche ich hinauf – und entdecke dich, wie du auf unserem Felsen sitzt und wartest. Dein verträumter Blick schmerzt mich. Schon möchte ich zu dir schwimmen, doch da sehe ich ein Pferd an den Strand galoppieren, angetrieben von seinem ungeduldigen Reiter. Er rast heran – um dann abrupt die Zügel zurückzureißen. Er sieht das Wesen, das im Mondlicht badet, und ich sehe, was der Anblick in ihm auslöst. Man sagt uns nach, wir wären wunderschön und das Licht des Mondes würde uns unwiderstehlich machen. Langsam steigt der Reiter ab und kommt auf dich zu.
So ist es richtig , rede ich mir zu, während mein Herz »Bleib stehen« rufen möchte.
Ein Windhauch entblößt die nackte Brust unter deinen langen Haaren und ich sehe, wie sein Blick über dich gleitet, um doch sogleich – als würde er einen Traum abschütteln – aufs Meer hinauszuwandern.
Und den meinen wiederfindet.
Von der Intensität dieser Verbindung erschrocken, tauche ich ab und fliehe erneut in die sicheren Tiefen des Meeresschoßes hinab. Meine Gedanken verwirrt und verknäult wie verkrustetes Seegras.
All die Nächte habe ich ihn herbeigerufen. Für sie! Er gehört ihr! , versuche ich mich zu überzeugen.
Auch wenn ich weiß, dass dem nicht so ist.
Nach einer durchwachten Nacht findest du – meine über alles geliebte Schwester – dich endlich wieder bei uns ein. Mit glänzenden Augen und einer zarten Färbung auf der Haut, die selbst unserem Vater nicht verborgen bleibt. Doch nicht der Kandidat der heutigen Brautschau erfreut dich. Ich weiß es besser.
Und dieses Wissen fühlt sich an, als würden scharfkantige Muschelschalen in meiner Haut stecken.
Als du nicht erscheinst, obwohl der Besuch seine Aufwartung macht, tobt Vater. Und auch wenn er es sich nicht eingestehen möchte – er hat dies schon einmal erlebt. Den fieberhaften Ausdruck, das sanfte Strahlen, das einem inneren Leuchten gleich von dir ausgeht – all das ist nicht unbekannt, denn es verfolgt ihn jede Nacht in seinen Träumen.
Tu etwas!, fleht er mich wortlos an, nachdem er den Besuch auf den nächsten Tag vertröstet hat.
Doch alles Zureden ist sinnlos. Und das weiß er genauso wie ich.
»Er ist es«, flüsterst du plötzlich neben mir, und das Leuchten, das inzwischen deinen ganzen Körper zum Strahlen bringt, lässt mich verstummen.
»Du hast es mir so oft versprochen, Schwester. Freust du dich nicht mit mir? Er ist es! Seinetwegen lebe ich noch!«
Er, der Retter, der dich in endlosen Nächten am Leben erhalten hat, wenn die einzige Heilung die Hoffnung war.
Und ich nicke. Er gehört wirklich dir, denn du hast ihn mit aller Kraft deines Herzens herbeigesehnt.
In dieser Nacht folge ich dir an die Wasseroberfläche. Du bist schon dort und wartest. Doch auch er findet sich schnell ein. Gemeinsam sitzt ihr auf dem Felsen, blickt euch ohne Worte an.
Ich sollte glücklich sein, doch ich kann es nicht.
Bis sein Blick suchend über das Meer streift. Und ich den Funken in seinen Augen schlagen sehe.
Ich fange ihn auf.
Und schüttle den Kopf, bevor ich abtauche.
Die Nacht fließt so träge dahin wie ein versickernder Strom. Ich höre ihn nach mir rufen. Und egal wie sehr ich mein Herz verschließe – seine Stimme verfolgt mich. Sie übertönt dein schwesterliches Geplapper nach deiner Rückkehr, als du mich kichernd in eine Felsenspalte ziehst, um mich an deinem Glück teilhaben zu lassen. »Wir werden fortgehen«, vertraust du mir an. »Sein Schiff muss auslaufen und ich werde ihn begleiten. Er weiß noch nichts davon, aber ich bin mir sicher, dass er sich wünscht, dass ich mit ihm gehe.«
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