Dort saßen bereits zwei Freundinnen von Bianca, die ich schon zuvor irgendwann gesehen hatte. Bianca selbst saß zwischen ihnen und vor einem großen Kuchen, auf dem fünf Kerzen brannten. Als sie mich erblickte, stand sie auf, lächelte und lief mir entgegen.
»Alles Gute zum Geburtstag, Bianca.« Ich schlang meine Arme um sie und sie erwiderte meine Umarmung. Genießerisch zog ich den Duft ihres Parfüms ein.
»Danke, Schätzchen.« Ich löste mich von ihr und überreichte ihr die Orchidee und das kleine Päckchen.
»Von Jan und mir. Wo ist er eigentlich?« Ich schaute mich im Raum um, sah ihn aber nicht.
»Der müsste auch gleich kommen. Überstunden, du kennst das ja.« Ich rollte mit den Augen. Typisch.
In dem Moment hörte ich den Schlüssel in der Tür und ein abgehetzter Jan stürmte in die Wohnung.
»Sorry, da bin ich.« Er lief direkt zu Bianca und umarmte sie. »Alles, alles Liebe und Gute!«
»Ich habe ihr unser Geschenk gerade gegeben«, sagte ich und gab ihm einen Begrüßungskuss.
»Na, dann kann die Party ja beginnen!«
Während Jan mit Sebastian den Tisch deckte und das von Bianca gekochte Abendessen herrichtete, packte das Geburtstagskind Geschenke aus.
»Danke für das Buch. Ein Thriller, uuuh!« Sie hob entsetzt die Hände und zwinkerte mir dann zu. »Auf eure Buchtipps kann ich mich immer verlassen. Der Roman, den ihr mir zu Weihnachten geschenkt habt, war mehr als genial. Ich habe ihn allen meinen Freundinnen weiterempfohlen. Vielen Dank.« Sie umarmte mich noch einmal und warf Jan einen Kuss zu. Dieser hatte aber gerade einen großen Topf voll Nudeln in der Hand und rief ihr daher nur ein kurzes »Gern geschehen!« zu.
Ein wohliges Schmatzen und Klappern von Besteck erfüllte den Raum. Wir unterhielten uns und die Stimmung war sehr ausgelassen und familiär. Ich genoss es, hier zu sein. Das hier waren Erfahrungen, die ich zum ersten Mal in meinem Leben machte. Gemeinsame Geburtstagsfeiern waren mir, bevor ich Jan kennengelernt hatte, völlig fremd gewesen. Die verschiedenen Stationen in Pflegefamilien sah ich nicht als Familie an. Mehr als kurze Aufenthalte in wechselnden Herbergen. Na ja, das Glück war eben nie ganz auf meiner Seite gewesen. Bis jetzt.
Als meine Mutter starb, war ich gerade mal acht Jahre alt. Aber schon davor war es alles andere als einfach bei uns zu Hause. Durch ihre Drogensucht war ich immer schon herumgereicht worden. Mal war ich bei Freunden der Familie untergebracht, mal bei Nachbarn. Auch an einen kurzen Aufenthalt im Heim konnte ich mich dunkel erinnern.
Nach ihrem Tod war ich in vier verschiedenen Pflegefamilien, bevor mir endlich erlaubt wurde, alleine zu leben. Ich hatte das ständige Hin und Her einfach satt. Zum Glück war mein Amtsvormund damit einverstanden gewesen. Er hielt mich für zuverlässig und vernünftig. Womit er natürlich auch recht hatte. Einerseits war ich froh, endlich alleine zu leben. Mein Zimmer nicht mehr teilen zu müssen und mein eigenes Reich für mich zu haben. Andererseits genoss ich es auch, hier bei Jans Familie sein zu dürfen. Das machte mich glücklich.
Plötzlich hörte ich ein Vibrieren und fasste automatisch an meine Hosentasche. Das war wie bei diesem pawlowschen Hund. In Sachen Handynutzung waren wir doch alle schon konditioniert ohne Ende. Allerdings war es nicht mein Handy, das brummende Laute von sich gab. Jan erhob sich mit vollem Mund von seinem Stuhl und murmelte: »Bin gleich wieder da ...«
Ich hörte noch ein »Was ist, Fernanda? Wir sind gerade beim Essen«, dann schloss er die Tür hinter sich und es wurde ruhig.
Wir schauten ihm hinterher und widmeten uns dann wieder unseren Tellern.
»Das stört dich nicht?« Bianca schob sich eine Nudel in den Mund und schaute mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.
»Dass er immerzu arbeitet? Na ja, man gewöhnt sich daran«, gab ich etwas genervt zurück und zuckte mit den Achseln.
