„Was fällt euch ein, hier solchen Lärm zu machen?“ tadelte er erbost.
Baldauf sah sich von oben herab den kleinen Mann an, und das grünlich-blasse Gesicht mit der hängenden Nase und den schwimmenden Äuglein gefiel ihm nicht sonderlich.
„Sieh da, ein Neuer“, sagte er spöttisch, „spiel’ dich nicht gleich so auf, du!“
„Der hat gehorcht“, sagte Fullinger zornig, „hat ja auch Ohren wie ein Elefant!“
Die anderen kicherten.
„Unflätige Bande!“ tobte der Angegriffene, „wißt ihr nicht, wen ihr vor euch habt? Ich bin Kaspar Stachius, der…“
Kepler reckte den Kopf und summte wie unabsichtlich:
„Stachius’ Zunge durchsticht den Zaun seiner Zähne…“
Die Freunde jubelten und klatschten in die Hände.
„Halte dein ungewaschenes Mundwerk!“ fauchte Stachius wütend, „ich bin der neue Präzeptor des Griechischen und werde dem Herrn Abt euer ungehobeltes Benehmen melden!“
Ein betretenes Schweigen folgte.
Kepler als der Älteste verbeugte sich und stellte sich vor.
„Wir haben das nicht gewußt und bitten um Verzeihung“, sagte er.
„Verzeihung, Verzeihung“, äffte der Magister nach, „das würde euch so passen! Und du willst Studiosus theologiae werden und später ein Diener der Kirche sein! – Dir werd ich die Aufnahme ins Stift versalzen und dafür sorgen, daß sie dich bei der Zeremonie gehörig an den Hörnern nehmen! Auf diese Art wirst du’s nie zu etwas bringen!“
„Die Zeit wird’s weisen“, sagte Kepler leise, „und auch der Herr Magister Stachius kann dem nicht zuwider sein.“
Stachius drehte sich unter der Tür um.„Und ihr seid auch nicht anders als dieser da, der sich als euer Meister aufspielt“, rief er giftig zu den übrigen hinüber.
Jörg stellte sich neben Johannes.
„Der Kepler ist unser Bester, das wissen Sie nur noch nicht, Herr Präzeptor“, sagte er fest und bescheiden.
„Ich seh’s, ich seh’s“, höhnte Stachius’ Stimme vom Gang her. Seine Schritte entfernten sich eilig. Seidensticker folgte ihm.
Im Dorment blieb es für eine Weile ganz still.
„Oh je“, flüsterte Fullinger schließlich bedrückt, „was der uns beim Abt einbrockt, das kann bös ausgehen…“
„Und der Seidensticker hetzt ihn womöglich jetzt auch noch auf“, fügte Philipp hinzu.
Niedergeschlagen machten sie sich daran, ihre Habseligkeiten vollends einzuräumen.
Anderntags saß Abt Jakob Schroppius in seinem Studierzimmer an einem schweren Eichentisch und blätterte in seinen Papieren.
„Präzeptor Stachius scheint ein Magister von feiner Gelehrsamkeit zu sein“, sagte er zu sich selbst und stützte das Kinn in die blaugeäderte Hand. „Aber was ich da so über sein unduldsames Wesen gehört habe, muß wohl zu einem Teil stimmen. Daß er sich schon am ersten Tag so scharf über die Schüler ausspricht – ist doch alles junges Volk…
Er stand auf und ging mit verschränkten Armen in seiner Amtsstube hin und her. Ein leichter Regen pochte von draußen an die farbigen Butzenscheiben und hüllte das Zimmer in eine sanfte Dämmerung. Im Kachelofen brannte Feuer, das seine Lichtreflexe über die getäfelten Wände warf. Schroppius sah auf. An der Tür hatte es leise geklopft. Seine Frau steckte den Kopf durch den Spalt.
„Stör’ ich dich, Jakob?“ fragte sie behutsam. „Ich bring dir deinen Würzwein.“ Sie trat ein und stellte den Becher zwischen die Aktenstöße. „Du solltest ihn aber gleich trinken, solang er noch heiß ist, hat der Arzt gesagt. Dein Herz braucht eine Stärkung.“
„Danke, Maria, ich werd’s schon tun!“
„Denk nur, grad kam der Balthes aus seiner Küche heraufgeschnauft“, berichtete Maria lebhaft, „er steht draußen und will dich dringend sprechen.“
„Laß ihn nur kommen“, meinte Schroppius müde und nahm einen Schluck von dem dampfenden Getränk.
