Astrid begeistert. In vielerlei Hinsicht, aber eben auch mit ihren Geschichten. Ich bin schon gespannt auf den Roman, an dem sie gerade arbeitet.
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Das Flüstern des Meeres
Erzähle mir eine Geschichte, Schwester. Eine Geschichte, wie ich meinen Prinzen treffen werde …
Wenn das Mondlicht die Schaumkämme der Wellen liebkost und das Murmeln des Meeres nachtträge geworden ist, kann ich deine Stimme hören. Die bittenden Worte, die du unzählige Male gewispert hast, wenn der Schmerz deine Augen verdunkelte. Ich sehe meine Hand, wie sie über deine Stirn gleitet, spüre den zarten Körper, der sich Hilfe suchend an den meinen schmiegt, während die Krämpfe ihn schütteln. Und ich höre mir dabei zu, wie ich deinen Wunsch erfülle.
»Wie werde ich meinen Prinzen erkennen?«, flüsterst du jedes Mal.
Dies ist die eine Frage, auf die alles hinausläuft. Die Frage, die dein Halt geworden ist, wenn das Fieber deine Augen trübt. Lippen bewegen sich stumm mit meinen, während ich die magischen Worte ausspreche. Das Versprechen auf das gute Ende.
»Es wird sein, als würden alle Sterne der Nacht auf einmal aufleuchten. Das Meer verstummt, die Zeit bleibt stehen. Seine Augen werden heller strahlen als die Sonne. Und dein Herz wird wissen: Er ist es!«
Dann schläfst du ein. Die Hoffnung im Herzen, dass dein Körper dich nicht im Stich lässt, bis das Versprechen eingelöst werden kann. Und ich halte dich, bis die ersten Strahlen der Morgensonne den Horizont küssen, flehe um noch mehr Zeit mit dir – und um den Prinzen, um dir das Glück zu schenken, das du so ersehnst …
»Würdest du es bitte unterlassen, schlafende Kraken um ebenfalls schlafende Familienangehörige zu knoten?« Die Stimme meines Vaters klingt streng, während er mich zurechtweist, doch mehr amüsiert als verärgert. Meine kleine Schwester kichert und blickt mit leuchtenden Augen zu mir auf. Alles, was sie zum Lachen bringt, ist einen Tadel wert.
»Eure Cousine wird schon bald wieder abreisen, solange wünsche ich, dass sie unbehelligt bleibt.« Ein letzter mahnender Blick und der Griff um meine Flosse lockert sich.
Blitzschnell schnappe ich die Hand meiner Schwester und wir schwimmen aus der riesigen Meereshöhle hinaus, die mein Vater fast nie verlässt.
»Hast du die Abdrücke der Saugnäpfe auf Tirlaras eingebildetem Gesicht gesehen, als sie den Kraken endlich losgeworden ist?«
Es ist so eine Wonne, das Kichern meine Schwester zu hören, das in unzähligen kleinen Luftblasen aufsteigt und uns umtanzt. Ich wusste, dass ihr der Streich gefallen würde. Es macht nichts, wenn wir Besuch vergraulen, denn es hat sich schon längst der nächste angekündigt. Mein Vater hat es sich zur Aufgabe gemacht, seine traumverliebten Töchter schnellstmöglich und politisch geschickt zu verbinden. Doch wir wissen es nicht zu schätzen, dass uns die hoffnungsvollen Söhne der benachbarten Meeresdynastien ihre Aufwartung machen. »Spürst du was?«, frage ich meine Schwester jedes Mal neugierig, wenn ihr wieder ein Prinz hoffnungsvoll tief in die Augen geblickt hat.
»Den dringenden Wunsch davonzuschwimmen!«, lautet stets die Antwort in diesem Ritual, das wir uns in den durchbangten Nächten ausgedacht haben. Und dann entfernen wir uns so schnell es die Etikette erlaubt, überlassen es den älteren Schwestern, neue Allianzen zu sichern und Verantwortung für unser Reich auf sich zu nehmen.
Meine Verantwortung ist meine kleine Schwester. Niemand hatte mich darum gebeten, aber ich spüre in meinem Herzen, seit meine Mutter sie mir in die Arme gelegt hatte, dass nur ich sie verstehe und nur ich sie würde beschützen können. »Pass gut auf sie auf«, hatte meine Mutter gesagt, mir die Stirn geküsst und war, ohne sich umzusehen, aus unserem Leben geschwommen. Ich wusste, dass sie dabei weinte, denn ihre Tränen vermischten sich mit den meinen im Ozean, der uns alle in sich trug, aber nicht vor dem bewahren konnte, was unser Schicksal für uns vorgesehen hatte.
