Sie waren dankbar, dass ich diese Botschaft überbracht hatte, und ich auch, aber die Vorbereitung und Durchführung dieser Treffen beanspruchte viel Zeit und Kraft. Es behagte mir nicht, Geld für diese Arbeit zu verlangen, und es war klar, dass ich meine Psychotherapiepraxis nicht vernachlässigen durfte. Manchmal hatte ich das Gefühl, das alles nicht mehr zu schaffen, und dann fragte ich mich, wo meine Prioritäten lagen. Wie sollte ich mit diesem neuen »Job« bei den Großmüttern umgehen? Als Monate und dann Jahre vergingen, fragte ich mich, ob die Abhaltung der monatlichen Meetings die Mühe wert war. Wie lange wollte ich so weitermachen? Nachdem ich mich einige Zeit damit gequält hatte, dämmerte es mir eines Tages, dass ich zu den Großmüttern gehen und sie fragen musste.
Inzwischen war mir zur vertrauten Gewohnheit geworden, was die Großmütter als »Reisen in andere Dimensionen« bezeichnen und andere »Schamanisches Reisen« nennen. Eine Schamanin brachte es mir kurz nach dem Erscheinen der Großmütter bei, und obwohl ich anfangs Angst vor dieser seltsamen Art der Wahrnehmung hatte, lernte ich mit der Zeit, meinen Lehrerinnen in der nichtalltäglichen Realität zu vertrauen und den Vorgang zu genießen. Die Großmütter, sagte die Schamanin, waren in der von ihr so genannten »Oberen Welt« zu finden. Sie lehrte mich, wie man in dieses Reich gelangt, und erklärte mir, dass ich, auch wenn ich dort hinkommen konnte, nur dann die Großmütter finden würde, wenn sie es zuließen. Ich hatte so etwas noch nie erlebt und kam an meine Grenzen. Doch weil dieser Weg des Lernens und Erforschens etwas war, das meinem Verstand nicht zugänglich war, bekam mir dieses Wagnis gut. Die Methode war nicht »rational«, und deshalb war ich gezwungen zu lernen: nicht durch Theorie, sondern durch unmittelbare Erfahrung.
Weil ich so außer mir war, nicht »die Kontrolle zu haben«, versuchte mein Verstand, herauszufinden, was passierte. Aber obwohl ich alles versucht habe, konnte ich nie voraussehen, was auf einer Reise zu diesen anderen Ebenen der Realität geschehen würde. So gab ich nach unzähligen Streitereien mit meinem Ego darüber, »wer hier die Kontrolle hatte«, schließlich auf und ließ mich von den Geistern führen, wie sie wollten. Fast alles in dem Buch Selbstermächtigung erwuchs aus diesen frühen Erfahrungen mit den Großmüttern und den Geisthelfern.
Meine »Reisen«, wie mein Mann sie nennt, waren für mich immer wieder überraschend. Die Geisthelfer der Oberen und der Unteren Welt sind hervorragende Lehrer, und sie zeigten mir schnell, dass ihr Horizont weit über den meinen hinausreichte. Sie lehrten mich durch Erfahrung. Was ich sah, schmeckte, roch, fühlte und hörte, wurde zu meiner Wahrheit. Ich hatte mich immer als kreativen Menschen betrachtet, aber nicht in meinen wildesten Träumen hätte ich mir die Lektionen ausdenken können, die sie vermittelt haben. Und weil jede Reise etwas Unvorhergesehenes war, war klar, dass ich mir diese Ereignisse nicht ausdachte. Ich reiste nur über die Grenzen meines Verstandes hinaus und fand heraus, dass es mir gefiel .
Auf dieselbe Weise, wie ich es zu Anfang gelernt hatte, begann ich meine nächste Reise zu den Großmüttern: Ich stellte mir vor, auf den Wipfel eines Baumes zu klettern, den ich liebte, und fühlte und sah, wie ich es tat. Doch als ich von seinen obersten Ästen absprang und in der Luft war, merkte ich, dass etwas nicht stimmte. Ich war es gewohnt, wie ein Vogel zu schweben, aber heute fühlte es sich an, als hätte ich einen kleinen Motor in meiner Brust, und der war es, was mich antrieb. Dieser motorgetriebene Flug war harte Arbeit. Meine Brust brummte wie verrückt, und anstatt wie ein Adler zu gleiten, flog ich jetzt wie eine Biene. Ich wusste nicht, warum das passierte, aber, dachte ich, es wird wohl einen Grund haben. Ich wusste ja inzwischen, dass alles , was in der nichtalltäglichen Realität geschah, Sinn und Zweck hatte. Ich musste einfach abwarten, bis sich herausstellte, was es war.
