Zusammen mit diesen vielen fremden Menschen bestiegen wir das Flugzeug, in dem wir jetzt gerade sitzen und das uns nach Maroua bringen soll. So ganz wohl fühle ich mich in ihrer Gegenwart nicht. Sie sind so anders als wir. Und weil sie Französisch sprechen, kann ich sie auch nicht verstehen. Das macht mir ein bisschen Angst.
Plötzlich werde ich aus meinen Gedanken aufgeschreckt. Aus dem kleinen Lautsprecher über mir ertönt eine Durchsage. Wieder verstehe ich kein Wort. Doch kurz darauf kommt ein Afrikaner in blauer Uniform und kontrolliert mit strengem Blick, ob wir alle angeschnallt sind. Das heißt wohl, dass wir demnächst landen!
„Na, dann haben wir es ja bald geschafft“, seufzt Mama erleichtert.
Im selben Augenblick knufft Leonie mich in die Seite: „Da ist er!“, ruft sie aufgeregt. „Schau nur Ole, da ist der Flughafen!“
Tatsächlich! In weiter Entfernung kann ich die schmale Landebahn erkennen und dahinter ein kleines Gebäude mit einem Turm. „Wow! Wir sind da!“, juble ich. Allerdings wundere ich mich gleich darauf. Weit und breit um den Flughafen herum gibt es nur Gestrüpp und Sand. Müsste hier nicht Maroua sein? Nun ja, irgendwo wird sich die Stadt schon befinden. Das Flugzeug dreht eine große Schleife und setzt zur Landung an.
Ich bin so aufgeregt! Am liebsten würde ich aufspringen und meinen Rucksack aus dem Handgepäckfach holen. Aber das kleine Licht über meinem Sitz erinnert mich daran, dass ich angeschnallt bleiben muss. Mit einem Ruck setzen die Räder des Flugzeugs auf der Landebahn auf. Mein ganzer Körper kribbelt vor Spannung und in meinem Kopf wirbeln die Gedanken wild durcheinander. Unser Afrika-Urlaub beginnt! Ich kann es kaum noch erwarten, hier raus zu kommen.
Als das Flugzeug stillsteht, dürfen wir uns abschnallen. Ich versuche mich zu gedulden, bis alle Fluggäste ihre Sachen zusammengesucht haben und in Richtung Ausgang gehen. Sie scheinen es nicht sehr eilig zu haben. Stattdessen unterhalten sie sich lachend über die Sitze hinweg. Dabei blitzen ihre weißen Zähne und ihre dunklen Augen funkeln. Am liebsten würde ich mich an ihnen vorbeidrängeln. Aber mit meinem dicken Rucksack würde ich in dem engen Gang wohl kaum an ihnen vorbeikommen.
Als wir endlich die Tür erreichen, schlägt mir ein heißer Wind entgegen. Es fühlt sich an, als würde mir jemand mit einem Föhn trockene Luft ins Gesicht pusten. Ich muss die Augen zusammenkneifen, weil mich die Sonne blendet. Vorsichtig taste ich nach dem heißen Metallgeländer und steige die Treppe hinunter aufs Rollfeld. Puh, wie warm das hier ist!
Zusammen mit allen anderen Reisenden laufen wir in Richtung Flughafengebäude, um unser Gepäck in Empfang zu nehmen. Wir kommen in einen Wartesaal, in dem sich mit viel Gerumpel ein Gepäckband dreht. Mein Blick fällt wieder auf den dunklen Jungen im schwarzen Anzug. „Der muss ganz schön schwitzen!“, schießt es mir durch den Kopf.
Auf dem Gepäckband poltert es. Ein paar Kartons tauchen auf. „He, da kommt ja schon was!“, rufe ich.
Mama sucht mit den Augen das Band ab: „Hoffentlich ist alles heil angekommen!“
Nach und nach kommt unser Gepäck angefahren. Papa zieht die Koffer vom Band herunter und stapelt sie auf zwei Wagen. Mama ist sichtlich erleichtert, als sie sieht, dass nichts fehlt. „So, nun werden wir mal sehen, ob Thomas schon da ist, um uns abzuholen“, sagt Papa. Er lenkt einen der Wagen in Richtung Ausgang. Ich schiebe die zweite Karre hinter ihm her.