Nichts geht verloren, was einmal vom Wasser des Meeres umspült wurde. Gefühle, Erinnerungen, Leben. Das Meer nimmt uns in sich auf und erinnert jede einzelne Geschichte. Ich sehe das Gesicht meines Vaters vor mir, der sich bekümmert abwendet, wenn sein Blick auf mich fällt. Er liebt mich, verzeiht mir viel von meinem Ungehorsam, weil ich mich um seine jüngste Tochter kümmere, die ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten scheint. Und ihn jeden Tag daran erinnert, dass er das Wichtigste in seinem Leben verlor.
Bleibt auf dem Meeresgrund . Eine so einfache und doch so unerfüllbare Forderung. Wie kann man sich einer ganzen Welt verschließen, die man einmal gesehen hat? Die Welt der Menschen ist fremd und seltsam. Und gefährlich. Sie haben keine Flossen und ihre Herzen sind wankelmütig. Wenn sie sagen »Ich liebe dich«, können sie sich einen Wimpernschlag später schon wieder umentschieden haben.
Als gäbe es eine Wahl.
»Das wird mir nie passieren«, flüstere ich jede Nacht, bevor die Wellen mich in den Schlaf wiegen. Versprechen und Drohung zugleich. Mein Platz ist hier bei meiner Schwester, deren Augen hell wie der Mond strahlen und in denen alle Sehnsüchte der Welt liegen. Eingeschlossen in einen schwachen Körper, der nur durch trotzige Träume weiterlebt.
»Wie werde ich meinen Prinzen erkennen?«, flüsterst du leise, bevor der Schlaf uns entführt.
»Du weißt, dass es gefährlich ist, an die Oberfläche zu schwimmen«, höre ich im Geist jedes Mal die mahnenden Worte, wenn wir es dennoch tun. Unwiderstehlich angelockt vom leuchtenden Schein des Mondes, der mit den Gezeiten ebenso spielt wie mit unseren Herzen. Der das Blut in unseren Körpern so hin- und herspült, wie Ebbe und Flut über die Strände fließen.
»Heute wird der richtige Prinz für dich dabei sein, Isidira, ich spüre es!«
Die Worte meines Vaters murmeln durch die Wogen, die uns an die Oberfläche tragen. Vielleicht hat er recht. Aber auch er ist nur ein Spielball des Schicksals.
»Heute treffen die Söhne des Abendreiches ein«, erinnere ich dich, während wir Seite an Seite dem Licht entgegenschwimmen. Du hast keinen Blick für mich, keinen Gedanken an die Prinzen auf dem Meeresgrund. Du bist gefangen in deinem Wunsch, endlich ihn zu finden. Dann brechen unsere Köpfe durch die Wellen und wir sehen das Schiff, das sich im Sturm wiegt und ächzt. Du liebst den Sturm, der so toben und wüten kann wie dein eigenes wildes Herz.
Wir hören die panischen Schreie der Matrosen, als der Mast splitternd zerbricht. Sehen zu, wie das hölzerne Ungetüm in den Fluten versinkt und die Menschen mit sich reißt, nur weil sie unnütze Beine statt Flossen haben. Schwächliche Gliedmaßen, die sie nicht im Wasser tragen.
Ihre Schreie tränken das Meer und ich halte mir die Ohren zu, um das Leid auszublenden. Irgendwann verstummen sie und verabschieden ihre Seelen in die Unendlichkeit.
»Lass uns näher schwimmen«, verlangst du und ziehst an meiner Hand. Und auch wenn ich weiß, dass es das Letzte ist, was wir tun sollten, folge ich dir.
Zerborstene Schiffsplanken haben sich in dem tückischen Riff verkeilt, als würden sie die Korallen in einem hilflosen Anflug von Rachsucht bestrafen wollen. Manchmal finden wir Kisten voller Geschmeide und funkelnden Tand. Bestaunen die seltsamen Dinge, deren Sinn sich uns nicht erschließt. Ich bemühe mich, stets Abstand zu halten zu den verlorenen Seelen, und meist gelingt es mir. Doch in dieser Nacht …
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