„Ich weiß nicht, für wie dämlich Sie uns halten … Sie selbst haben zugegeben, daß Sie bei der Vorhut waren. Und was Ihre saubere Vorhut angerichtet hat, das weiß die ganze Welt inzwischen. Das wird von keinem Menschen mehr bestritten, nicht einmal von Ihren eigenen Kameraden. Es dreht sich nur darum, wer was getan hat – weil, wenn wir Ihren Leuten glauben, kein Mensch der Vorhut einen Amerikaner umgebracht hat, aber alle zugeben, daß Amerikaner umgebracht worden sind …“ Der Offizier hatte einen angeekelten Zug um die Mundwinkel.
„Ich war nicht direkt bei der Vorhut“, sagte Eckstadt leise, „ich war bei der Vorausabteilung der Vorhut …“
„Kommen Sie! Kommen Sie! … Auf einmal! Auf einmal merken Sie, daß Sie aufs Glatteis geraten.“
Werner Eckstadt hatte noch selten in seinem Leben ein menschliches Gesicht sich so schnell verändern sehen. Der Leutnant lief nicht rot, sondern gelb an. Er sprang auf und schrie:
„Ein Lügner sind Sie! Ein Dreckschwein! Ein verdammter deutscher SS-Bastard! … Stehen Sie auf, wenn ich mit Ihnen spreche!“ brüllte er im reinsten Kommisdeutsch.
Bei dem Geschrei hatte Werner Eckstadt gar nicht gehört, wie das Wachkommando ins Zimmer kam, Cornedbeef allen voran.
„Legen Sie die Hände an, wenn ich mit Ihnen spreche!“ schrie der Leutnant. „Wenn ihr auf unseren Ton nicht hört, versteht ihr vielleicht euren eigenen …“
Weil Werner Eckstadt den verwundeten, verbundenen Arm nicht gerade an die Hosennaht legen konnte, traf ihn der Knüppel Cornedbeefs mit voller Wucht. Eckstadt schrie auf. Er dachte, der Arm sei ihm abgeschlagen worden.
„Sie werden uns kennenlernen“, brüllte der Leutnant. „Demokraten sind wir nur mit Demokraten. EureMethoden sollt ihr, wenn es sein muß, am eigenen Leib erfahren …“
Werner sollte erleben, daß der Leutnant nicht übertrieben hatte. Noch in der gleichen Nacht wurde er zum nächsten Verhör herausgerissen. Der Leutnant schien keine Müdigkeit zu kennen. Das Verhör begann genauso freundlich wie das erste. Genau an der gleichen Stelle lief es wieder fest. Genau dort, wo Werner Eckstadt wiederum beteuerte, nicht an Erschießungen von Amerikanern beteiligt gewesen zu sein. Nur was dann kam, wurde schlimmer. Leutnant Prince schrie zwar nicht. Aber er rief Cornedbeef herein.
„Bringen Sie den Mann zurück zur Zelle!“ befahl er. Dann drehte er sich um.
Cornedbeef brachte Eckstadt nicht direkt in die Zelle. Er brachte ihn erst in einen anderen Raum, der Doppeltüren hatte.
„Wenn du es dem Leutnant nicht sagen willst, daß du unsere Jungens massakriert hast, dann willst du’s mir vielleicht sagen?“
Eckstadt schwieg.
„Nein?“ fragte Cornedbeef bedauernd.
Eckstadt sah ihn an. Der Sergeant sah Eckstadt an. Und ganz ruhig haute er ihm mit dem Knüppel wieder auf den Oberarm.
Eckstadt stöhnte auf.
„Was willst du? Ich schlage nicht sehr stark …“ Und wie zur Bekräftigung versetzte Cornedbeef ihm noch einen mittleren Schlag auf den verwundeten Arm. Aber der Schlag genügte, um Werner Eckstadt das Gefühl zu geben, den Arm wieder und wieder gebrochen zu bekommen.
„Dein Arm ist beschissen!“ meinte Cornedbeef und schlug wieder drauf. „Du solltest ihn dir amputieren lassen“, riet er Werner freundlich und schlug noch einmal zu. „Ich könnte das auch. Brauchst gar keinen Arzt!“ Und noch einmal holte er aus. Mit aller Kraft.
Werner Eckstadt rutschte an der Wand herunter, gegen die ihn Cornedbeef gestellt hatte. Der Militärpolizist stieß ihn an.
„Steh auf!“ sagte er gleichmütig.
Werner sah schwarze Kreise. Dann bemerkte er nichts mehr.
Das nächste, was er wieder sah, war Leutnant Prince. Der Offizier lächelte.
„Warum nicht gleich so, Eckstadt?“ fragte er.
Werner Eckstadt erbrach sich.
Der Leutnant hielt ihm ein Papier vor. Werner tanzten die Buchstaben vor den Augen.
„Unterschreiben Sie Ihr Geständnis?“
„Kein Geständnis“, murmelte Eckstadt.
