«Aber warum... es ist mir unbegreiflich...»
«Ich verstand es zuerst auch nicht, Jan. Es muß sich aber um einen Racheakt gehandelt haben, und vielleicht hätte es mit meinem Tod geendet, wenn mir schließlich die Flucht nicht doch geglückt wäre. Die Flucht selbst ist eine lange Geschichte, die ich dir ein andermal erzählen werde – die andern haben sie schon zu oft gehört –, aber bei der Sache kommt ein Name vor, der dich sicher interessieren wird, nämlich Katz.»
«Katz», stieß Jan verblüfft hervor. «Der Meisterspion? Ich denke, er ist tot!» a
«Freilich, der Meisterspion ist tot, aber wir wissen jetzt, daß sein Bruder weiterarbeitet, leider ebenso gut. Er ist aber nicht nur darauf aus, wie sein verstorbener Bruder mit der Spionagetätigkeit Geld zu verdienen, sondern er sinnt auch auf Rache. Allem Anschein nach weiß er, was früher alles vorgefallen ist, und darum sage ich dir, mein Junge, gib acht!»
Jan war so überwältigt, daß er nicht gleich Worte fand. Er dachte an die Zusammenstöße, die er und seine Freunde mit dem Meisterspion erlebt hatten, und es stimmte ihn besorgt, daß nun in Gestalt des Bruders ein Rächer aufgetreten war. Schließlich sagte er: «Scheint mir wirklich ernst zu sein, Vater.»
«Es ist sehr ernst», bekräftigte Helmer. «Paul Katz war ein gefährlicher Mann, aber der Bruder ist noch schlimmer, jedenfalls bedenkenloser. Wir waren ihm und seiner Bande schon mehrmals auf der Spur, und jedesmal sind sie uns entschlüpft. Im übrigen gleicht Werner Katz seinem verstorbenen Bruder wie ein Ei dem andern, aber er versteht es, sich zu maskieren, und seine Bande arbeitet so gut, daß wir bisher nicht zuschlagen konnten.» Der Kommissar machte eine Pause. «Es kann für dich ernst werden, Jan, und ich muß mich darauf verlassen, daß du kein unnötiges Risiko eingehen wirst. Du wirst dich gegebenenfalls sofort an mich wenden, nicht wahr?»
Jan lächelte flüchtig. «Selbstverständlich, Vater, und ich werde auch aufpassen. Deine Entführung beweist ja, daß mit der Bande nicht zu spaßen ist.»
Er ahnte nicht, wie recht er damit hatte. Als die Gruppe bei Helmers Wagen angelangt war, kam hinter der Ecke des Flughafengebäudes vorsichtig ein Kopf hervor. Hätte Jan dieses Gesicht gesehen, so hätte er glauben müssen, der Meisterspion Paul Katz wäre von den Toten auferstanden.
Jan fand es sonderbar, wieder in der Heimat zu sein, während sich seine Freunde auf der anderen Seite der Erdkugel aufhielten. Sein Zimmer war für ihn bereit, aber er vermißte Erling, mit dem er hier zusammengearbeitet hatte. Daß er sein Studium fortsetzen würde, galt als selbstverständlich, doch seine Eltern meinten, er könne damit warten, bis Erling ebenfalls aus dem Ausland zurückkehrte. Die unzertrennlichen Freunde wollten ja beide Ingenieur werden und beim Studium miteinander Schritt halten. Frau Helmer war überglücklich, ihren Sohn wieder um sich zu haben, aber für Jan wäre es doch ein wenig langweilig gewesen, wenn er nicht Boy zur Gesellschaft gehabt hätte.
Anfangs zeigte sich der Hund seinem neuen Herrn gegenüber ziemlich abweisend, doch da Jan mit Schäferhunden umzugehen wußte, dauerte es nicht lange, bis die Freundschaft geschlossen wurde. Boy schlief bei Jan im Zimmer, und jeden Tag unternahm er mit dem Hund einen weiten Spaziergang. Mit der Zeit gehorchte ihm Boy aufs Wort.
Eines Abends kam Jens Bach und suchte Jan in seinem Zimmer auf. Er ließ sich im Sessel nieder und sagte lächelnd: «Es ist ja schön, dich wieder hier zu haben, Jan, aber ich hege den Verdacht, daß du dich langweilst. Dir fehlen nicht nur deine Kameraden, sondern auch spannende Ereignisse, nicht wahr?»
«Wie man’s nimmt», antwortete Jan ausweichend.
«Geh, ich kenne dich doch!» Jens lachte. «Offen gestanden, ich hätte auch ganz gern etwas Abwechslung, und eigentlich habe ich auf dich gezählt. Aber es besteht wohl keine Hoffnung?»
Jan betrachtete seinen zukünftigen Schwager belustigt. Jens war ein flotter, sportlicher junger Mann, der das Leben zwar nicht leichtnahm, aber gleichzeitig von Abenteuerlust beseelt war und sich gegebenenfalls als zuverlässiger Helfer erwies, wenn es galt, auf Verbrecher Jagd zu machen.
«Spannende Ereignisse kommen immer wie ein Blitz aus heiterm Himmel», sagte Jan munter.
«Manche haben in dieser Beziehung mehr Glück als andere», erwiderte Jens mit einem kleinen Seufzer.
