Bomba musste jetzt mit einem Anflug von Bitterkeit daran denken, dass er nicht immer so viel Glück gehabt hatte. Bei der Suche nach seinem Vater war er in einem Kampf mit feindlichen Kriegern durch einen heimtückischen Keulenschlag auf den Hinterkopf niedergestreckt worden, und als er nach vielen Stunden aus der Ohnmacht erwachte, waren die Kannibalen, die seinen Vater gefangen hielten, schon weitergezogen. Damals hatte ihn Azande, der Häuptling der Pygmäen, mit der Zusicherung getröstet, er werde versuchen, die Hilfe der ‚Bemalten Jäger’ für ihn zu gewinnen. Aber zu jener Zeit hatte Bomba nicht so recht an dieses Versprechen geglaubt.
Und jetzt hatte er ohne jede Mühe selbst diese möglichen Verbündeten gefunden und zugleich einen ausgezeichneten Eindruck auf sie gemacht. Als Lowando nun vorschlug, dass der weiße Junge ein Blutsbruder des Stammes werden sollte, war Bomba natürlich sehr erfreut.
„Unser Stamm wird Bomba in seine Reihen aufnehmen“, versprach Lowando. „Unsere Jäger werden stolz auf den neuen Stammesbruder sein, wenn sie erfahren, wie Bomba den Löwen besiegt hat.“
„Deine Worte sind gut, Lowando“, erwiderte Bomba nach einer angemessenen Frist des Nachdenkens. „Aber ich will ehrlich sein und dir sagen, dass ich nicht lange die Gastfreundschaft deines Stammes genießen kann. Meine Heimat ist jenseits des großen Wassers, und dort wartet auch meine Mutter auf meine Heimkehr.“
„Es soll so sein, wie Bomba es will“, sagte Lowando sofort. „Wenn Bombas Götter ihn über das große Wasser zurückrufen, dann kann er gehen, wann es ihm beliebt. Aber bis zu diesem Zeitpunkt wird er bei uns bleiben und uns auf vielen Löwenjagden begleiten.“
Bomba forschte eindringlich im Gesicht des Häuptlings. Die letzten Worte hatten besonders grimmig geklungen.
„Du bist ein großer Feind der Löwen, Lowando“, sagte er nachdenklich. „Hast du einen besonderen Grund dafür?“
Der Häuptling runzelte die Stirn und nickte.
„Dort, wo unser Stamm lebt, sind die Löwen sehr zahlreich. Sie überfallen unsere Herden und schleppen die fettesten Tiere fort. Aber nicht genug damit: sie überfallen auch Frauen und Mädchen, wenn sie am Fluss Wasser holen, und sie schleichen sogar nachts in unsere Dörfer und fallen in den Hütten auch schlafende Männer an. Sie mögen verflucht sein!“ Er machte eine heftige Gebärde und zog etwas aus seinem Beutel. „Schau! Das sind die Ohren von zwei Löwen, die wir gestern mit den Speeren erlegt haben. Wir sind auf der Fährte der Löwen in dieses Dschungelgebiet gekommen. Es ist Sitte unseres Stammes, für jeden getöteten Krieger zwei vom Geschlecht seines Mörders zu erlegen. Wir bringen also jetzt die Ohren der beiden Löwen zurück, damit der ganze Stamm weiß, dass wir unseren Bruder wirklich gerächt haben.“
„Dein Volk kann stolz auf dich sein, Lowando“, sagte Bomba. „Es ist gut, im Dschungel tapfer zu sein, denn nicht nur der Löwe ist dort der Feind des Menschen. Es gibt noch andere Feinde.“
„Richtig.“ Lowando nickte grimmig. „Es gibt die Schlangen, die mit ihrem Giftbiss einen Mann töten können. Es gibt die Leoparden und Panther, die wilden Hunde, die Krokodile und das gewaltige Nashorn. Es gibt die wilden Büffel und die bösartigen Gorillas. Und es gibt noch einen gefährlicheren Feind — “
Der Häuptling zögerte.
„Wer ist das?“ fragte Bomba.
„Die blutdürstigen Kannibalen, die Menschenfleisch verzehren.“
Jetzt endlich hatte Bomba das Gespräch zu einem wichtigen Punkt gelenkt.
„Sind die Kannibalen auch schon über deinen Stamm hergefallen, Lowando?“ fragte er.
„Ja. Und Sie sind schlimmer auf ihren zwei Beinen wie die Löwen auf ihren vier. Sie schleichen nachts an unsere Dörfer heran und brennen und morden. Dann schleppen sie auch noch Gefangene mit sich fort, um sie — wie die wilden Tiere — zu fressen. Die Kannibalen sind den Göttern verhasst, und deshalb wird auch zwischen unserem Stamme und ihnen ewiger Krieg herrschen.“
Bomba schwieg eine Weile, ehe er die nächsten bedeutsamen Sätze sprach.
