Im Laufe der Verhandlungen ist es uns jedoch geglückt, zu erreichen, daß die dänischen Arbeitskräfte nicht, wie anfangs beabsichtigt, in den Kohlenbergwerken, sondern an anderen Arbeitsplätzen eingesetzt werden. Die dadurch freigestellten deutschen Arbeiter können dann in der Kohleförderung beschäftigt werden.
Wie aus dem beigefügten Rundschreiben des Staatlichen Auswanderungsbüros hervorgeht, haben die deutschen Behörden in Vesterport ein Büro eingerichtet, das Arbeit in Deutschland zu den im Rundschreiben erwähnten Bedingungen vermittelt.
Der Vereinigte Gewerkschaftsbund seinerseits hat eingewilligt, die ihm angeschlossenen Verbände zu orientieren, und wir fordern hiermit die Verbände auf, Sorge zu tragen, daß das Rundschreiben des Auswanderungsbüros umgehend sämtlichen Gewerkschaftsgruppen, Arbeitsvermittlungsbüros und Arbeitslosenkontrollbüros zugestellt wird.“
Aus der Mitteilung des Staatlichen Auswanderungsbüros ging hervor, daß in Deutschland sowohl für Facharbeiter wie auch für Ungelernte Arbeitsplätze vorhanden seien. Die Arbeitszeit betrage sechzig Stunden in der Woche, der Stundenlohn siebenundfünfzig Pfennig bis zu einer Mark, liege aber in den meisten Fällen zwischen siebzig und fünfundachtzig Pfennig. An einigen Arbeitsstellen könne man jedoch durch Akkordarbeit mehr verdienen. Verheiratete Arbeiter würden eine Familienzulage von einer Mark bis zu einer Mark fünfzig pro Tag erhalten. Die Arbeitsverträge sollten für einen Zeitraum von sechs bis neun Monaten abgeschlossen werden. Die dänischen Arbeiter wurden aufgefordert, ihre dänische Kranken-, Invaliden- und Arbeitslosenversicherung aufrechtzuerhalten und gleichzeitig Mitglied der deutschen Krankenkasse zu werden. Die Beiträge für die deutsche Kasse und die Steuern würden etwa zwanzig Prozent des Verdienstes ausmachen.
Rasmus Larsen wußte, daß es in der Stempelstelle zu Diskussionen und Mißfallensäußerungen kommen würde, sobald die Arbeitslosen das Rundschreiben des Vereinigten Gewerkschaftsbundes gelesen hätten. Um jeder Kritik von seiten der Unbequemen vorzubeugen, befestigte Rasmus einen Artikel aus der Zeitung „Socialdemokraten“ neben dem Rundschreiben. Dort konnten die kommunistisch Infizierten lesen, wofür man sie hielt und weshalb es nicht anging, mit ihnen zu diskutieren.
„Die Politik der Kommunisten in Dänemark ist so unmittelbar mit der außenpolitischen Stellung dieser Partei verbunden, daß ein freier, öffentlicher Meinungsaustausch über ihre Haltung für den Teil der Presse, der verantwortungsbewußt die zwischen der dänischen Regierung und der deutschen Wehrmacht getroffenen Vereinbarungen respektiert, nicht möglich ist.
Gerade weil die dänischen Kommunisten wissen, daß es im Augenblick nicht möglich ist, ihrer wilden Demagogie entgegenzutreten, trägt ihre Presse mit verstärkter Energie gemeine Angriffe gegen die Führer der Arbeiterbewegung vor und verbreitet Gerüchte und böswillige Vermutungen.
Allein dieses Vorgehen sagt alles Notwendige über die moralische Verfassung der Kommunistischen Partei Dänemarks. Die Führer der Kommunistischen Partei stellen die Möglichkeit, parteipolitischen Profit zu erzielen, über jede Rücksichtnahme, auch über die Rücksicht auf die Zukunft der Nation und der Arbeiterbewegung.
Die Führer der Kommunistischen Partei Dänemarks haben in diesen Tagen ihren historischen Platz eingenommen. Wir zweifeln nicht daran, daß die Zeit kommen wird, wo man sie dafür zur Verantwortung zieht. Im Augenblick haben wir in den Gewerkschaften nur die Pflicht, sie zu bekämpfen und ihnen ihre Vertrauensposten zu entziehen, sofern sie noch die Gelegenheit haben, solche zu bekleiden.“
„Wir zweifeln nicht daran, daß die Zeit kommen wird, wo man sie dafür zur Verantwortung zieht“, schrieb die Zeitung.
