Wir suchen immer noch.
Unsere Kultur ist mühsam aus den kleinen Neuanfängen herausgearbeitet worden. Aber wenn wir erst Männer von irdischen Universitäten haben, dann können wir beruhigt sein. Die Erde ist unser großes Vorbild. Sie wird uns helfen, wo sie kann.
Mein Haus ist klein und besteht aus einem einzigen Raum. Es liegt größtenteils unter der Erde, und nur die Terrasse und die Treppe, die zum Bach hinunterführt, zeigen, dass hier jemand wohnt. Diese Abgeschlossenheit ist eines unserer typischen Merkmale, aber mir verhalf sie zu einem ruhigen und konzentrierten Studium.
Die Innenausstattung ist einfach, aber zweckmäßig und entbehrt nicht einer gewissen Gemütlichkeit. Ein kleines Heizgerät für die kalte Jahreszeit, eine Liege, auf der etwaige Besucher Platz finden und auf der ich schlafe, ein Nachrichtengerät und ein offener Herd. Auf dem Boden liegen aneinandergenäht die Felle meiner Jagdtiere, die ich in den letzten Jahren geschossen habe, und einige eingebaute Schränke nehmen die Vorräte auf. Der Schreibtisch ist eine große Platte auf Holzfüßen, und in einem Regal liegen die unzähligen Rollen meiner Aufzeichnungen und stehen einige Bücher, die ich auf einem terranischen Handelsschiff eingetauscht habe und die mir ermöglichten, Sprache und Schrift der Erde zu lernen und viele der dort herrschenden Lebensgewohnheiten kennenzulernen. »Es wird Zeit, wieder mit der Arbeit anzufangen!«, sagte ich laut.
Die Nacht kam, und sie fiel mit dem lautlosen und blitzschnellen Übergang, der in der Tropenzone charakteristisch ist. In Sarkai flammten die Lichter auf. Eine Viertelmillion Carnoks lebten verstreut in diesem Tal. Nur wenn die große Sirene heulte, dann versammelten sie sich auf dem großen Platz vor dem Tempel. Der Wasserfall wurde von einer Reihe Scheinwerfer angestrahlt, und die ewige Wolke aus Wasserdampf leuchtete in kristallischem Weiß. Irgendwo raste ein schwerer Erztransporter über die Leitschienen der Hochstraße. Seine Lichter wurden von der Nacht verschluckt.
Ich trat ins Haus zurück und schloss die runde Tür zwischen der nächtlichen Kühle und mir. Das Nachrichtengerät wurde eingeschaltet, und das Gesicht der Sprecherin verdichtete sich auf dem Schirm. Auch das Fernsehen hatten wir von der Erde eingehandelt.
Ich betrachtete das Gesicht des Mädchens. Als Antlitz eines Menschen wäre es ungeheuer missgestaltet gewesen, denn es hatte ein spitzes Kinn und einen winzigen Mund. Die weit auseinanderstehenden Augen mit den waagerechten Schlitzpupillen und die kleine Nase waren nicht menschlich, ebenso die Kappe langen Haares, das die Löcher der Gehöröffnungen verdeckte und am Hals in ein seidenweiches Fell überging, das den gesamten Körper bedeckte. Die Arme verfügten über drei Gelenke und sieben Finger auf einer Hand, die mit langen, scharfen Krallen aus stahlhartem Horn versehen waren.
Das Mädchen trug die leichte Lederkleidung, die hier überall anzutreffen ist. Es war so angenehm anzusehen, wie nur eine Angehörige unserer Rasse. Der aufrechte Gang, der Besitz eines ähnlichen Hirns und der Stoffwechsel sind die einzigen Ähnlichkeiten, die uns mit Terra und ihren Kolonialplaneten verbinden.
