„Bombas Messer und Speer sind auch scharf“, erwiderte Gibo.
Der Junge war inzwischen ins Innere der Hütte zurückgekehrt und hatte sich zur Ruhe gelegt. Gibo wartete, bis er sicher war, dass Bomba wieder schlief, und er sagte dann grollend zu Wafi:
„Ist dir überhaupt klar, dass nur durch deine Schuld Bomba den Löwen nicht schon jetzt erlegt hat? Wenn du nicht im Wege gestanden hättest, läge der große Simba jetzt schon tot hier vor uns.“
Wafi senkte beschämt den Kopf. So kriegerisch und angriffslustig er auch sein konnte — er sah immer sofort ein, wenn er einen Fehler begangen hatte.
„Ich habe mich sehr dumm benommen“, murmelte er.
Diese offene Selbstbezichtigung brachte Gibo dazu, dass er mit einer großmütig verzeihenden Geste das Thema abschloss.
„Wir legen noch einmal frische Äste nach“, sagte er. „Dann wird der Löwe keinen zweiten Angriff wagen.“
Wafi war nicht so optimistisch.
„Vielleicht ist die Gefährtin des Löwen auch in der Nähe und will die Verletzung ihres Herrn rächen“, gab er zu bedenken. „Eine Löwin ist, wenn sie gereizt wird, noch gefährlicher als ein männlicher Löwe.“
An diese Aufklärung knüpfte Wafi noch einige höchst unfreundliche Bemerkungen über das Geschlecht der Raubtiere im Allgemeinen und das der Löwen im Besonderen. Gibo, der die Sprache nicht so gut beherrschte, bewunderte dabei besonders den Reichtum der Zulusprache an Kraftausdrücken und Verwünschungen, die sich auf diese gefürchteten tierischen Feinde des Menschen bezogen.
Abwechselnd hielten die beiden für den Rest der Nacht Wache. Sie ließen Bomba schlafen, da der Junge in einer der vorigen Nächte ganz allein gewacht hatte.
In dieser Nacht gab es keine Zwischenfälle mehr, und kurz nach Tagesanbruch weckte Gibo seine beiden schlafenden Gefährten. Bomba war sofort hellwach. Das Sonnenlicht fiel in breiter Bahn durch den Eingang der Hütte, und das Grün der Bäume und Büsche funkelte noch im Tau des frühen Morgens.
„Ein schöner Tag für eine Antilopenjagd“, sagte Wafi mit scheinheiligem Eifer. „Wir könnten neuen Proviant gebrauchen, Bomba.“
„Zartes Antilopenfleisch wäre gut“, stimmte Gibo sofort zu.
Bomba schaute von einem zum anderen und musste dann lachen.
„Keine Lust zur Löwenjagd, ihr tapferen Jäger?“, fragte er in gutmütigem Spott.
Die beiden fühlten sich durchschaut und grinsten verlegen.
„Wenn du willst, Herr, gehen wir auf die Löwenjagd“, sagte Gibo kleinlaut.
„Es wäre aber gut, wenn wir erst nachschauen, ob unsere Speere scharf genug sind“, sagte Wafi hastig. „Schon viele Männer meines Stammes sind auf die Löwenjagd gegangen und nie mehr zurückgekehrt.“
„Aber viele Löwen sind auch schon von Jägern erlegt worden“, fügte Bomba hinzu. „Und du lebst auch immer noch, Wafi.“
„Richtig, Herr. Und wenn du uns führst, gehe ich auch mit zur Löwenjagd", erwiderte Wafi. „Aber vielleicht finden wir die Fährte des Löwen nicht mehr“, fügte er hoffnungsvoll hinzu.
„Bomba kann jeder Fährte folgen“, prahlte Gibo. „Der Löwe wird ihm nicht entkommen.“
Nach einem kurzen Frühstück verließen die drei Jäger die Lichtung. Wafi und Gibo waren zwar nicht allzu begeistert von dem Gedanken, sich jetzt wissentlich in Gefahr zu begeben, statt dem harmlosen Vergnügen der Antilopenjagd nachzugehen, aber sie wussten, wie unnachgiebig Bomba in solchen Dingen sein konnte, und sie schwiegen daher.
Es fiel Bomba nicht schwer, die Fährte zu finden; in dieser Hinsicht hatte Gibo völlig recht gehabt. Die große Raubkatze war mitten durch den Busch gebrochen und hatte auf diese Weise einen deutlich erkennbaren Pfad hinterlassen.
„Der Löwe ist nicht schwer verwundet“, erklärte Bomba, als er sich nach einer Weile längere Zeit über eine Stelle am Boden gebeugt hatte. „Hier hat er geruht und seine Wunde geleckt. Dann ist er weitergezogen.“
Nach einer Weile blieb Bomba wieder stehen und beugte sich zu den Zweigen eines Busches nieder.