Der Leutnant lachte.
„Sie haben eben dem Sergeanten alles zugegeben … Warum stellen Sie sich nur bei mir so an?“
„Ich habe nichts zugegeben“, entgegnete Eckstadt mühsam.
Da bekam er einen Schlag auf den Oberarm.
„Willst du behaupten, daß ein Amerikaner lügt!“ schrie Cornedbeef.
Und für Werner Eckstadt wurde es zum zweitenmal Nacht.
Man zerrte ihn in die Zelle zurück. Cornedbeef hatte ihn sich halb über die Schulter gehängt. Er kniff ihn unterwegs dreimal so infam in die Nase, daß Werner Eckstadt die Tränen kamen.
Wann immer Werner eine Minute Zeit zum Überlegen hatte, zwischen den Folterungen der Anklagevertretung, zwischen der Qual der eigenen Gedanken, überlegte er wieder und wieder: wie kommen sie dazu, sich wie ein Haufen wildgewordener Faschisten zu benehmen? Wie kommen sie dazu, Hitlers Methoden zu übernehmen? Er hatte sich nach der Demokratie, die er nicht kannte, gesehnt. Und die Enttäuschung, die er jetzt, buchstäblich am eigenen Leib, erfuhr, schien ihm noch größer zu sein als die körperliche Qual. Er dachte dabei nicht an Cornedbeef. Typen dieser Art gibt es in allen Ländern, in allen Uniformen … sadistische, erbärmliche, geborene Mörder, manchmal leider auch in einer Demokratie.
Nein, diesen Schläger zog er nicht in seine Überlegungen ein. Was aber veranlaßte den zwar farblosen, aber sicherlich korrekten Leutnant Prince, solche Methoden nicht nur zu dulden, sondern noch anzuregen?
Von Hauptscharführer Müller wußte Werner nichts. Vielleicht hätte das Wissen um dessen Tat den Kreislauf seiner verzweifelten Gedanken beendet. Er hätte das Benehmen seiner Peiniger wenigstens begreifen können. Verstehen schon, entschuldigen vielleicht, billigen natürlich nicht …
Als Müller als einer der ersten Untersuchungsgefangenen in das Vernehmungszimmer geführt wurde, kannte Leutnant Prince genau sein Verbrechen. Ein Verbrechen ohne Beispiel. Damals, an der Straßenkreuzung bei Malmedy …
Eben hat das Massaker begonnen. Dutzende von Amerikanern fliehen um ihr Leben. Aber die Mörder lachen nur. Einige GIs laufen auf den Wald zu, die meisten fallen, noch bevor sie ihn erreichen. Nur Leutnant Johnson, ein drahtiger, junger Offizer aus New York, kommt weiter. Aber hinter ihm ist Hauptscharführer Müller. Die Todesangst treibt den Leutnant vorwärts. Er wenigstens hat eine Chance, zu entkommen. Aber er stolpert über eine Baumwurzel und bleibt liegen.
Da ist schon der Verfolger neben ihm. Johnson kommt langsam hoch, hebt die Hände in die Höhe. Sein aschfahles Gesicht zuckt, seine Augen bitten, seine Lippen bewegen sich wortlos. Abseits vom Gemetzel stehen sich zwei Menschen gegenüber. Und der Leutnant fällt auf die Knie, hebt die Hände. Die Todesangst gibt ihm Worte. Er betrachtet seinen Verfolger … ein Gesicht, zwei Augen, ein Mund, eine Nase, Hände, ein Herz … das alles hat der Hauptscharführer. Äußerlich gesehen ist er ein ganzer Mensch. Nichts wurde vergessen. Nichts, außer einer Spur von Gewissen.
„Ich habe zwei Schwestern“, stammelte der Leutnant, „und eine alte Mutter … Sie lebt von mir. Wenn Sie mich erschießen …“
„Pistole“, sagt Müller.
Mit zittrigen Händen macht sie Johnson los und übergibt sie ihm.
„Ich bin nicht freiwillig in den Krieg gezogen“, fährt der Amerikaner fort, „so wenig wie Sie.“ Seine Worte überschlagen sich. Er spricht Englisch. Müller versteht mehr seine Gebärden als seine Worte.
„Brieftasche“, sagt er.
„Ich bin Arzt … Ich werde es. Sobald der Krieg aus ist.
Nur ein Examen fehlt noch.“
„Armbanduhr“, sagt der Hauptscharführer.
In der ersten Sekunde begreift es der Leutnant nicht. Dann reißt er sich die Uhr vom Arm, lächelt irre dabei, denkt, hofft: alles ist gut, der Mann will nur die Uhr, nicht das Leben. Hundert Uhren will ich ihm geben, ein Leben lang würde ich für Uhren arbeiten und sie ihm geben. Nur meine Mutter soll nicht weinen. Nur meine Schwestern sollen nicht allein sein.
Читать дальше