Er konnte nicht ahnen, wie bald sein Wunsch in Erfüllung gehen sollte...
Zur selben Stunde waren in einem alten Haus vor der Stadt mehrere Männer versammelt. Dieses Haus war früher das Hauptgebäude einer Gärtnerei gewesen, aber als der Grund und Boden zum Verkauf ausgeschrieben worden war, hatte ein Deutscher das Haus erworben. Dieser Mann gab sich als Schriftsteller aus und erklärte, für seine Arbeit Ruhe zu brauchen. Tatsächlich hätte ein Fremder, der einen Blick durchs Fenster warf, ihn am Schreibtisch sitzen sehen können, aber die Arbeit des «Schriftstellers» bestand hauptsächlich darin, Wochenberichte an eine Spionagezentrale in Hamburg zu senden.
Der Mann war Mitglied einer weitverzweigten internationalen Spionage-Organisation, einer von jenen, die sich für den Höchstbietenden verdingten, und er arbeitete zur Zeit in Dänemark. Der eigentliche Chef hieß Werner Katz und war der jüngere Bruder des berüchtigten Meisterspions Paul Katz, der Jan und seinen Freunden große Schwierigkeiten bereitet hatte. Er war schlank und trug meistens einen eleganten dunklen Anzug; wenn er Dänisch sprach, hörte nur ein sehr feines Ohr den fremdländischen Tonfall heraus. Im allgemeinen verhielt er sich ruhig und beherrscht, doch wenn er in Zorn geriet, trat der Fanatiker zutage. Dann schwollen ihm die Schläfenadern, seine Stimme wurde schneidend, die Augen nahmen einen geradezu unheimlichen Ausdruck an. Seine Helfershelfer achteten ihn wegen seiner Tüchtigkeit, fürchteten ihn aber auch sehr. Da die Spionagetätigkeit gut bezahlt wurde, nahmen sie manches in Kauf.
Werner Katz leitete die Zusammenkunft, die jetzt in dem alten Gärtnerhaus stattfand. Die Männer hatten ihm aufmerksam zugehört, warfen einander aber bedenkliche Blicke zu, als er schloß: «Und da Jan Helmer jetzt nach Dänemark zurückgekehrt ist, muß er unschädlich gemacht werden!»
Eine Weile herrschte Schweigen. Dann sagte der «Schriftsteller», der Herbert Schön hieß: «Wir werden ein ganz unnötiges Risiko laufen und uns unter Umständen in die Nesseln setzen...»
«Was soll das heißen?» entgegnete Katz scharf. «Wer befiehlt hier, du oder ich?»
Schön zuckte die Schultern. «Natürlich du, Katz, aber deswegen kannst du doch auf einen vernünftigen Rat hören. Auch dein Bruder war rachedurstig, und das ist ihm zum Verderben geworden. Meiner Meinung nach wird uns Jan Helmer bei der Arbeit nicht schaden, wenn wir ihn in Frieden lassen.»
Katz beugte sich über den Tisch vor und sagte eiskalt: «Ich fürchte mich nicht vor Jan Helmer, aber ich will mich an ihm rächen. Er und seine Freunde sind schuld daran, daß unsere Organisation ihren Meisterspion verloren hat.» Mit blitzenden Augen fügte er hinzu: «Und unser Meisterspion war mein Bruder!»
Wieder zuckte Schön die Schultern. «Du bist der Chef, und du trägst die Verantwortung.»
Die andern hatten geschwiegen. Sie wußten alle, daß mit Werner Katz nicht zu spaßen war. Er pflegte unbarmherzig abzurechnen, wenn man sich ihm widersetzte.
Katz blickte ringsum. Er sah wieder friedlich aus, und seine Stimme klang ruhig, als er sagte: «Wir sind ohnehin ohne Arbeit, da ich vom Büro in Hamburg neue Anweisungen abwarten muß. Diese Zeit wollen wir für die Abrechnung mit Jan Helmer nutzen, und diesmal soll es kein Fiasko geben.»
Die Männer waren sich darüber klar, worauf er hindeutete. Kriminalkommissar Helmer wurde von der internationalen Spionage-Organisation als einer der gefährlichsten Widersacher betrachtet, und da Werner Katz ihn gleichzeitig persönlich haßte, war beschlossen worden, ihn zu entführen. Was dann weiter mit ihm geschehen sollte, hätte vom Hauptbüro in Hamburg bestimmt werden müssen; doch während man diesen Beschluß noch abwartete, war Helmer die Flucht gelungen. Zwei Wächter hatten einander bei der Ablösung mißverstanden, so daß die Kellertür einige Minuten nicht abgeschlossen gewesen war. Eine knappe halbe Stunde später erschienen Streifenwagen bei dem Haus am Greve-Strand, doch inzwischen war die Flucht des Kommissars entdeckt worden, und die Bande hatte schon das Weite gesucht. Seither arbeitete die Polizei unter Hochdruck, um ihr auf die Spur zu kommen, jedoch vergebens; denn mittlerweile war das neue Hauptquartier in dem alten Gärtnerhaus aufgeschlagen worden. Wie die Füchse verfügten die Spione über mehrere Verstecke, und die unterirdische Arbeit wurde ungehindert fortgesetzt.
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