„Ich hab’ doch schon gesagt, daß es mir leid tut, Miß Reynolds“, unterbrach er ihren Redefluß. „Was wollen Sie denn jetzt noch, gottverdammt noch mal? Ich verspreche Ihnen, Sie nie wieder zu beleidigen. Und ich habe Sie doch bereits gebeten, den letzten Teil unseres Gesprächs zu vergessen. Was …“
Die Schwester rannte bereits aus dem Zimmer.
„Herrgott im Himmel!“ knurrte Dr. Brandywine vor sich hin. Dann seufzte er und ging wieder in seine Wohnung hinauf. Als er im Bett lag, versuchte er sich abzulenken, indem er an die rothaarige Schwester dachte, die ihren subtilen Duft auf den Kissen hinterlassen hatte. Während Miles zur Zimmerdecke hinaufstarrte, überlegte er wieder einmal, wie diese Schwester eigentlich hieß. Er erinnerte sich jedoch nur daran, sie stets ‚Darling-Girl’ gerufen zu haben, weil ihm einfach der Name nicht einfallen wollte. Das war nicht gerade sehr erfreulich für ihn.
Er hielt es irgendwie für unanständig, sich nicht einmal mehr an den Namen dieser rothaarigen Schwester erinnern zu können, die er während der letzten Woche jede Nacht gebumst hatte. Er stellte sich wieder ihren Anblick vor, als sie sich ausgezogen hatte. Da hatte er zwar bereits gewußt, daß er ihrer allmählich überdrüssig wurde, aber er hatte doch einen Steifen bekommen und die Rothaarige haben wollen. Doch dann hatte sie angefangen, über Dinge zu reden, die darauf schließen ließen, daß sie es auf eine permanente Bindung abgesehen hatte. Offensichtlich glaubte sie in ihrem hübschen Köpfchen bereits Hochzeitsglocken läuten zu hören. Bei dem Gedanken, sich in diesem dichten Netz aus rotem, gekräuseltem Fotzenhaar einfangen zu lassen, war Miles innerlich heftig zusammengeschaudert. Neiiiin! Du lieber Himmel … nein ! dachte er jetzt, während er spürte, wie ihm der kalte Schweiß auf der Stirn ausbrach. Statt sich noch länger mit dem Gedanken an eine Wiederverheiratung herumzuschlagen, hielt er es doch für besser, erneut an das tragische Geschehen um Dr. Joel Penny zu denken.
Gut versteckt im tiefen Schatten der alten Weidenbäume, die rund um die Penny-Residenz wuchsen, stand Alfred Turner, die Hände in den Taschen vergraben und die Schultern weit nach vorn gebeugt. Wieder und immer wieder flüsterte er ein einziges Wort vor sich hin: „Scheiße!“ Er beobachtete, wie der große Lincoln auf die Auffahrt einbog. Seine kleinen, gemeinen Augen blickten verstohlen ins Dunkle. Es war fast fünf Uhr morgens. Alfred sah zu, wie der weißgekleidete Pfleger dem verletzten Arzt behilflich war, die Stufen hinaufzusteigen. Er beobachtete, wie die Beleuchtung auf der Veranda aufflammte. Eine schlanke, blonde Gestalt zeichnete sich sekundenlang gegen das helle Licht ab.
Alfred Turner wußte, daß dieses blonde Mädchen die Ehefrau des Arztes war. Er hatte gehofft, daß Sandra noch einmal ausgegangen wäre und irgendwo herumgefickt hätte. Alfred wußte alles über Sandra Pennys Leidenschaft für jüngere Männer. Nachdem sein Anschlag auf das Auto des Doktors fehlgeschlagen war, hatte Alfred wenigstens gehofft, jetzt das Vergnügen zu haben, beobachten zu können, wie der Arzt wegen der Abwesenheit seiner jungen, schönen Frau mißmutig oder gar wütend sein würde. Alfred drückte sich noch enger an den dicken Baumstamm, der ihn verbarg. Dabei murmelte er erneut vor sich hin: „Scheiße!“ Dann beobachtete er, wie die junge Frau ihren Mann umarmte. Verdrossen mußte Alfred zugeben, daß Sandra Penny eine ausgezeichnete Schauspielerin war, selbst wenn sie ansonsten eine Schlampe war.
Der Pfleger kam zurück und setzte sich hinter das Steuer des Lincoln, der — wie Alfred wußte — Dr. Brandywine gehörte.
Dr. Penny war inzwischen ins Haus gegangen. Die dunklen Wolken am Himmel waren westwärts gewandert. Alfred Turner wußte, daß er nun in sein kleines Zimmer in der schäbigen Pension zurückkehren mußte, um einen neuen Plan auszuarbeiten, wie Dr. Penny am besten getötet werden könnte. Ohne den geringsten Laut zu verursachen, verließ er die Penny-Besitzung.
