1 ...7 8 9 11 12 13 ...37 Das Schloß der verwitweten Gräfin von La Roche-Guyon stand in der Normandie; Henri hatte nicht weit, dorthin zu reiten, und das tat er des öfteren, seit er die Gräfin kannte. Er hatte bis zu der Schlacht von Ivry den Weg fast immer des Nachts gemacht, bei Tage hielten Arbeiten und Kämpfe ihn auf. In grauer Frühe langte er unter ihren Fenstern an, die junge Dame trat auf ihren Balkon hinaus, und er im Sattel, sie in sicherer Höhe, unterredeten sie sich eine Weile. Er sagte ihr, daß sie schön sei, wie nur die Fee Morgane, falls diese denn mehr als ein Traum wäre. Hier über seinem Kopf aber erscheine ihm der Traum in leiblicher Gestalt, eine blonde Frau, hoch, biegsam, und ihr Fleisch, dürfte man es nur berühren, werde gewiß nicht nach Feenart in Luft zergehn.
Was Antoinette mit galanten Scherzen desselben Geschmackes erwiderte. Sie ließ auch ihre fließenden Schleier auseinander gleiten, sich wieder schließen, und ihren blauen Blick machte sie abwechselnd ernsthaft, anzüglich, spöttisch und ganz still. Jedesmal ließ diese kluge und höchst ehrenhafte Dame den feurigen Liebhaber sich Hoffnungen machen. Nach Ablauf seiner kurzen Rast mußte er dennoch umkehren, ohne daß sie ihn eingelassen hätte. Ihre Ausrede war, daß noch Nacht wäre. Das sollte sie, nun seine Arbeit getan war, nicht mehr vorschützen können. Bald nach Ivry kündigte er an, daß er am hellen Nachmittag zu kommen gedenke. „Wenn wir noch so lange um den Brei herumgehen, einmal ist es so weit, daß Antoinette gesteht, sie habe Liebe für Henri. Herrin! Körperlich erhol ich mich schon, nur meine Seele wird die Betrübnis nicht los, bis Sie den Sprung über das Hindernis getan haben. Meine Treue verdient es. Tun Sie’s doch, mein Herz. Mein Alles, lieben Sie mich wie den, der Sie anbeten wird bis zum Grabe. Dessen zum wahren Zeugnis drück ich eine Million Küsse auf Ihre weißen Hände.“
So schrieb er; als aber später alles längst vergangen war und er hatte Antoinette nie besessen, reute ihn nichts, weder ihr Widerstand noch seine Hingabe. Vielmehr erhob er sie, aus Achtung für ihre Tugendhaftigkeit, zur Ehrendame der Königin.
Jenen angekündigten Besuch damals machte er, wie alle seine anderen, allein und unbegleitet. Sie tat erstaunt, empfing ihn auf der halben Höhe ihrer Freitreppe und führte ihn hinein zu einem Tisch, der Gläser und Teller für wenigstens zwanzig Personen trug. Zuerst ließ er sich täuschen und sah nach den Gästen umher. Sie lachte, so daß er begreifen mußte, woran er mit ihr war. Darauf bekam er auch seinen Witz zurück und verlangte, die Diener, die an der Wand standen, möchten den unsichtbaren Gästen die Schüsseln reichen. Sie schickte die Lakaien hinaus, sogleich wiederholte er, was er schon geschrieben hatte von dem Brei und dem Sprung, aber galanter und ausdrucksvoller, als der beste Brief vermag. Wahrhaftig, sie brauche Untreue nicht zu besorgen, sie habe sein Wort — von dem war er selbst überzeugt. Sie aber: „Sire! Anbetung bis zum Tode? Ich bin zu jung und möchte Sie nicht sterben sehen, weil Sie mich nicht mehr anbeten.“
Sie saßen zu zweien an dem langen Tisch mit den zwanzig Gedecken. Das hübsche, feine Gesicht versank wieder einmal in aufmerksame Stille, die Dame sprach:
„Ich spotte, Sire, weil ich mich fürchte. So singt man wohl im Dunkeln. Sie haben bei Ivry gesiegt, das war viel schwerer, als über eine arme Frau allein.“
Da fiel er ihr zu Füßen, küßte ihr Knie und bat bescheiden. Sie zeigte Strenge. „Ich bin von zu geringer Herkunft, um die Frau des Königs zu sein, und von zu großer für seine Geliebte.“ Als er bei seinem Wunsch verharrte, gab sie vor, schon in ihr Zimmer zu gehen, verließ aber das Haus auf seiner Rückseite und stieg in ihren bereit gehaltenen Wagen. Bevor Henri ihre Abwesenheit bemerkte, war sie gerettet.
