Entzückt drückte Lorenz seine warmen Lippen auf meine Hand. O Justine! rief er aus, wenn Du wüßtest, wie sehr ich Dich liebte, Du müßtest mir für das hohe Vertrauen danken, daß ich in Deine Tugend setze, und mit dem ich Dich bitte, allen den Stürmen, die dir entgegen brausen werden, zum Trotz, dennoch nach Spillingen zu ziehn. Es ist das einzige Mittel, uns künftig sehen zu können, denn meine jetzige Lage erlaubt mir noch nicht, öffentlich um Dich zu werben. Mein Dienst ist streng, und verstattet mir nur höchst selten eine freie Stunde, und auch diese nicht, ohne daß meine übrigen Verhältnisse meinen Willen nicht auf's äußerste beschränkten. Wollte ich auch des Nachts zu Dir eilen, so könnte dieß nur mit der größten Behutsamkeit von Deiner und meiner Seite geschehen, und wenn irgend ein Lauscher es ahndete, so wär' es mit dem Verlust Deines guten, unbescholtenen Rufs verbunden, der mir noch theurer ist, als der meine. Der Kammerherr hat bisher meistens nur mit gemeindenkenden leichtsinnigen Dirnen zu thun gehabt, die seinen Wünschen auf halbem Wege entgegen kamen. Der Widerstand, den ein edles Mädchen dem Laster thut, ist ihm fremd, und wird ihn wenigstens beschämen, wenn auch nicht bessern. Überdieß haben wir dort Gelegenheit, uns täglich zu sehn, ohne den mindesten Verdacht zu erregen, und bei der kleinsten Gefahr, die ich für Dich ahnde, werd' ich Maßregeln treffen, Dich zu retten, kost' es mir auch was es wolle. Selbst die vortheilhaften Aussichten und Hoffnungen, auf die ich jetzt in Gedanken unser künftiges Glück baue — selbst die werd' ich mit frohem Muthe Dir opfern, wenn es Deine Sicherheit verlangt. — Seine Augen fingen an zu blitzen — Kraft und Entschlossenheit erhoben seine Stimme. — Ja, fuhr er dann fort, indem er mich heftig mit beiden Armen umschloß — selbst wenn ich genöthigt wäre, jedes Verhältniß zu zerreißen, das mir ehedem heilig war — hier an diesem Herzen würde ich dennoch, auch in der bittersten Armuth Ersatz finden, wenn es nehmlich nie aufhört, mich zu lieben!
Der männliche, ernste Muth seines Ton's knüpfte mich mit den Banden des innigsten Vertrauens an sein Wesen. Und wäre die Welt in diesem Augenblick zu Grunde gegangen, — heiter hätte ich neben ihm auf ihren Trümmern gestanden, und mit stolzer Zuversicht auf seine Kraft, Werke der Allmacht von seinen Händen gefordert. — —
Die Stimme meiner Mutter, die mich rief, endigte unsre Unterredung. Ich hüpfte froh und sorgenlos in den Garten, denn mit der Gewißheit, geliebt zu seyn, flammte alles um mich her im Sonnenglanz jener trügerischen Hoffnung, welche in dem Frühling der Liebe und des Lebens uns schmeichelt, daß seine Blüthen unverwelklich duften, und daß kein Sturm sie zu entblättern vermag. Muthig glaubt' ich allen Widerwärtigkeiten, — selbst der dunkelsten Zukunft, — trotzen zu können, und dieß hohe überspannte Zutrauen in die Kräfte meines Herzens und meiner Seele gab mir eine Heiterkeit, die mich zum beneiden glücklich machte.
In einer Hollunderlaube des Gartens hatten sich die Herrschaften niedergelassen. — Der Kammerherr suchte die Freude über seinen schon halb gelungenen Plan hinter einer gleichgültigen Miene zu verbergen, die ihm aber nicht recht glücken wollte. Die Frau spielte mit ihrem Arbeitsbeutel, und lächelte mir freundlich entgegen. Auch mein Vater blickte mich mit Wohlgefallen und Zufriedenheit an, — nur das ernste Gesicht meiner ehrwürdigen Mutter verrieth mir Spuren der Bekümmerniß, die ihr Herz meinetwegen empfand. Komm näher, liebes Mädchen, sagte die Kammerherrin, komm näher und entscheide. Ich habe den bösen Vorsatz, Dich zu entführen, weil ich glaube, daß Anlagen in Dir stecken, die eine Entwickelung verdienen, und die Dich weiter bringen können, als Dein verborgenes Leben hier unter den Deinigen. Ich will Dich mit mir nehmen, und wenn Du Dich gut aufführst, werd' ich treulich für Dich sorgen. Dein Vater ist mit meinem Plan zufrieden, — nur Deine Mutter hat noch Bedenklichkeiten, die Du aber leicht widerlegen kannst, wenn Du nur Lust hast, zu mir zu ziehen.