Als Dr. Royal im Krankenhaus eintraf, wurde er von der atemberaubenden Rezeptionistin begrüßt, die Dr. Brandywine erst letzte Woche eingestellt hatte.
„Guten Morgen, Doktor. Heute gibt’s eine schlechte Nachricht. Letzte Nacht wurde in Dr. Pennys Auto eine Bombe installiert. Sie ist aber nicht sofort explodiert, sondern hat zunächst nur einen Wagenbrand ausgelöst. Doch Dr. Pennys Hände sind bös verbrannt. Ich fürchte also, daß Sie heute einen sehr anstrengenden Tag haben werden.“
Dr. Royal verbarg seinen anfänglichen Schock über diese wirklich schlimme Nachricht und nickte nur kurz. Dann erkundigte er sich nachdem Grad der Verbrennungen, die Dr. Penny erlitten hatte. Schließlich fragte er noch, ob die Polizei bereits Hinweise auf den Täter hatte.
„Verbrennungen zweiten Grades“, gab die Rezeptionistin Auskunft. „Ich bin ja so froh, daß es nicht schlimmer ausgefallen ist. Das sind natürlich alle hier. Übrigens … Dr. Brandywine ist im Moment in der Unfallstation. Ein schönes Mädchen hat einen Selbstmordversuch unternommen. Ein sehr schönes Mädchen, Dr. Royal!“
Das Mädchen, das den Selbstmordversuch unternommen hatte, war eine achtzehnjährige Blondine mit dem Gesicht eines Engels und einer Figur, deren Anblick selbst einem Achtzigjährigen das Blut noch einmal schneller durch die Adern jagen dürfte.
Im Moment waren diese engelhaften Züge allerdings vor Wut verzerrt. Sie funkelte Dr. Brandywine an und stampfte mit beiden Füßen gleichzeitig auf den Boden. Sie saß mit verschränkten Händen auf einem Stuhl.
Diese kindliche Geste ließ Dr. Brandywine lächeln, und als er hörte, was das Mädchen nun auch noch zu sagen hatte, vertiefte sich dieses Lächeln zu einem breiten Grinsen.
„Persönlich halte ich Sie für einen Scheißkerl, Doktor!“
„Das geht schon in Ordnung. Sie können denken, was Sie wollen. Und was Sie von mir halten, kümmert mich überhaupt nicht.“ Er hielt beide Hände hoch. „Meine Handgelenke sind ja nicht aufgeschlitzt … und meine Eltern machen sich ja keine Sorgen um mich.“
„Was sind Sie eigentlich für ein Quacksalber?“ rief das Mädchen empört, und seine Augen funkelten zornig.
„Ich bin kein Quacksalber. Sie sind wütend. Sie wurden wütend auf Ihre Eltern, weil sie Ihnen nicht erlauben wollten, ein zerlumptes Hemd und geflickte Bluejeans zum Kirchgang anzuziehen.“
„War ja gar keine Kirche! Na, ja … ’ne Kirche war’s schon, aber es war nicht so wie bei einem Kirchgang. Ich glaube nicht an Gott. Ich bin doch nur wegen dieser Hochzeit hingegangen.“
„Und da wollten Sie dafür sorgen, daß alle statt nach der Braut nach Ihnen schauen sollten, was?“
„Das war nicht der Grund, weshalb ich ein zerlumptes Hemd und geflickte Bluejeans anziehen wollte!“ schrie das Mädchen.
„Quatsch.“
Jetzt heulte das Mädchen vor hilfloser Wut laut auf und stampfte noch härter mit den Füßen auf den Boden. Es hatte Tränen in den Augen, als es nun schwor, sich beim nächsten Mal ganz bestimmt umzubringen.
„Meine Eltern sind doch gräßlich altmodisch! So richtige Spießer! Und Sie sind genauso wie sie! Niemand versteht mich!“ Das Mädchen warf dramatisch die Arme in die Luft. Als Dr. Brandywine keinerlei Reaktion verriet, sprach das Mädchen zwar etwas leiser, aber immer noch sehr forsch. „Hören Sie, ich wollte doch nur tun, was ich immer tue. Ich wollte der ganzen Welt beweisen, daß alles einfach ein beschissener Schlamassel ist. Die Leute sind so verdammt pingelig, wenn es darum geht, was sie anziehen sollen und wie sie aussehen! Darüber vergessen sie vollkommen die wahren Werte! Wenn meine Eltern mich wirklich liebten, dann würden sie sich nicht den Kopf darüber zerbrechen, was ich auf dem Leib trage! Wichtig ist doch nur, was ich im Kopf habe! Das allein zählt doch!“
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