„Stop“, sagt er, „ich bin Leutnant Tebster von der CIC. Das ist der amerikanische Geheimdienst. Und jetzt sage ich Ihnen etwas, Fräulein: Werner Eckstadts Geständnis wurde erpreßt. Der Mann ist unschuldig.“
„Erpreßt?“ fragt Brigitte verständnislos.
„Ja. Von meiner eigenen Dienststelle. Und ich werde das vor jedem Gericht der Welt behaupten.“
„Das sagen Sie als amerikanischer Offizier?“ fragt Brigitte zögernd.
„Genau das. Und jetzt können Sie entscheiden, wem Sie glauben wollen!“
Jetzt erst begreift Brigitte. Ihr Gesicht wirkt auf einmal jung und frisch. Ihre Augen glänzen, aber anders als zuvor. Sie wird lebhaft, sieht Vera voll an, betrachtet die beiden Männer.
„Mein Gott“, sagt sie, „mein Gott … das habe ich ja alles nicht gewußt …“
Tebster lächelt.
„Dann kommen Sie gleich mit“, erwidert er.
Brigitte nickt. Jetzt erst laufen ihr salzige Tränen über das heiße Gesicht …
An diesem Morgen gibt Colonel Evans zum ersten Mal Werner Eckstadt die Hand. Der Druck ist fest und kalt. Fest und kalt mustern auch die Augen des amerikanischen Offiziers den deutschen Untersuchungsgefangenen.
„Haben Sie sich über Nacht erholt?“ fragt er.
„Yes, Sir.“
„Gut, dann machen wir weiter … Zigarette?“
„Danke.“ Zögernd greift Werner nach der Camel-Pakkung.
Der Oberst wirft ihm Streichhölzer über den Tisch.
„Ja“, beginnt Werner nachdenklich, „wissen Sie, daß ich immer zusammenfahre, wenn mir eine Zigarette angeboten wird, Sir? Glauben Sie mir, es gab eine Zeit, da waren Zigaretten gemeiner als Fußtritte.“
Colonel Evans nickt, steht auf, tritt an das Fenster.
„Ich habe Vertrauen zu Ihnen, Eckstadt“, erwidert er. „Sie dürfen nicht glauben, daß mir das leichtfällt … Wissen Sie, was damals an der Straßenkreuzung von Malmedy passiert ist?“
„Ich weiß es … heute“, versetzt Werner leise.
„Und wissen Sie, was diese Leute verdient haben?“
„Den Strick.“
Der Colonel nickt.
„Und ich werde mich verdammt beherrschen, sie vom Strick abzuschneiden.“ Der Oberst geht mit schnellen Schritten in dem trostlosen Vernehmungszimmer hin und her, bleibt stehen, schnippt die Asche auf den Boden, marschiert weiter. „Trotzdem weigere ich mich, zu glauben, daß alle Deutschen Mörder sind … Und Sie Eckstadt, sollten wissen, daß Amerika etwas anderes ist als ein Haufen dahergelaufener Sadisten. Ich weiß nicht, ob Sie Wert darauf legen“, fährt er fort, „aber ich werde Ihnen das beweisen. Ich bin nicht hier, um Sie zu retten oder einen anderen … Nein, ganz bestimmt nicht. Es geht mir um die Ehre meines Landes … Fahren Sie fort!“
Der Colonel setzt sich auf den Stuhl, lehnt sich zurück, schließt die Augen halb. Sein Gesicht wirkt wach und nachdenklich. Er fährt sich mit der Hand über den Mund, als wollte er seine Worte wegwischen, als habe er bereits zuviel gesagt …
Werner schweigt zunächst. Er starrt auf den Boden, streift einen Moment den Oberst mit einem raschen Seitenblick, räuspert sich.
„Damals schien plötzlich alles besser zu werden“, beginnt er. „Ich kam in eine Vier-Mann-Zelle. Und da war ein SS-Oberscharführer namens Heger, ein Mann, ein Kerl, selbst noch in dieser Lage … Wir haben zu ihm aufgesehen, bis …“
Unbewegt verfolgt der Oberst den Bericht. Seine Miene verändert sich nicht, selbst als ihm das Grauen unaufhaltbar den Rücken hochkriecht. Er weiß, daß es heute auf den Höhepunkt der Voruntersuchung zugeht … und daß das ebenfalls der Höhepunkt eines Verbrechens sein wird, das amerikanische Soldaten und Offiziere an wehrlosen deutschen Kriegsgefangenen verübt haben.
Werners Zellenkameraden waren zunächst ein 18jähriger SS-Mann und ein knapp 30jähriger Unterscharführer, zwei Freunde. Der Ältere, Hans Zenker, nannte den Jüngeren, Klaus Niessen, immer „Söhnchen“. Abwechselnd wurden sie zu Vernehmungen geholt. Der kleine Niessen hatte verkrustetes Blut unter der Nase, als er zurückkam.