„Hier ist er vorbeigestreift“, erklärte er. „Seine Wunde blutet nicht mehr. Er ist schnell weitergezogen. Wahrscheinlich werden wir ihn erst am nächsten Wasserloch finden.“
Sie folgten jetzt der Fährte, so schnell sie konnten. Nach etwa einer Stunde blieb Bomba stehen und hob warnend die Hand.
„Die Fährte wird immer frischer“, flüsterte er, als die beiden an seine Seite traten. „Ich rieche auch schon Wasser. Der Löwe ist nicht mehr weit.“
In gespanntem Schweigen schlichen die drei Dschungeljäger weiter. Die Fährte des Löwen war deutlich zu erkennen, und bald sahen sie vor sich auch den Schilfrand eines Wasserloches. Als sie näherkamen, flog plötzlich ein Schwarm Wasservögel vom schlammigen Ufer hoch. Sonst blieb alles still.
Hier, an der großen Tränke vieler Urwaldtiere, kreuzten sich die Fährten der verschiedenartigsten Tiergattungen, und es war schwer, die Spur des Löwen herauszufinden. Bomba untersuchte sorgfältig und lautlos den Boden, während seine beiden nervösen Gefährten unruhig Umschau hielten.
Natürlich war es durchaus möglich, dass der Löwe weitergewandert war, nachdem er seinen Durst gelöscht hatte. Bomba war jedoch inzwischen schon mit den Gewohnheiten der großen Raubkatzen vertraut geworden, und er zweifelte nicht daran, dass der Löwe irgendwo im Schilfdickicht am Rande des Tümpels verborgen war. Er war noch dabei, die Fährte des Löwen aus dem Spurengewirr auszusondern, als Gibo einen Warnungsruf ausstieß.
„Der Löwe, Herr — da ist der Löwe!“
Die Warnung wäre nicht notwendig gewesen, denn im gleichen Augenblick zerriss ein wildes Brüllen die Stille über dem Urwaldteich.
Bomba fuhr herum. Keine zehn Meter von ihnen entfernt war eine gelbbraune Gestalt im Schilfdickicht aufgetaucht. Der Leib des Raubtieres presste sich dicht gegen den Boden, der Schweif peitschte durch die Schilfstängel, und der gewaltige Rachen öffnete sich zu einem grimmigen Fauchen. Der Blick der bernsteingelben Augen war mit gefährlicher Ruhe auf die Menschen gerichtet. Wenn der Löwe sich fürchtete, so war davon jedenfalls nichts zu sehen.
Auf den ersten Blick erkannt Bomba, dass es der Löwe war, den er in der vergangenen Nacht mit dem Speer verwundet hatte. An der Schulter des Tieres war deutlich der Riss zu sehen, den sein Speer geschlagen hatte. Die Wunde mochte schmerzhaft sein, aber sie hatte den Löwen keineswegs geschwächt, und sie behinderte ihn gar nicht. Es war deutlich zu sehen, wie die mächtigen Muskelstränge unter dem Fell an der verwundeten Schulter ebenso geschmeidig spielten wie an der gesunden Schulter und an den Flanken.
Hinter Bombas Rücken war ein Felsblock, und Wafi rief furchtsam:
„Lauf hinter den Felsen, Herr, und wirf den Speer von dort.“
Aber Bomba gab keine Antwort und hielt den Blick fest auf den Löwen gerichtet. Es war merkwürdig: einen Moment lang schien der Blick dieser klaren, braunen Augen den Löwen zu verwirren. Er blinzelte und zögerte. Doch dann kroch er näher an die Stelle heran, von wo ihn der Sprung bis zu dem Felsen tragen konnte.
Gibo und Wafi hatten inzwischen hinter dem Steinblock Schutz gesucht und beobachteten atemlos die gefährliche Szene. Ihnen schien es so, als hätte Bomba eine seltsame Lähmung befallen. Warum warf er den Speer nicht? Der Körper des Löwen bot ein gutes und nahes Ziel. Hatte ihn etwa der bernsteingelbe Blick der Raubkatze verzaubert?
„Wirf den Speer, Bomba! Wirf!“, riefen sie beide zugleich. Doch Bomba blieb reglos stehen — und dann sprang der Löwe. Der zusammengekrümmte Körper streckte sich plötzlich zu einem mächtigen Sprung. Das Ganze spielte sich so schnell ab, dass weder Gibo noch Wafi später sagen konnten, wann Bomba sich zur Seite schnellte, um dem Sprung zu entgehen. Das Schaftende des Speeres hatte er in einem Spalt des Felsens festgeklemmt, und erst im letzten Sekundenbruchteil ließ er den Speer los.
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