Wenn sie in der Akademie zeichnete, hatte sie immer Mühe, die Figur richtig auf dem Papier anzubringen. Das heißt, anbringen konnte sie sie schon, aber in der Regel wurde sie sinnlos klein und verschoben, ein in der unteren Ecke mit schwarzen, kaum sichtbaren Bleistiftstrichen gezeichneter Zwerg, so, als habe sie Angst vor der Mitte, wo ja die Kraft von einem Stück weißen Zeichenpapier auch am stärksten verdichtet ist. Sie lachte selbst, wenn sie das Ergebnis sah, doch obgleich sie beharrlich versuchte, gelang es ihr fast nie, diese Neigung zu überwinden. Beatrice hatte eine Stoffpuppe, die sie Friedrich nannte. Sie hatte die Puppe seit ihrer Kindheit und hatte sich nicht bequemen können, sich von ihr zu trennen. Ganz im Gegenteil, sie folgte ihr auf ihren Reisen überallhin, aber dafür sprach sie von ihr in nachsichtigem und scherzhaftem Ton. Der böse Friedrich, wie sie ihn aus irgendeinem Grund ab und zu nannte, hatte seinen Platz auf ihrem Kopfkissen, und sie verriet mir, daß sie immer lange Gespräche mit ihm führte, bevor sie einschlafe.
Beispielsweise hatte sie Friedrich alles über unser Verhältnis anvertraut, und Friedrich war es auch, der sie tröstete, wenn wir uns einmal gezankt hatten. Ich war verblüfft, als ich Friedrich zum erstenmal sah. Er erwies sich nämlich als ein alter Mann mit langen, schlottrigen Armen und Beinen, und obwohl ich ja gewußt hatte – denn Beatrice hatte es mir erzählt –, daß es sich um eine Stoffpuppe handelte, überraschte es mich, daß dieser Friedrich der Tröster und Vertraute ihres Herzens, ein verblichener, fleckiger und aus den Nähten platzender Fetisch aus Wolle und alten Lappen war.
Der heftige Einbruch des Liebesaktes in das Bewußtsein eines Körpers, den Beatrice zum erstenmal erlebt hatte, hatte ihre Hormonproduktion so richtig in Gang gebracht. Ich hatte plötzlich Angst, sie zu verlieren. Es war, als stünde sie allem und allen offen. Zu meinem großen Entsetzen entdeckte ich, daß ich mir überhaupt nicht vorstellen konnte, ohne sie zu sein. Ich versuchte, einen kühlen Kopf zu behalten. Ich sagte mir, daß ich ja genau wüßte, daß früher oder später die Stunde der Trennung schlagen würde – was augenblicklich dazu führte, daß mein Bewußtsein sich total verdunkelte. Deshalb begriff ich, daß die Katastrophe unumgänglich war. Ich sprach mit Beatrice darüber: Sie klammerte sich an meinen Hals und sagte, daß sie mich nie, nie verlassen würde, aber das waren nur Worte. Sie glaubte zwar selbst daran, während sie sie aussprach, aber ich kannte ihr Herz.
Nun verriet sie mir auch, daß sich ihr Verhältnis zu Friedrich geändert habe. Eines Abends, als sie zu Bett gegangen war, hatte er nämlich darum gebeten, zwischen ihren Brüsten liegen zu dürfen. Anfangs fand sie das eine wunderliche Idee, aber er hatte sie immer weitergequält, und schließlich hatte sie nachgegeben. Da sie ganz still lag, hatte es sie nicht gestört, daß er dort lag, sie fand es im Gegenteil ganz angenehm, und obgleich er augenscheinlich der Ansicht war, daß ihm dies das Recht zu einer gewissen Narrenfreiheit gebe, konnte sie sich über seine unschuldigen Einfälle nur amüsieren. Was mich betrifft, so konnte ich dieses Amüsement nicht teilen. Ich mußte immer daran denken, daß Friedrich aussah wie einer von diesen alten Greisen in einer schwedischen Häuslerhütte, in etwas verschlissenen und zerfransten Sachen und mit Tabaksabber im Bart. Ich tat, als sei nichts, aber es mag schon sein, daß Beatrice bereits zu dem Zeitpunkt ahnte, was in mir vorging. Jedenfalls konnte ich in der folgenden Zeit nicht umhin, über Friedrich nachzudenken, vor allen Dingen am Abend, wenn ich mich schlafen gelegt hatte. Während ich mich zuvor mit friedvollem Gemüt hingelegt hatte – das heißt: relativ, denn wenn zwei Menschen voneinander besessen sind, so, wie das mit mir und Beatrice der Fall war, dann kann keiner von ihnen jemals wirklich Frieden in seinem Gemüt haben –, so lag ich nun da und drehte und wendete mich und konnte die verdammte Stoffpuppe nicht aus dem Kopf kriegen. In der darauffolgenden Zeit sagte Beatrice jedoch nichts von Friedrich, schließlich, als ich es nicht länger aushalten konnte, fragte ich sie eines Tages leichthin – so leichthin ich nun einmal konnte – und mit einem munteren Tonfall, wie es denn ihrem Bettkameraden gehe? Wiegst du ihn noch immer zwischen deinen Brüsten in den Schlaf? Beatrice sagte nein und sah ziemlich gekränkt aus, doch ihrem verletzten Ausdruck konnte ich entnehmen, daß die Frage mit dieser Antwort noch nicht erschöpft war. Nach einigem Schweigen begann ich sie also auszufragen, und obgleich sie anfangs ziemlich mürrisch war und nicht mit der Sprache heraus wollte, so gelang es mir allmählich doch, sie so zu locken, daß sich ihre Zunge löste. Ihr habt wohl süße Geheimnisse, du und dein Friedrich, sagte ich lächelnd, während ich ihr Haar liebkoste, und ihr Blick verschleierte sich ganz, sie lächelte, als sei sie von den süßesten Gedanken erfüllt. Es zeigte sich denn auch, daß Friedrich, statt zwischen ihren Brüsten zu ruhen, nun seinen Platz zwischen ihren Beinen gefunden hatte, wo es ihm offensichtlich so gut ging, daß er sich nichts Besseres wünschen konnte, wo er dafür aber auch jeden Abend angebracht zu werden verlangte.