Ich war verlegen. Der Gedanke an Lorenz mußte in diesem Augenblicke der Thräne weichen, die über die Wange meiner guten Mutter floß, und alle meine Gefühle in Bewegung brachte. Aber bald behauptete sein Bild in mir die Herrschaft der wahren Liebe, die alles opfern kann, nur sich selbst nicht, — und selbst von der mütterlichen Wehmuth, neben die ich es stellte, borgte es einen helleren, rührendern Glanz. Bittend sah ich ihn vor mir stehn, und auf seinen Lippen schwebten noch die Versicherungen, die er mir von seinem Schutz und seiner Zärtlichkeit gab. Doch das Bewußtseyn meiner Pflichten umschleierte wenigstens den Wunsch, den ich hatte, ohngeachtet aller Unannehmlichkeiten, die mir drohten, nach Spillingen zu ziehn. Die Entscheidung, antwortete ich, kommt nicht mir, sondern einzig und allein meinen Eltern zu. Ihre Güte, ihre bessere Einsicht wird für mich wählen, was zu meinem Frieden dient.
Auf diese Art kommen wir aber niemahls aus einander, versetzte die gnädige Frau, denn Deine Eltern sind unter sich nicht einig darüber.
Es ist das erstemahl, daß ich mit meinem Manne verschiedener Meinung bin, sagte meine Mutter. Wir haben nur dieß einzige Kind noch um uns, — sie ist unsre Stütze und unsre Freude. Wenn ich Justinen auch in der Wirthschaft entbehren könnte, wo sie mir manche Sorge abnimmt, — manche wenigstens mit mir theilt, — so würde sie darum doch nicht zu Ihnen passen, denn sie ist in allen den Geschicklichkeiten ununterrichtet, die die Kammerjungfer einer vornehmen Dame wissen muß.
O das thut nichts, unterbrach sie die Kammerherrin lächelnd. Die Physiognomie müßte sehr trügen, wenn die Kleine nicht Lernbegierde und Fähigkeiten hätte. Die Mühe, sie in diesen Kenntnissen zu unterrichten, nehm' ich gern auf mich, und ich hoffe sie soll nicht vergebens angewendet seyn.
Ich werde Justinen eben so sehr vermissen, wie Du, sagte mein Vater zur Mutter, indessen glaube ich, ist es unsere Pflicht, sie nicht von der guten Versorgung abzuhalten, die sich ihr darbietet, und die vielleicht die Grundlage ihres künftigen Glücks werden kann. Ich bin überzeugt, wir können sie ohne Bedenklichkeit der gnädigen Frau anvertrauen. Sie wird Nachsicht mit ihr haben, wenn sie fehlt, und im Anfang nicht zu streng in ihren Forderungen seyn. Für Folgsamkeit und guten Willen stehe ich.
Mancherlei Gefühle bestürmten meine Brust. — Der Gedanke, die stille Hütte zu verlassen, die die Wiege meiner Kindheit, der Schauplatz meiner Jugendfreuden gewesen war, — die Aussicht von meinen Eltern zu scheiden, und sie künftig in einer Einsamkeit zu wissen, die sie um so trauriger dünken mußte, je mehr meine kindliche Pflege sie ihnen sonst erheitert hatte; — alles dies mischte etwas schmerzliches in die Vorstellung, daß mich die Liebe mit ihrer Zauberstimme nach Spillingen rief. Unentschlossen stand ich da, aber ich blieb es nicht lange. O wie wahr ist's, daß das Weib Vater und Mutter verlassen wird, um dem Manne zu folgen, den es sich erkohren hat! Dankbarkeit und die zärtlichste Ehrfurcht fesselte mich an meine Eltern. Ich hätte für sie mein Leben lassen können, — nur das, was diesem Leben erst Werth gab, die Würze seiner Zukunft, das Bündniß, das mein Herz mit Lorenz geschlossen hatte, — nur das hätte ich ihnen nicht opfern können, ohne, wie ich glaubte, vor Gram zu sterben.
Meine Mutter seufzte, und betrachtete mich mit unruhigen, ungewissen Blicken. Nun dann, sagte sie, und wandte sich zu meinem Vater, wenn Du wirklich glaubst, daß es für Justinen ein Glück ist, so will ich mich nicht länger weigern. Gott weiß, daß nur die Besorgniß für ihr wahres Wohl mich so bedenklich machte, denn ich bin der Meinung, daß ein junges, unerfahrenes Mädchen nirgends mehr am Platze, und sicherer ist, als in dem Hause und unter den Augen seiner liebenden Eltern. Aufgeben kann ich diese Meinung so leicht nicht, aber ich will thun, was ich kann, — ich will sie der Deinigen unterordnen. So zieh denn in Gottes Namen hin, Justine! fuhr sie mit Rührung fort. Es wird Dir auch in der Fremde wohlgehn, denn Du warst immer ein gutes, dankbares Kind! —
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