Bis zum Ansatz des Stammes liess es sich wohl ohne Gefahr klettern. Nachher half der Stamm weiter. Wie es darüber hinaus weitergehen würde, war nicht ersichtlich. Die Fenster gehörten zu einem oberen Stockwerk. Man sah in der Mauer noch die Ansätze der Balkenlage. Auch schien etwas wie ein Kamin hinaufgeführt zu haben. Sonst wäre der Bauer wohl auch als Junge nicht hinaufgelangt. Damals war er’s. Also — warum nicht auch jetzt?
Es ist ja zuweilen so, dass der Mensch sich selber etwas beweisen möchte, was ihm niemand bestreitet, wenn er’s nicht selber tut. Der Bauer spuckte in die Hände und fing an zu Klettern.
Es war ihm dabei zu Mut, als warne ihn etwas. Aber das war wohl nichts als eine kleine Angst, und die war ja gerade das, was er sich nicht zugestehen wollte.
Bis zum Ebereschenbäumchen ging’s gut und auch noch höher, so weit das Stämmchen Stütze und Halt bot. Die Zweige kamen dafür nicht in Betracht. Der Bauer Wezrumba war ein schwerer Mann, und ein solcher kann sich nicht auf dünne Zweige setzen wie ein Vogel. Das Ebereschenbäumchen konnte ihm nicht weiter helfen. Er musste es, wollte er höher hinauf, loslassen. Und hier nun trat für den Kletternden der Augenblick des Zagens ein. Jeder, der sich auf ein gewagtes Unternehmen eingelassen hat, kennt diesen Augenblick. In der Schlacht kennt ihn der Feldherr so gut wie der einfache Soldat. Es kennt ihn der Bergsteiger. Es kennt ihn sogar auch der Denker, dieser müssige Mensch, der sich auf den Weg eines gewagten Gedankens begeben hat. Es kennt ihn der Künstler bei seinem Werk.
Der Augenblick des Zagens rät zur Umkehr. Der Mensch verwünscht sein Vorhaben. — Welcher Teufel hat mich geplagt?“ — denkt der Mensch. Und: „Kann ich überhaupt noch zurück?“
Aber das ist gerade der Punkt, an welchem sich die Geister scheiden. Der eine kehrt um, wenn er’s noch kann. Der andere sagt sich: „Vorwärts!“ Es ist ein herrliches Wort. Es gibt nur wenige so gute.
„Vorwärts!“ sagte sich der Bauer. Er liess die als Halt schon zu dünne Spitze des Bäumchens los, und wirklich ging es noch ein Stück weiter in die Höhe, nur dass dabei mit jedem klammernden Griff der Hände, mit jedem tastenden Suchen der Füsse an Vorsprung und Loch der Mauer die Höhe nach unten hin zunahm.
Aber dann war es doch aus. Die Hände fanden keinen Griff, die Füsse keinen Halt mehr. Wär’s eine Treppe gewesen, so hätten bis zur unteren Kante des Fensters nur noch wenige Stufen gefehlt.
Ein vernünftiger Mensch sieht eine Unmöglichkeit ein. — „Ich hätte es doch nicht ohne die lange Leiter versuchen sollen“, sagte sich der Bauer. —
Ehe er an Umkehr dachte, nahm er seinen erhöhten Standpunkt wahr, um sich den Riss bis oben genauer anzusehen. Seine Vermutung bestätigte sich: Der Riss setzte sich über dem Fenster fort. Die Spitze des Bogens klaffte ein wenig. Die betenden Hände hatten sich aus der Berührung der Fingerspitzen gelöst. Auch erschienen sie gegeneinander verschoben, und zwar so, dass der Bauer daraus mit freudigem Schreck die Gewissheit gewann: Die Wand fällt nach aussen!