„Ich habe Lowandos Worte gehört“, sagte er schließlich gemessen. „Und ich bin froh, dass die ‚Bemalten Jäger“ ebenso denken wie ich. Auch ich bin ein Feind der Krieger, die Menschenfleisch essen.“
„Haben sie deinen Stamm angegriffen?“, fragte Lowando.
Bomba lächelte unmerklich über die naive Frage.
„Ja, Lowando, sie haben einen Mann meines Stammes mit sich geschleppt, wenn du es so nennen willst. Sie haben meinen Vater in ihrer Gewalt, und ich bin über das Meer gekommen, um ihn aus der Gefangenschaft zu befreien.“
„Das ist schlimm“, sagte Lowando düster. „Aber woher weißt du, dass dein Vater noch am Leben ist?“
„Ich weiß es nicht genau. Aber als die Tage des großen Regens vorbei waren, habe ich meinen Vater noch gesehen. Ich wurde verwundet, als ich an der Seite von Azandes Kriegern gegen die Kannibalen kämpfte. Das war vor dem letzten Vollmond. Ich weiß nun nicht, ob mein Vater immer noch lebt.“
Die letzten Worte hatte er mit leiser, bewegter Stimme gesprochen, und der Häuptling legte ihm tröstend die Hand auf den Arm.
„Dann brauchst du noch nichts zu befürchten, Bomba. Wenn die Kannibalen deinen Vater bisher nicht getötet haben, muss es einen bestimmten Grund dafür geben, und sie werden ihn deshalb auch noch länger leben lassen. Vielleicht halten sie ihn für einen Zauberer, dessen Tod Unheil über ihr Volk bringen würde. Wenn du unser Blutsbruder wirst, können wir dir vielleicht helfen, deinen Vater zu befreien.“
„Du glaubst, dass das möglich ist?“, fragte Bomba hoffnungsvoll.
„Ich glaube es“, erwiderte Lowando vorsichtig. „Aber darüber muss der große Häuptling Mogolu zusammen mit den Ältesten des Stammes entscheiden. Noch in dieser Nacht wirst du Blutsbruder der ‚Bemalten Jäger’ werden, Bomba. Das kann ich selbst bestimmen. Aber ob meine Krieger mit dir nach deinem Vater suchen können, das muss Mogolu entscheiden.“
„Und wie werde ich in den Stamm der ‚Bemalten Jäger’ aufgenommen?“ fragte Bomba.
„Heute Nacht wird der Löwentanz abgehalten“, erklärte Lowando feierlich. „Und dann wird Bomba die Probe der ‚Drei Nächte’ bestehen müssen, ehe er ein volles Mitglied unseres Stammes werden kann.“
„Die Probe der ‚Drei Nächte‘?“, fragte Bomba verwundert. „Was soll das bedeuten?“
„Das wirst du heute Nacht erfahren“, erwiderte Lowando geheimnisvoll. „Es ist eine Probe, der sich alle unterziehen müssen, wenn sie zu uns gehören wollen. Ich warne dich Bomba: es wird schwer für dich sein.“
„Mag es sein, wie es will!“, rief Bomba. „Es gibt nichts, was ich nicht auf mich nehmen würde, um meinen Vater zu finden.“
4 Die Probe der Drei Nächte
An diesem Abend bereiteten sich die ‚Bemalten Jäger“, die manchmal auch ‚Löwenjäger“ genannt wurden, auf das große Fest vor. Sie nannten es das ‚Fest des Löwentanzes‘. Die Erlegung eines Löwen war für sie ein wichtiges Ereignis, das durch eine feierliche Zeremonie gewürdigt werden musste.
Der tote Löwe lag noch dort, wo Bomba ihn erlegt hatte. Sobald die Dunkelheit sich über den Dschungel senkte, setzten sich die ‚Bemalten Jäger“ um die tote Raubkatze. Es war eine seltsame Zeremonie, die zuerst in tiefstem Schweigen begann. Lange Zeit saßen die Jäger stumm da, und nur die Laute des Dschungels drangen durch die Stille. Hin und wieder war das verstohlene Rascheln eines Tieres zu hören, das heimlich zur Tränke schlich und dann von der Witterung der Menschen wieder vertrieben wurde, oder der heisere Schrei einer jagenden Raubkatze.
Nach langer Zeit begann dumpf eine Trommel zu tönen. Die Laute fielen wie schwere, langsame Tropfen in die Dunkelheit. Tom — tom — tom — tom —
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