Kaum haben wir eine große Glastür passiert, hören wir eine bekannte Stimme: „Hallo Stefan, Hallo Susanne!“ Mama und Papa drehen sich um. Vor ihnen steht Thomas. Ich habe ihn zuerst gar nicht erkannt. Er trägt eine Hose und ein Oberteil aus buntem afrikanischem Stoff. Um den Kragen herum glänzt eine wunderschöne Stickerei. Er umarmt meine Eltern. Dann wendet er sich an Leonie und mich. „He ihr zwei! Ich freu mich, dass ihr da seid. Und Jakob und Ina erst. Sie fanden es ziemlich doof, dass sie nicht mit zum Flughafen durften. Leider mussten sie heute in der Schule noch eine Klassenarbeit schreiben.“
Auch ich bin ein bisschen enttäuscht. Ich hatte mich so auf Jakob gefreut. Aber Thomas meint, dass die beiden mittlerweile schon auf dem Heimweg seien. Bis wir nach Hause kämen, würden sie sicher schon ganz ungeduldig auf uns warten.
Ein Mann in einer grünen Weste hilft uns, die Gepäckwagen zum Auto zu schieben. Als wir auf den Parkplatz vor dem Flughafen kommen, macht mein Herz einen Sprung. Da steht ein richtiger Geländewagen! Mit so etwas wollte ich schon immer mal fahren! Thomas schließt die hinteren Türen auf und der Mann mit der grünen Weste verstaut unser ganzes Gepäck im Kofferraum. Thomas bedankt sich freundlich und bezahlt ihn für seine Arbeit. Dann ruft er: „Alles einsteigen, bitte!“
Mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht klettre ich auf die Rückbank. Der Wagen ist ganz schön hoch. Da muss man sich richtig anstrengen, um überhaupt reinzukommen. Stolz sitze ich auf meinem Platz und ziehe die Tür neben mir zu. Jetzt kann es losgehen!
Während sich die Erwachsenen über unsere weite Reise unterhalten, schauen Leonie und ich wie gebannt aus dem Fenster. Jetzt ist es noch viel interessanter als vom Flugzeug aus. Papa hat mir erklärt, dass in Nordkamerun schon seit drei Monaten Trockenzeit herrscht. Das heißt, dass es seit drei Monaten kein bisschen mehr geregnet hat und es noch sehr lange dauern wird, bevor der nächste Regen kommt. Tatsächlich wirkt alles sehr trocken, aber trotzdem ist die Landschaft unglaublich schön. Die Berge sehen aus, als hätte jemand einen riesigen Eimer mit Felsen ausgekippt. Manche liegen einzeln herum, andere wie Türme aufeinander. Als ich die knorrigen, blattlosen Bäume am Straßenrand sehe, überlege ich, was es wohl bedeutet, dass in den nächsten Monaten kein einziger Tropfen Regen fallen wird. Irgendwie kommt mir das genial vor. Man muss auf jeden Fall nie Angst haben, dass es einem die Grillparty oder die Fahrradtour verregnet. Aber macht man hier überhaupt Grillpartys? Radtouren offenbar schon eher. Unser Auto überholt immer wieder Männer und Frauen auf Fahrrädern. Allerdings habe ich nicht den Eindruck, dass sie zum Vergnügen unterwegs sind. Im Gegenteil, manche haben ganz viel Holz auf den Gepäckträger gebunden, andere sind mit großen Kanistern beladen oder haben noch einen Beifahrer auf dem Gepäckträger sitzen.
Da taucht neben uns ein Junge auf. Er fährt ein riesengroßes Fahrrad. Es ist so groß, dass er beim Treten noch nicht mal auf dem Sattel sitzen kann. Wo er damit wohl hin will?
Nach einer Weile kommen wir an ein paar Hütten vorbei. Sie sind viereckig. Ihre Dächer sind mit Gras gedeckt und die Wände scheinen aus Lehm zu sein. Immer stehen einige Hütten etwas näher zusammen und sind durch Lehmmauern miteinander verbunden. Hier sind auch ein paar Leute. Sie sitzen im Schatten auf bunten Matten vor den Häusern. Die Frauen haben Tücher ausgebreitet und in kleinen Stapeln liegen Obst und Gemüse darauf. Thomas erklärt uns, dass das Lebensmittel sind, die sie an Reisende verkaufen.
Und dann ist es endlich so weit: An einer Kreuzung fahren wir an einigen anderen Händlern vorbei, die Obst verkaufen, und schon sehen wir die ersten Häuser von Maroua. Es sind richtige einstöckige Häuser, mit Wellblechen gedeckt, keine Lehmhütten. Ich wundere mich, wie viele Leute hier unterwegs sind! Männer, Frauen und sehr viele Kinder. Manche von ihnen tragen Teller oder Schüsseln mit Sachen auf dem Kopf. Einige von ihnen sind sogar kleiner als ich und gehen ganz allein in diesem Getümmel von Motorrädern, Fahrrädern und Autos über die Straße. Vor uns fährt ein Motorrad mit einer großen Holzkiste auf dem Gepäckträger. Ich merke, wie Leonie neben mir erschaudert. In der Kiste liegt – ich traue meinen Augen kaum – ein geschlachtetes Tier!
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