Am Fuß der Rampe hielt er an und betrachtete die Kriegerin, die vor ihm stand. Sie war kahl, aber eine nähere Begutachtung zeigte ihm, dass ihr nicht nur das Haupthaar, sondern auch jede Gesichtsbehaarung fehlte - Augenbrauen, Wimpern, alles. Ein dunkelgraues Dornenkronenmuster spannte sich in zarten Linien um ihren Kopf wie eine Tätowierung und lag wie eine Zielsuchhilfe um ihr rechtes Auge. Natürlich handelte es sich dabei nicht wirklich um eine Tätowierung, sondern um ein Neuralimplantat, mit dessen Hilfe seine Trägerin auf einen Neurohelm verzichten konnte. Die chirurgisch implantierten Schaltkreise verbanden sie drahtlos mit dem Bordcomputer ihres Mechs und speisten ein computergeneriertes Bild des Gefechtsfelds in ihr Gehirn, das ihr bei Zielerfassung, Waffeneinsatz und Steuerung der Maschine half. Eine so junge Kriegerin mit einer dieser bioelektrischen ›Tätowierungen‹ zu sehen, bezeugte ihre ungewöhnliche Aggressivität.
Auf ihrem Kragen waren die Abzeichen eines Sterncolonels der Blutigen Krallen zu sehen, und unter einem Arm trug sie den Kodaxstab der Galaxis, dessen Speicherchips die Einheitsgeschichte enthielten. Der Stab bedeutete für die gesamte Einheit, was das Kodaxarmband dem einzelnen Krieger galt. Hinzu kam ein mit den Rangabzeichen am Kragen eines Offiziers verbundener Kommunikator. Mit dem Stab konnte der Galaxiskommandeur sich direkt und unmittelbar mit seinen Untergebenen in Verbindung setzen.
Aus der Vorbesprechung mit Khan Lincoln Osis wusste Devon, wer diese Frau war: Sterncolonel Roberta, vorläufige Kommandeurin der Galaxis auf ihrer Reise von den Heimatwelten hierher nach Wildkatz. Jetzt war es seine Galaxis, seine Einheit. In der Vergangenheit hatte er mit den Fehlern anderer leben müssen. Von nun an führte er den Befehl.
Sterncolonel Roberta war eine wahre Kriegerin in der besten Nebelparder-Tradition. Er hatte ihren Kodax mit großem Interesse studiert. Während ihres Positionstests um das Recht, einen Sternhaufen zu führen, war es zu einem Bruch im Fusionsreaktor ihres Mechs gekommen. Statt auszusteigen, hatte sie die Sicherheitsautomatik des OmniMechs abgeschaltet und den Kampf aus dem von tödlicher Strahlung durchfluteten Cockpit fortgesetzt. Es war ihr schließlich gelungen, ihren Gegner zu besiegen, aber es war eine wochenlange Behandlung durch die Wissenschaftlerkaste nötig gewesen, um anschließend ihr Leben zu retten. Roberta hatte überlebt, aber sie trug die Nachwirkungen des Strahlungslecks noch immer in sich. Devon war von ihrer Geschichte beeindruckt, denn sie zeigte, dass das Herz des Nebelparders in ihrer Brust schlug. Andere, schwächere Krieger hätten den Schleudersitz in Anspruch genommen.
»Galaxiscommander Devon Osis«, begrüßte sie ihn und neigte leicht den Kopf in Hochachtung.
»Du bist Sterncolonel Roberta, frapos?«
»Pos.«
Devon reckte sich und sprach die Worte, die er auf der Reise zu diesem abgelegenen Ort hundertmal in Gedanken geprobt hatte. »Auf Befehl Khan Lincoln Osis‘, Khan der Nebelparder, des einen wahren Clans und der Erben der Großen Kerenskys, übernehme ich hiermit den Befehl über Galaxis Tau.«
Roberta packte den Kodaxstab der Galaxis an beiden Enden und streckte die Arme aus. »Im Geist unseres Volkes kann ein Befehl nicht übernommen werden. Ein Befehl muss ergriffen und verteidigt werden. In Ehren gewonnen, mit Blut besiegelt.« Ihre Stimme war laut genug, so dass die umstehenden Krieger sie hören konnten. Devon konnte die Atmosphäre der Erwartung schmecken.
Die Zeremonie - die Zeremonie der Befehlsübergabe. Er lächelte. »Der Befehl ist mein. Ich werde ihn ergreifen.«
Roberta kam langsam einen Schritt näher, die Arme mit dem Stab weiter ausgestreckt. »Ich verteidige den Befehl, den du beanspruchst.«
Auch Devon sprach laut genug, um von den versammelten Kriegern verstanden zu werden. »Krieger des Nebelparders, bildet einen Kreis um uns, auf dass die Augen Gleicher diesen Schwur bezeugen.« Er machte eine Pause und sammelte sich, während die Offiziere der Galaxis Tau in Position gingen. »Nicholas Kerensky, der Gründer unseres Volkes, hat uns gelehrt, dass die Führung nur den Stärksten und Besten unserer Kriegerkaste zusteht. Seht her, wie ich, Devon Osis, Blutnamensträger und Testbestätigter, nehme, was mir zu steht.«
Die Krieger von Galaxis Tau taten wie geheißen und formten einen Kreis der Gleichen um sie. Roberta leckte sich erwartungsvoll die Lippen und ging in die Hocke, bereit für den ersten Schlag.