Ach, meine arme Phantasie, die nicht umhinkonnte, sich in die erotische Perversion, deren Zeuge ich hier war, zu vertiefen! Meine süße, unschuldige Beatrice war bei weitem nicht so unschuldig, wie ich die ganze Zeit über angenommen hatte: Selbst in ihrer Entdekkung der Liebe war sie voller Unschuld gewesen. Nun mußte ich meine Auffassung revidieren. Es ging mir nämlich auf, daß sich das liebe Kind dieser Puppe nicht nur in einem zärtlichen und intimen Liebesverhältnis hingab, sondern daß es ihr einen ausgesuchten Genuß bereitete, mich zu ihrem Mitwisser zu machen. Ihr Verlobter, dessen Ankunft sich nun hastig näherte, war für mich zu einer unbedeutenden und ungefährlichen Figur zusammengeschrumpft. Ich erblickte eher einen Bundesgenossen in ihm. Das Seltsamste war, daß ich meinen besten Bundesgenossen in Beatrice selbst hatte.
Beatrices unkomplizierte Jungmädchenseele war eine Wildnis voller widerstreitender Eingebungen, und der Teil von ihr, der danach verlangte, in der Liebeserfüllung, die wir zusammen erlebt hatten, Frieden zu finden, betrachtete verzweifelt und offensichtlich, ohne etwas dagegen tun zu können, die schleichenden und sie überrumpelnden Neigungen, denen sich ihr anderer Teil mit so großem Genuß hingab. Innerhalb ein und derselben Stunde konnte sie mit hintergründiger Boshaftigkeit einige Bemerkungen über die neueste Entwicklung in ihrem Verhältnis zu Friedrich fallenlassen und mir gleichzeitig weinend anvertrauen, daß diese manifestierte Bosheit ihr selbst die größten Leiden bereite. Sie dachte jedoch nicht im Traum daran, sich von Friedrich zu trennen, was das einfachste und effektivste gewesen wäre, und als ich es ihr einmal geradeheraus vorschlug, da weigerte sie sich zu glauben, daß dies kein Spaß gewesen sei. Dann sagte sie zu mir, ihr größter Kummer sei, daß wir kein Kind bekommen könnten. Diesen mir recht abstoßend vorkommenden Gedanken fand sie so bezaubernd, daß sie sich den weitschweifigsten Phantasien über dieses unmögliche und hypothetische Kind hingeben konnte; über dessen Geschlecht war sie sich jedoch nicht ganz sicher, weshalb sie sich auch nicht entscheiden konnte.
Das natürlichste wäre selbstverständlich ein Mädchen, sagte sie gedankenverloren, stell dir vor: ein Mädchen, das erst ein niedliches kleines Wesen ist, das wir mit den hübschesten Kleidern schmükken können und das zu unserem Kameraden heranwächst. Sie soll viel von dir haben, denn du bist so klug und stark – aber auch etwas von mir, nicht war? – auch ein klein bißchen von mir! Und wenn es eine Junge würde – denn das ist doch gut denkbar, nicht wahr? Das ist nicht ganz unmöglich, nicht wahr? –, dann könnten wir ihm ganz heimlich Mädchensachen anziehen, wenn wir mit ihm spielen. Es gibt nichts Niedlicheres als kleine Jungen in Mädchenkleidung, nicht wahr? Aber natürlich sollte er zu einem feschen Kerl heranwachsen wie mein ... Ich meine nur: falls es ein Junge werden sollte. Denn das ist doch trotz allem nicht ganz undenkbar, oder?
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