Maria drückte die Klinke nieder. Ein dikker, rotgesichtiger Mann, die Schürze um den runden Bauch, schob sich herein.
„Nun, was gibt’s, Balthes?“ fragte der Abt und setzte sich zurecht. Maria zog sich einen Stuhl heran.
„Halten zu Gnaden, gestrenger Herr“, fing der Koch umständlich an, „da kommt mir eben ein junger Mensch in die Küche, so ein schmales Hungergesicht mit großen Augen, und fragt, ob ich ein Knechtlein brauchen könnte.“
„Und brauchst du eines?“ unterbrach Schroppius.
Balthes wiegte den schweren Kopf. „Eigentlich ja und eigentlich nein. Der Jost hat in den letzten Wochen nicht mehr recht zulangen mögen. Wenn sich der Neue gut anließe, könnte der ihn wohl ersetzen, sobald er angelernt ist.“
„Wo kommt denn der Junge her?“ warf Maria ein.
„Das weiß ich nicht, Euer Tugend“, meinte Balthes unschlüssig „er scheint weit gewandert zu sein und großen Hunger zu haben. Jetzt sitzt er drunten vor einer Hafergrütze.“
„Und glaubst du, daß er zur Arbeit willig wäre?“ wollte Schroppius wissen.
„Wenn man seinem offenen Gesicht trauen darf, möcht ich’s schon mit ihm versuchen.“
„Dann schick ihn mir herauf“, bestimmte der Abt und sah mit einem verhaltenen Lächeln hinter dem schwerfälligen Koch her, der mit einer Verbeugung den Raum verließ.
Maria rückte den Stuhl weg. Sie nickte ihrem Mann zu.
„Schau dir den Neuen nur genau an und gib acht, ob er aus einem ordentlichen Haus stammt“, sagte sie im Hinausgehen.
Der Abt leerte seinen Becher und stellte ihn beiseite.
Jemand klopfte schüchtern. Schroppius richtete seine klaren Augen auf die Tür und rief: „Tritt ein!“
Gleich darauf stand ein schlanker Knabe vor ihm; kastanienrote Locken fielen ihm um den schmalen Hals. Aus einem schwarzen Wimpernkranz sahen lichtgraue Augen halb scheu, halb keck zum Abt hinüber; er verbeugte sich.
Schroppius musterte den Neuling aufmerksam. „Wie heißt du und woher kommst du?“ fragte er nach einer Weile.
„Ich nenne mich Urs Bonus“, antwortete der Neue mit einer hellen, etwas heiseren Stimme, „und stamme aus dem Remstal.“
„Und wer ist dein Vater?“
Der Junge drückte sein flaches, grünes Barett an sich.
„Der hat einen Handel, und meine Stiefmutter ist eine harte Frau – ich hab nicht mehr zuhaus bleiben können.“
Sein Ton klang seltsam gepreßt. „Jetzt muß ich mir mein Leben selber verdienen.“ Schroppius strich sich nachdenklich durch sein schütteres graues Haar.
„Und was kannst du?“
„In der Küchenkunst bin ich nicht unerfahren“, antwortete der Junge frischweg.
„Und ist dir auch bewußt, daß du hier in einer evangelischen Klosterschule bist, in der die zukünftigen Geistlichen ausgebildet werden? Da verlangt die Regel von allen Hausgenossen ein ehrbares, stilles Leben, gute Sitten und eine strenge Zucht. Kannst du versprechen, das einzuhalten?“
„Ja, ehrwürdiger Herr“, beteuerte Urs.
Schroppius streckte ihm die Hand hin.
„Der Balthes kann dich einstellen, wenn er will. Sag ihm, ich hätte nichts dagegen. Die Margret soll dir eine Kammer anweisen und ein Lager richten.“
Urs verabschiedete sich mit einer tiefen Verneigung und ging. In großen Sprüngen rannte er die Treppe hinunter und pfiff vergnügt vor sich hin. Unten stand ein blasser Bursche und sah ihm erstaunt entgegen.
„Was bist denn du für einer?“ fragte er mit einem abschätzenden Blick.
„Ich bin der neue Küchenjunge und heiße mich Urs Bonus.“
„Hm“, machte der andere, „dann paß nur auf, daß du dein Gewand sauber hältst, wenn du mit unsern Speisen zu tun hast. So ein zerknittertes, staubiges Wams wie deins taugt nicht in eine Klosterküche!“
Urs warf den Kopf herum. „Und deine modischen Ratschläge taugen nicht für einen künftigen Pfarrherrn!“ Er ließ den andern stehen, der ihm verdutzt nachsah.
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