»Ich meinte eher, dass er in einen anderen Raum geht, um mit einer Frau zu telefonieren ...«
Ich hielt kurz in meiner Bewegung inne. Klar fand ich das nicht toll, aber allzu sehr hatte ich mir darüber noch keine Gedanken gemacht. War das ein Fehler?
»Eigentlich nicht. Ist ja eh nur geschäftlich.« Das hoffte ich zumindest. Bei ihm war ja, seit er in der Agentur arbeitete, immer alles geschäftlich.
»So hat es bei seinem Vater auch angefangen.«
Was war denn das für ein doofer Kommentar? Da blieb mir doch fast das Essen im Halse stecken. Ich wusste, dass ihr Mann sie für eine Jüngere verlassen hatte. Aber sie konnte das doch nicht mit meinem Jan vergleichen. Jan hatte das ganze Drama doch hautnah miterlebt. Fremdgehen war seitdem für ihn das absolute Tabu. Ein rotes Tuch. Ein No-Go. Er konnte nicht mal Filme ertragen, in denen fremdgegangen wurde. Nicht selten war das der Moment, in dem er die Fernbedienung ergriff, um kopfschüttelnd und wutschnaubend umzuschalten. Beim Film Eiskalte Engel hatte er zwischendurch fast einen Tobsuchtsanfall bekommen. Sex and the City mochte er schon gar nicht mehr mit mir schauen. Er ärgerte sich einfach jedes Mal viel zu sehr, wenn Carrie und ihre Freundinnen wieder einmal betrogen wurden oder selbst fremdgingen. Nein. Jan war nicht so wie sein Vater. Nie und nimmer.
Ich schüttelte den Kopf und lächelte Bianca an. Sie meinte es nicht so. Vielmehr spürte ich, dass sie immer noch verletzt war und die Trennung bis heute nicht ganz verkraftet hatte. Aber wer konnte ihr das übel nehmen? Die große Liebe zu verlieren, ist immer tragisch.
Wie schlimm, konnte ich nur erahnen.
»Ich vertraue Jan«, gab ich selbstsicher zurück.
Sie nickte.
Versetzt
Nach dem Klingeln schnappte ich mir meine Tasche und lief zum Treffpunkt des Abi-Party-Komitees. Im Gemeinschaftsraum der Oberstufe saßen bereits knapp 20 Schülerinnen und Schüler, die alle durcheinander schnatterten.
Pablo stand in der Mitte, klatschte in die Hände und wartete, bis es ruhig wurde.
»Leute, super, dass ihr alle da seid. Dann kann‘s ja losgehen! Soviel vorab: Ich habe bereits eine Location reserviert.« Die Menge jubelte Pablo zu. Zum Glück hatte er die Planung federführend in die Hand genommen. Sonst würde diese Party wohl nie stattfinden.
»Außerdem«, der Jubel wurde leiser, alle hingen an seinen Lippen. »Na ja, ein Kumpel von mir ist DJ. Er meinte, für einen Fuffi würde er uns musikalisch durch den Abend führen. Also wenn ihr einverstanden seid, dann ...« Wieder applaudierten alle und zeigten damit, dass sie mehr als nur einverstanden waren.
»Jetzt bin ich mal gespannt auf eure Vorschläge. Wir müssen uns aufteilen. Wir benötigen noch Technik für die Musik- und Lichtanlage, Getränke, vielleicht auch Knabberzeug. Außerdem müssen ein paar Leute am Abend selbst arbeiten. Wir brauchen einige beim Getränkeausschank und vier bis fünf Jungs sollten nüchtern bleiben und für die Sicherheit sorgen. Oder wir nehmen noch etwas aus unserer Stufenkasse und engagieren einen Security-Dienst, was meint ihr?«
Und da ging die Diskussion los. Einige hatten Kontakte zu Getränkelieferanten oder auch zu Bands, die eventuell noch auftreten könnten. Zwei Jungs aus meinem Physikkurs meldeten sich freiwillig, um sich um die Technik zu kümmern.
Pablo hatte mich kurzerhand mit ihm für den Getränkeausschank eingeteilt. Zum Glück in die erste Schicht, dann hatte ich nach Feierabend auch noch etwas von der Party. Die könnte nämlich echt gut werden.
»Freust du dich?« Pablo erschien auf einmal neben mir und pikste mir in die Seite. Ich schreckte zusammen, was ihn zu amüsieren schien.
»Wird bestimmt lustig, du hast ja alles schon gut durchgeplant.«
Seine Wangen färbten sich rot und er versuchte, seine Verlegenheit mit einem gezielten Boxhieb gegen meine Schulter zu überspielen. Autsch.
Wir unterhielten uns noch weiter über Organisation, Musik und Arbeitsaufteilung, bis ich beim Läuten der Schulglocke zusammenfuhr.
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