Auch Kommissar Horsens las den Artikel und reichte dann die Zeitung seinem Stellvertreter. „Ich bin kein Politiker“, sagte er, „und ich interessiere mich, offen gesagt, sehr wenig für Politik. Aber ich finde, daß sie in dieser Zeitung die Dinge klar und deutlich ausdrücken.“
In der Abteilung D des zweiten Inspektorats herrschte Geschäftigkeit. Kommissar Horsens und sein Stellvertreter Odense rackerten sich ab; sie schwitzten bei der sommerlichen Wärme. Die Fenster des geheimen Büros standen zur Welt hinaus offen, man hörte die Geräusche der Stadt, die Straßenbahnen, die Kräne im Hafen, die Lange Brücke, wenn sie geöffnet oder geschlossen wurde, den Gesang einer Kolonne marschierender Soldaten. „Denn wir fahren, denn wir fahren, denn wir fahren gegen Engelland!“
Die gewaltige Kartei der Abteilung war durchgesehen worden. Jede einzelne Karte hatte man herausgezogen und gelesen, und aus den fünfundsiebzigtausend Namen hatte man die Namen der Kommunisten herausgesucht und in eine besondere Kartei – getrennt von der großen Hauptkartei – eingestellt.
Jetzt waren die beiden Herren dabei, die Sonderkartei zu sortieren; sie ordneten die Namen in Gruppen, die dem Grad ihrer Gefährlichkeit entsprachen.
Ein großer Tisch war mit weißen Karteikarten bedeckt, man konnte den Eindruck gewinnen, die beiden Kommissare seien damit beschäftigt, eine Patience zu legen oder irgendein anderes Spiel zu spielen. Sie waren beide in Hemdsärmeln, Horsens trug eine Weste und Ärmelhalter. Vor ihm auf dem Tisch stand inmitten der Karten das Foto von Frau Horsens und den Kindern, den Lieben zu Haus. Es stand auch Bier auf dem Tisch, und die schwitzenden Kommissare labten sich häufig.
Die Namenskarten wurden folgendermaßen sortiert: Die erste Gruppe umfaßte die Kommunisten, die Mitglied der zentralen Leitung der Partei waren, die zweite Gruppe die Mitglieder des Parlaments oder kommunaler Verwaltungen, die dritte die Mitglieder von Gewerkschaftsleitungen, die vierte schließlich Redakteure, Journalisten und so weiter.
Es war ein mühseliges Puzzlespiel, und wenn die Abteilung D auch in Zukunft als Informationsabteilung fungieren sollte, wo die Behörden Auskünfte über einzelne Bürger einholen konnten, war die Umgruppierung der Namenskarten widersinnig und störend. Die Neuordnung hatte nur einen Sinn, wenn man damit eine Verhaftungsaktion vorbereitete, wenn man damit rechnete, daß eines Tages der Befehl zur Verhaftung der aktiven dänischen Kommunisten gegeben würde.
Sollten zum Beispiel die deutschen Besatzungsbehörden einmal die dänische Polizei auffordern, gegen ihre kommunistischen Landsleute vorzugehen, mußte das Material in Ordnung sein. Und dafür schwitzten die beiden dänischen Kommissare schon jetzt.
Der lange, erbitterte Krieg zwischen der Abteilung D der Kopenhagener Polizei und der Sipo der Reichspolizei war nach der Besetzung des Landes eingestellt worden. Unter den für Dänemark so ernsten Verhältnissen mußten Einigkeit und Zusammenhalt auch im Polizeipräsidium herrschen. Gleich nach dem neunten April waren die beiden geheimen Abteilungen einer neugegründeten Institution, die sich „Der Staatsanwalt für besondere Angelegenheiten“ nannte, unterstellt worden. Sie sollte als Bindeglied zwischen der deutschen Besatzungsmacht und der dänischen Polizei fungieren; ihre Aufgabe war es, mögliche Vergehen dänischer Staatsbürger gegen die Besatzungsbehörden oder die deutschen Truppeneinheiten, die „auf Grund von Vereinbarungen mit der dänischen Regierung“ das Land besetzt hielten, aufzuklären und die Täter zu verfolgen.
Der Leiter dieser neuen Institution war Staatsanwalt Niels Hernild. Er war einmal Polizeichef in Skjern gewesen. Dort hatte er den cholerischen Polizeichef Rold abgelöst, der nach einem Nervenzusammenbruch pensioniert werden mußte – Rold hatte versucht, seine Frau zu erwürgen, die dem „Bols Blau“ und der Mayonnaise verfallen war. Nachdem Hernild die Ordnung im Polizeikreis Skjern wiederhergestellt hatte, wurde er Polizeianwalt in Kopenhagen, wo er bald den Ruf eines pflichtbewußten und tüchtigen Beamten genoß. Auf Ferienreisen in den Harz und an den Rhein hatte er Deutsch gelernt. Das kam ihm nun zugute. Er war als gewissenhafter und einsichtiger Jurist und als friedlicher Mensch bekannt, der sich für Heraldik und Stammbäume interessierte. Nie wäre ihm eingefallen, daß er ausersehen war, eine Rolle in der Geschichte Dänemarks zu spielen. Und als es soweit kam, sorgte er bescheiden dafür, daß diese Rolle so klein wie möglich blieb.
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