Er hatte, auf der Suche nach ihr, mehrere Kabinette durchschritten. In dem letzten öffnete sich eine Tür, jemand kam von drüben. Kurz vor der Begegnung erkannte er sein Spiegelbild. Es hätte ihn sonst weniger lang irregeführt, aber er war verwirrt durch das Benehmen der jungen Frau. „Grüß dich, Alter“, winkte er in den Spiegel; was er dort erblickte, erregte bei ihm den Verdacht, diese junge Frau könnte in Wahrheit vor ihm davongelaufen sein, weil er ihr nicht mehr jung genug wäre. Es war in dieser Richtung sein erster Verdacht. Man erschrickt, prüft, und endlich lacht man, weil man widerlegt wird durch das eigene Herz, das Entzücken des Geschlechtes, das die Kraft vermehrt, wie eh und je. Was vermögen dagegen eingefallene Wangen, ergrauender Bart, die tiefe Falte, von der Nasenwurzel bis in die Mitte der gefurchten Stirn? Er ließ indessen das Lachen, damit er richtig die Anstrengung sähe in den erhobenen Brauen und in den aufgerissenen Augen den Schmerz.
,Warum so schmerzlich?‘ fragte er allen Ernstes. ,Tief innen bin ich heiter; und alle entzücken sie mich.‘ Er meinte die Frauen, das ganze Geschlecht. ,Sie hat die Nase zu groß gefunden‘, entschied er. ,Zu lang gebogen und herabgesenkt. Hat auch ein so schmales Gesicht eine Nase wie die!‘ Nach allem kam er zu dem Schluß, daß er sich mehr als früher „bei ihnen“ werde bemühen müssen. Das leichte Glück der Jugend war vorbei. Seinem Sinn entging hier, was außerdem noch verändert war. „Henri!“ sagte in dem gleichen Augenblick die Gräfin Antoinette, und das Ächzen ihres Wagens auf dem holprigen Wege verdeckte alles, ihren Ausruf und was sie litt.
,Henri! Wärest du nicht der große Sieger von Ivry. Sire! Ich hätte Ihnen zu Gesicht kommen sollen, als Sie ein unbekannter Prinz waren, und im Wald auf der Jagd fanden Sie die Frau eines Köhlers und machten sie glücklich. Sie ließen auch auf einem Ball die Kerzen auslöschen und nahmen sich im Dunkeln, welche Sie wollten. Die hätt ich sein wollen. Es wäre gehabt und verschmerzt, längst wären Sie weitergereist. Jetzt stehen Sie im Begriffe, ausdauernd zu werden: ein treuer Liebhaber, es war auf deiner Stirn zu sehen, mein Henri, und unter deinen Brauen las ich es. Ich möchte dir folgen überall hin, nur nicht in deine Größe, deinen Ruhm. Verzeih! Dein viel zu helles Licht würde auf mich fallen. Sire! Zehn Jahre lang versprächen Sie mir, mich zu heiraten, und niemals täten Sie es.‘ — „Im Schritt, Kutscher! Im Schritt nach Hause!“ — ,Jetzt wird er fortgegangen sein.‘ Sie weint.
Die Jagd mußte Henri über die Liebe trösten, und als er nun mit Pferden und Hunden über eine Ebene jagte, und an ihrem Ende erhob sich ein Hügel mit einem Schloß, was erblickte er? Ein Zug, der sonderbar schien, erklomm den Hügel — sehr langsam übrigens, die Jäger holten ihn leicht ein. „Heda, Leute, was ist das?“ Voran die großen Pferde, mit aufgeschlitzter Haut.
„Sire! Es sind die Reitpferde des Herrn de Rosny. Das größte war sein erstes bei Ivry. Es ist unter ihm zusammengestürzt, und später haben wir es aufgegriffen.“
„Warum führt der Page eine Rüstung und ein weißes Banner?“
„Es ist der Page des Herrn de Rosny, er trägt die eroberte Hauptstandarte der katholischen Armee. Der andere Page hält mit einer zersplitterten Lanze den zertrümmerten Helm des Herrn de Rosny.“
„Wer sind die hinter ihnen?“
„Der mit verbundenem Kopf ist der Stallmeister des Herrn de Rosny, der andere auf dem englischen Zelter ist sein Kammerdiener, gekleidet in den orangegelben und silbernen Mantel des Herrn, in der Hand seine Siegeszeichen, das sind Schwerter und Pistolen, die Herr de Rosny an den Feinden zerbrochen hat.“
„Aber in der Mitte, auf der Bahre?“
„Sire! Herr de Rosny.“
„Ich hoffe, daß es ihm gut geht, sonst hätte er sich selbst keine so schöne Ovation bringen können“, sagte Henri, seinen Begleitern zugewendet. Dann fragte er wieder den Mann aus dem Zuge: „Wer reitet denn auf den Eseln hinter der Bahre?“
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