Mit meinen winzigen Flügeln schwirrte ich durch die erste Ebene der Oberen Welt, aber als ich dort ankam, war ich mir nicht sicher, wie ich durch die Membran kommen sollte, die mich von der nächsten Ebene trennte. Ich hatte das schon Hunderte Male gemacht, aber heute fühlte es sich an wie das erste Mal. So sehr ich auch mein Gehirn marterte, ich konnte mich nicht erinnern, wie man hindurchbricht.
Bevor ich dieses seltsame Rätsel lösen konnte, wurde ich durch die Membran hindurchgestoßen. In der Luft schwebend, verhielt ich kurz und sah das Tal der Großmütter unter mir liegen. Ich holte kurz Luft, dann stürzte ich hinab, mein Bienenkörper schoss auf den Boden zu. Bevor ich aufschlug, presste ich die Augen fest zusammen, und erst als endlich das Gefühl des Fallens aufhörte und alles wieder ruhig war, öffnete ich sie wieder; da fand ich mich flach auf dem Rücken liegend. Die Wucht des Aufpralls hatte meine Flügel und meinen Körper in die Erde gedrückt, und jetzt schauten nur noch meine Zehen heraus.
Als ich den Schock der Landung überwunden hatte, richtete ich mich auf und stellte erstaunt fest, dass ich nicht verletzt war. Das war ein spektakulärer Unfall gewesen; die Panik, die mich ergriffen hatte, als ich auf die Erde zu raste, war so lebhaft, dass ich vergessen hatte, dass ich auf Reisen war. Selbst jetzt konnte ich es kaum glauben. Was war passiert? Hätte dieser Unfall auf der Erde stattgefunden, wäre ich jetzt tot, aber weil er in der nichtalltäglichen Realität stattfand, hatte ich nicht einmal einen Kratzer.
»Was für ein Auftritt«, staunte ich, als ich vor die Großmütter trat, die heute in Adlergestalt vor mir standen. Zwölf riesige Vögel betrachteten mich Schulter an Schulter mit ernsten Blicken. Manchmal erschienen sie in menschlicher Gestalt und manchmal sahen sie so aus wie heute, und obwohl sie mir schon oft als Adler erschienen waren, ließen mich diese Raubvogelaugen immer wieder schaudern. Doch auf meinen Reisen in andere Dimensionen hatte ich gelernt, bei meiner ursprünglichen Frage zu bleiben, und so ließ ich mich nicht ablenken. Stattdessen schluckte ich hart und sagte: »Großmütter, zu der bevorstehenden Versammlung… soll ich diese Treffen weiterführen?«
Alle zusammen erhoben sie ihre Flügel, ihre majestätischen Köpfe neigten sich nach hinten und dann wieder vor. »Ja«, sagten sie und starrten mich über ihre Schnabelspitzen an. »Die Versammlungen bringen Macht. Jedes Mal, wenn ihr zusammenkommt, habt ihr mehr Kraft in den Flügeln.«»Okay«, antwortete ich, obwohl ich mir nicht sicher war, was »Kraft in den Flügeln« bedeutete. Von welchen Flügeln sprachen sie überhaupt? Ich sah sie verständnislos an, aber sie runzelten nur ihre Brauen und fixierten mich mit einem noch schärferen Blick. »Oh h h h«, flüsterte ich, als es mir endlich dämmerte, »sie meinen die Flügel . Die Treffen geben den gemeinschaftlichen Flügeln Kraft, die das Leben tragen. Die Zusammenkünfte unterstützen die Erde.« In der Hoffnung auf eine Antwort blickte ich zu ihnen auf, als mir dieser Gedanke kam, und sie nickten: »Ja.«
»Großmütter«, fuhr ich fort, »gibt es etwas, das ich bei diesen Treffen weitergeben soll?« Und als ich ihre Blicke sah, fügte ich schnell hinzu: »Außer eurer Ermächtigung, meine ich.« Dunkle Federn blitzten auf, und als die Luft machtvoll erzitterte, erbebte auch ich. »Vielleicht habe ich etwas Falsches gesagt«, dachte ich, als sie mich wieder mit diesem Blick bedachten. »Gibt es sonst noch etwas, das ich weitergeben soll?« wiederholte ich, und meine Stimme war nur noch ein Krächzen.
»Macht«,sagten sie und durchbohrten mich mit ihren Blicken. »Ihr wollt, dass ich Macht weitergebe?« presste ich heraus, verblüfft, dass sie das von mir erwarteten. Aber die großen Adler sagten nichts, starrten mich nur weiter an, bis ich schließlich stammelte: »Hmm, äh… wie mache ich das, Großmütter?«
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