Das Ritual war einfach. Devon musste Roberta den Kodaxstab der Galaxis in einem Besitztest abnehmen. So bald er ihn in Händen hielt, würden die Parder ihn als ihren neuen Kommandeur anerkennen. Der Kampf war eine Mischung aus echtem Zweikampf und Ritual. Es war üblich, aber nicht notwendig, dass Devon seiner Gegnerin eine blutende Wunde zufügte. In manchen Fällen wurde der Stab einfach nach einer Reihe ritueller Schläge überreicht, aber es gab auch Fälle, in denen einer der beiden Kombattanten den Tod gefunden hatte. Devon schätzte Roberta vorsichtig ab und fragte sich, in welche Richtung dieser Kampf gehen würde.
Er neigte langsam den Kopf und gab damit zu verstehen, dass er sie als wahre Kriegerin anerkannte. Sie erwiderte die Geste. Dann griff er an. Mit einer Hand fasste er nach dem ausgestreckten Stab, mit der anderen schlug er in einer Innendrehung gegen ihr linkes Handgelenk. Roberta erkannte seine Absicht, warf sich zurück und riss den Stab aus seiner Hand.
Devon sprang mit zum Würgegriff ausgestreckten Armen auf sie zu. Roberta drehte sich etwas nach links, als er neben ihr aufkam und mit voller Wucht und seinem ganzen Gewicht ein Knie in ihre Hüfte rammte. An ihrem Gesicht erkannte er, dass er sie hart getroffen hatte.
Sie rollte weg und schleuderte ihn beiseite. Er ließ sich von seinem Schwung in die Hocke tragen, stützte sich mit einer Hand am Boden auf, bereit zuzuschlagen. Aber Roberta war auf ihn vorbereitet und schwang ihr Bein in einem Rundumtritt, der entweder seine Hand wegstoßen und ihn zu Boden werfen oder seinen Kopf treffen sollte. Im letzten Augenblick sprang er auf und packte mit beiden Händen ihren Fuß.
Es gelang. Bevor sie noch erkannt hatte, was geschah, drehte Devon ihren Fuß ruckartig um. Roberta stöhnte laut auf, ließ den Stab fallen und benutzte ihre Hände, um den Körper mitzudrehen und das Knöchelgelenk zu retten. Kaum lag sie auf dem Bauch, als Devon in die Höhe sprang und mit beiden Knien auf ihrem Rücken landete. Roberta rang nach Luft und war nicht in der Lage, etwas zu unternehmen, als Devon den Kodaxstab vom Landefeld aufhob. Den Stab in beiden Händen, erhob er sich. Sein Atem ging stoßweise, aber es gelang ihm, sich an die im Kreis wartenden Krieger zu richten.
»Der Befehl ist mein, ergriffen und verteidigt.« Er keuchte. »In der Tradition unserer Blutnamensträger halte ich den Befehl über Galaxis Tau, im Namen Khan Lincoln Osis‘ von den Nebelpardern!« Ein Chor von Kriegerstimmen antwortete ihm mit der Eidformel: »Seyla.«
Ein Wort, das Einheit und Ehre ausdrückte, dessen Bedeutung aber längst im Nebel der Zeit vergessen war, wenn auch nicht seine Heiligkeit. Für Devon Osis bedeutete es, dass seine Krieger ihm folgen würden.
Zu seinen Füßen richtete Roberta sich auf, zunächst auf die Hände, dann in sitzende Haltung, schließlich langsam und unbeholfen auf die Beine. Sie stand neben Devon und weigerte sich trotzig, den Schmutz aus dem Gesicht zu wischen. Die weiße Haut ihres kahlen Kopfes war verfärbt, aber heil. Auf ihrer Schulter hing das Abzeichen ihrer Einheit, die schwarze, zum Angriff erhobene Tatze des 101. Angriffssternhaufens, halb abgerissen herab. Devon drehte sich um und sah ihr in die Augen. Sie wechselten kein Wort, aber Roberta schien zu verstehen.
In einem flüssigen Seitschritt wirbelte Devon Osis herum und schlug ihr den Stab ins Gesicht. Ein Ende des Geräts bohrte sich in ihre Wange, und das durch den Stab vibrierende Knirschen zeigte Devon, dass er entweder ein paar Knochen gebrochen oder Zähne zerschmettert hatte. Robertas Kopf wurde von dem Hieb hart zur Seite geschleudert, aber als echte Clankriegerin ließ sie sich durch den diabolischen Schmerz, der in ihrem Kiefer lodern musste, nicht in die Knie zwingen. Blut strömte aus ihrem Mundwinkel. Sie atmete tief ein, und ein Schmerzanfall traf sie - wie eine Brandungswelle eine Uferklippe. Blut muss fließen, so verlangt es das Wesen des Parders.
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