Also konnte er auch befriedigt umkehren. Aber das war ja nun nicht so ganz einfach. Abwärts ist es ja oft schwerer als aufwärts. Die Füsse sehen nicht, wohin sie treten. Aufwärts haben die Augen für die Füsse gedacht, abwärts sollen die Füsse selber klug sein. Der Bauer schaute unter sich. Es kam ihm vor, als sei die Mauer, während er an ihr klebte, gewachsen. Das Gefühl des Schwindels kannte er nicht. Sein Kopf blieb Klar, sein Blick sicher. Er redete sich selber Mut zu. „Falle ich“, sagte er sich, „so braucht es auch nicht gleich das Genick und das Leben zu kosten. Vielleicht breche ich ein Bein. Dann mag nachher die Frau sagen, es sei ein Glück, dass ich nicht beide Beine gebrochen habe. Vielleicht aber breche ich mir gar nichts. Wenn ich nur schon bis zum Ebereschenbäumchen gelangt wäre! Es würde mir auch abwärts gute Dienste leisten.“
An der Stelle unter ihm lagen die Steine, wie auch sonst rundherum, nicht nackt zutage. Sie waren mit Gras und Moos überdeckt. Dennoch musste es hart sein, auf sie hinabzustürzen. Der Schatten der Ruine breitete sich über den Platz. Wezrumba selber befand sich im Schatten. Vorsichtig liess er sich weiter hinab.
Glitt ihm die Hand ab oder der Fuss? Sass ein Stein, auf den er trat, locker? Hilflos griffen die Hände ins Leere. Die eine bekam etwas zu fassen. Es trug ihn nicht, aber es gab seinem Fall eine andere Richtung.
Ansis, der eben den Braunen, mit dem er geackert hatte, abschirrte, hörte einen Schrei, der von der anderen Seite des Flusses zu kommen schien. Da sich aber dort trotz genauen Hinsehens nichts bemerken liess, daraus sich die Herkunft des Schreies hätte erklären lassen, nahm Ansis ruhig dem Braunen das Kopfgeschirr ab, legte ihm den Zaum an und führte ihn in den Stall. Aber der Schrei wollte ihm nicht aus dem Sinn. Der Vater war drüben mit dem Boot. Ansis ging noch einmal zurück zum Fluss. Nichts zeigte sich.
In dem Augenblick, als Wezrumba den Halt verlor, sah er unter sich etwas vorüberhuschen. Es war wie ein Schatten. Aber da lag ja schon der Schatten der Ruine. Wie kann denn ein Schatten in den anderen fallen? Es hatte aber, wenn er es sich nachher vorstellte, genau so ausgesehen wie der Schatten eines Reiters im Sprung: Der Reiter nahm mit seinem Pferde ein Hindernis. Der Schatten davon war unter dem Abstürzenden vorübergehuscht, genau im Augenblick des Sturzes. — War dieser Schatten nicht grau gewesen?
Das Ebereschenbäumchen, als hätte es dem Stürzenden noch schnell einen Zweig hingereicht, sich daran zu klammern, hatte, biegsam die Richtung des Falles zur Seite ablenkend, den Bauern, wenn auch nicht eben sanft, so doch mit Schonung mitten in einen Strauch hinein abgesetzt. Es selber hing danach schräg herab.
Nachdem der Bauer zunächst einmal festgestellt hatte, dass er am Leben und bei Besinnung sei, richtete er sich in eine sitzende Stellung auf und befühlte seine Glieder. Stirn und Hände bluteten. Aber das kam wohl nur von den Sträuchern, durch deren dichtes Gezweig er durchgestürzt war. Gebrochen hatte er nichts.
,,Augenblendwerk!“ murmelte er. „Was man im Schreck nicht alles zu sehen glaubt! Wo sollte denn der Schatten eines Reiters hergekommen sein? Mein eigner Schatten ist es gewesen, den ich gesehen habe. Wie das bei dem Stande der Sonne möglich war, begreife ich nicht.“ — Er betrachtete seine blutenden Hände. — „Die Katze hat mich gekratzt“, dachte er. „Habe ich nicht im Fallen auch noch die Katze der Grossmutter gesehen?“ — Und so hinterher erst wurde er sich auch dessen bewusst, dass er im Sturz einen Schrei ausgestossen hatte. Es war ihm aber, als habe ein anderer für ihn geschrien. Er stand auf, überzeugte sich noch einmal davon, dass alle Glieder heil waren, und stieg langsam den Pfad abwärts zum Fluss.
Ehe er sich ins Boot begab, suchte er sich unter den Steinen, die am Ufer lagen, einen recht grossen, schweren aus. Den nahm er mit. Und während er sich mit dem Ruder vom Lande abstiess, dachte er noch: „Was man im Schreck nicht alles sieht!“ Aber den Stein mitzunehmen, wenn’s auch nur einer war, machte ihm Freude. Er lachte den Stein an und begann zu rudern.
„Es war mein eigener Schatten, nichts weiter“, sagte er sich noch einmal.
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.