Mutter saß da, unbeweglich wie ein Tisch.
Vater verlor die Geduld, packte sie an den Armen, riss sie hoch, schüttelte sie, als wolle er sie wach rütteln.
»Komm zurück, Klara!«
Sie sackte wieder auf den Stuhl.
Schweißperlen traten ihm auf die Stirn: »Pass auf, Klara«, stieß er hervor, »komm zu dir, oder ich nehme dir das Kind weg!«
Mutter zuckte zusammen. Ich hielt entsetzt den Atem an. Mein Schluckauf war verschwunden.
»Ja! Du hast dich nicht verhört! Ich nehme dir das Kind fort. Gebe es zu Martha in Obhut. Sie wird sich um Bärel kümmern und ihn wie einen eigenen Sohn aufziehen.«
»Nein!«, schrie Mutter auf. »Er bleibt hier!«
»Dann sei dem Kind eine Mutter!«
Vater riss die Küchenschublade auf, zog mehrere Bogen Papier heraus, warf sie auf den Tisch. Sauberes, unbeschriebenes, dünnes Papier, Luftpostpapier. Für mich? Zum Malen? Krachend rückte er Mutters Stuhl an den Tisch, presste ihr einen Bleistift in die Hand, umklammerte eisern ihre Finger, damit sie ihn nicht losließ.
»Schreibe, Klara, schreibe. Bann das Böse auf das Papier! Fessele es mit deinen Worten! Verpass Liliput den Todesstoß!«
»Was willst du von mir? Ich kann nicht mehr schreiben. Habe das verlernt. Dass ich auf der Schule war, ist schon so lange her.«
»Buchstabieren kannst du«, sagte er streng. »Schreibe, ich befehle es dir! Schreib dich gesund für dein Kind, wenn du es behalten willst! Kämpfe um jeden Satz! Sobald du den Stift aufsetzt, wird sich das Blatt füllen!«
Vaters herrischer Ton gefiel mir. Wenn Not am Mann war, kehrte er den Mächtigen raus, das imponierte mir. Mutter drehte gehorsam den Bleistift zwischen ihren Fingern: »Das Kind bleibt!«, flüsterte sie.
Ihre Augen wanderten vom Papier zu mir und wieder zurück. Eine endlos lange Weile für mein ausgeprägt feines Gefühl. Flecken, rot wie Marmeladenkleckse, verfärbten ihren Hals. Mutters Hand fuhr sanft über das dünne Blatt, als spürte sie schon die freischwebenden Buchstaben. Sie sprang auf, schnallte mich los, zog mich aus dem Sportwagen, nahm mich auf ihren Schoß, drückte mich an sich, dass ich ihr Herz pochen hörte.
»Du bleibst bei mir«, flüsterte sie.
Zart strich sie über mein Ärmchen, als wolle sie die Rundung meiner Armbeuge erkunden. Ihre Finger berührten mein vorgewölbtes Bäuchlein, als spürte sie es zum ersten Mal. Ich wagte nicht, mich zu bewegen, hielt ganz still. Wie warm ihre Hand war. Mutter spielte Kolumbus mit mir. Sie ging auf Entdeckungsreise. Tastete die Konturen meines Körperchens ab, als erforschte sie eine ihr unbekannte Küste. Immer weiter wanderte ihre neugierige Hand, sanft umfasste sie meine Füßchen, begrüßte sie freudig, als betrete sie Neuland. Mutter liebkoste meine kleinen Zehen, kitzelte meine Sohlen. Ich kicherte. Spaßeshalber knabberte sie an meinen Händchen, als schmeckten sie ihr. Lustig. Schließlich ankerte ihre Hand am heißesten Ort der Erde, meinem erhitzten Köpfchen. Sie tippte mit der Fingerspitze spielerisch auf meine winzige Nase, zwickte meine warmen, dicken Backen. Mutter küsste mich. Mir wurde glühend heiß, als ob die Sommerhitze mich versengte. Mutter entdeckte ihr Herz für mich, obwohl wir schon mehr als eineinhalb Jahre miteinander lebten?
»Ich schreibe«, begann sie langsam, stockend. »Nachts. Am Küchentisch. Für dich … mein Kind … Für meinen kleinen Sohn.«
Ihr Gesicht war ganz nass. Warum trocknete Vater es ihr nicht ab? Vater fixierte sie mit zusammengekniffenen Augen, wie zwei kleine Schlitze sahen sie aus.
»Wenn ich schreibe …«, sie stockte wieder zwischen den Worten, schluckte, wischte sich mit dem Ärmel über die nassen Augen, »dann die ganze Wahrheit.«
Vater nickte bekräftigend, als ob er die Wahrheit kannte.
»Der Junge bleibt bei mir, während ich schreibe.«
»Nein«, widersprach Vater, »zum Schlafen gehören Kinder ins Kinderzimmer. Das weißt du doch.«
»Kinder schlafen überall.«
»Bärel braucht Ruhe.«
»Das Kind schläft bei mir, während ich schreibe. Ich muss wissen, für wen ich mir die Gedärme aufreiße.«
Nur zögernd willigte Vater ein.
Ein kleiner Stein plumpste zu Boden, zwei, drei, vier, kullerten wie Murmeln an mir herunter. Ich war so erleichtert. Sie behalten mich. Mutter gibt mich nicht fort. Sie lässt mich nicht im Stich. Sie will mich. Mutter liebt mich. Ich will nicht einen Wimpernschlag länger Krabeiski sein. Ich zauberte mein allerschönstes Lächeln auf die Lippen und sprach das Wort aus, das Mutter sich so sehr wünschte.
Ich sagte: »Mama.«
Vater stand auf, verließ die Küche, er wolle das Eisengitter an der Eingangstüre befestigen, murmelte er. Beim Gehen sah ich ihn verstohlen die Augen mit den Handballen abwischen.
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