„Was haben sie von dir gewollt, Söhnchen?“ fragte Zenker.
Der 18jährige erwiderte stockend:
„Straßenkreuzung … Malmedy.“
„Bei mir dasselbe“, antwortete Zenker.
Dasselbe …, dachte auch Werner Eckstadt.
Als nächster wurde Werner geholt. Die Taktik der Amerikaner änderte sich. Leutnant Prince war von einem neuen Vernehmungsoffizier abgelöst worden. Oberleutnant Mc-Cormick behandelte Werner distanziert, aber korrekt. Er sprach ebenfalls fließend Deutsch. Pedantisch konnte er stundenlang auf Nebensächlichkeiten herumreiten. Aber immer endete das Gespräch in der gleichen Sackgasse. Und jedesmal, wenn Werner seine Unschuld beteuerte, sagte der Oberleutnant:
„Einer muß ja dabeigewesen sein.“
Die Anklagevertretung hatte jetzt schon über 50 Mann aus den Kriegsgefangenenlagern aufgefischt, die der Malmedy-Verbrechen bezichtigt wurden, und 25 von ihnen waren mit Sicherheit gemeine, erbärmliche Mörder.
Nach der Vernehmung wurde Werner in das Krankenrevier geschafft und behandelt. Cornedbeef stand als Wache dabei und ekelte sich vor dem Brei aus Eiter an Eckstadts Oberarm.
Sie tauschten ihre Verhör-Erlebnisse in der Zelle nicht aus. Einmal, weil sie nicht sicher waren, ob die Amis nicht mithörten; zum anderen, weil die beiden Freunde Werner nicht ganz trauten. Sie folgten ganz einfach der alten SS-Lehre: wenn ein Kumpel einmal eine Wehrmachtsuniform anhat, dann kannst du nie wissen …
Alles änderte sich schlagartig, als Oberscharführer Heger ebenfalls die Zelle bezog. Er war groß und breitschulterig und hatte ein Clowns-Maul, das sich beim Lachen bis zu den Ohren dehnte. Er lachte oft. Es schien ihm bisher besser gegangen zu sein als den anderen drei. Vielleicht konnte er auch mehr aushalten. Jedenfalls sagte er immer wieder:
„Kinder, nehmt’s nicht so tragisch, verdammt noch mal.“
Dazu lachte er breit und gutmütig.
Die Amis ließen sich ein paar Tage lang überhaupt nicht sehen. Es herrschte Ruhe auf den Gängen.
„Jetzt lassen sie uns im eigenen Saft schmoren“, sagte Söhnchen. Als er ausgesprochen hatte, öffnete sich die Zellentüre.
Es war Cornedbeef.
Oberscharführer Heger fuhr von seiner Pritsche hoch.
„Achtung!“ brüllte er …
Sie standen alle drei stramm und legten die Hände an die Hosennaht. Es war ihnen schlecht vor Angst und Hunger.
Cornedbeef blinzelte bloß.
Oberscharführer Heger grinste ihm ins Gesicht.
„Verdammte Scheiße“, sagte er, „können wir ein paar Zigaretten haben, Sergeant? … Hier wird man ja verrückt.“ Er sprach in miserablem Englisch, dreist und hemmungslos.
Werner erwartete den Gummiknüppel. Aber der Sergeant reagierte seltsam. Er zuckte zusammen, feixte, fingerte an seiner Brusttasche herum und kramte ein angebrochenes Päckchen Chesterfield hervor, warf es Heger zu.
„Streichhölzer?“ fragte der Oberscharführer freundlich.
„Da, ihr Schweine“, erwiderte Cornedbeef gemütlich und fingerte auch noch Streichhölzer aus der Tasche. Erst beim Weggehen wurde sein Blick giftig.
Zenker, Niessen und Eckstadt waren sprachlos.
Heger lachte.
„Ihr Feiglinge, laßt euch doch von denen nicht ins Bockshorn jagen … man muß sie bloß richtig behandeln, dann spuren sie schon.“
Die drei fühlten sich blamiert und beschämt. Natürlich, so mußte man sich verhalten! Wie Heger! Man mußte ihnen unverschämt kommen. Der Oberscharführer war nicht mit Gold zu bezahlen. Er holte Spielkarten aus seiner Tasche, und sie saßen den ganzen Tag zusammen bei Skat und Siebzehnundvier. Heger übernahm die Führung in der Zelle. Sie hörten sich bereitwillig seine Geschichten an. Er mußte ein toller Kerl gewesen sein an der Front. Einmal öffnete er die Brusttasche seines Uniformrocks und ließ ein Ritterkreuz durch seine Finger gleiten.
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