Ich schaltete den Sender aus und nahm eine der vielen Rollen aus einem Fach. Ich wiederholte zum hundertsten Male ein besonders schwieriges Stück der terranischen Grammatik. Langsam rutschte das Pergament unter der Lupe vorwärts. Draußen bewegte der Wind die Blätter der Kugelbäume und ließ Schleier von wogendem Gras entstehen. Er kräuselte die Oberfläche des Sees, der sich unterhalb meiner Terrasse im Bach aufgestaut hatte. Ich lernte lange, und als ich müde zu werden begann, nahm ich mein Essen ein.
Es bestand aus dem letzten Stück des kalten Bratens und Brot. Der Braten war das Ergebnis meiner Jagd vor einer Woche. Wir mussten unser Essen teilweise selbst herstellen oder erjagen, denn noch hatten wir keine entsprechende maschinelle Möglichkeit, die dazu gereicht hätte, die Viertelmillion zu versorgen. Alles war noch locker und unzusammenhängend ‒ wir waren jung.
Was sind zwei Jahrtausende?
Aber es war viel geschehen in diesen Jahren. Meine Rollen, die jeden Abschnitt der Geschichte intensiv behandelten, zeigten viele Einzelschicksale, die für das Wachsen der Carnoks entscheidend gewesen waren; es gab wenig planetare Geschichte ‒ keine Zusammenhänge großen Formats.
»Eines Tages werde ich das Buch meines Volkes schreiben, und es wird sehr umfangreich werden«, sagte ich zu mir.
Morgen musste ich versuchen, ein Stück Wild zu erlegen, musste ich früh aufstehen und hinaus vor die Grenzen der Stadt reiten. Das Wild zog sich vor dem Arbeitslärm und den vielen fremden Wesen immer weiter zurück. Die Jagdgründe waren jetzt schon mindestens zwanzig Tregs entfernt. Ich löschte das Licht und legte mich hin. Bald schlief ich ein.
Die ersten Strahlen der Sonne ‒ silberne Dolche, die hinter der Stadt hervorschossen aus dem Dunst der Nacht ‒ weckten mich.
Ich lief die Stufen zum Wasser hinunter und sprang hinein. Sekunden später schwamm ich in langen Stößen und erfrischte mich. Der letzte Rest Müdigkeit wurde aus meinem Körper getrieben. Nach dem kurzen Frühstück schlüpfte ich in das leichte Gewand der Jäger. Feine Stiefel mit Fellfutter, dünnes Wildleder mit langen Fransen und die Jacke mit den Taschen für Munition, Schlingen und Messer. Ich nahm die einzige Waffe des Hauses ‒ ein langläufiges Elektronengewehr irdischen Fabrikats, das mein Vater gegen ein kleines Vermögen an Pelzen eingetauscht hatte ‒ aus dem Schrank und sah sie flüchtig durch. Die Waffe war in Ordnung; ich konnte aufbrechen. Meine Nerven spannten sich. Ich freute mich auf die Schnelligkeit der Jagd, die meine ganze Fähigkeit erforderte.
Ich ließ die Tür offen ‒ eine geschlossene Tür während einer kurzen Abwesenheit stellte in Sarkai eine Beleidigung dar, die nur der Tod löschen konnte. Ich ging um den Winkel des Hauses herum und betrat den Stall, in dem mein Loper stand. Er war ein Männchen und wild. Seine Gerissenheit und Tücke überstieg die normalen Merkmale seiner Artgenossen um ein Vielfaches. Nur einen Herren erkannte er an, und das war ich. Nur musste man ihm von Zeit zu Zeit beweisen, wer hier die Zügel führte. Er hatte die Vorteile und die Nachteile eines Rassetieres ‒ Höchstleistungen und Launen.
Ich hatte ihn auf einer Versteigerung für wenige Kredite erstanden, weil sich keiner meiner Freunde an ihn herantraute. Aber als Sohn eines Jägers wusste ich, was diese Tiere brauchten. Sie gehorchten nur dann, wenn man sie restlos unter Kontrolle hatte.
Sein Anblick konnte zunächst erschrecken. Aber die Muskelstränge, die unter der glatten Haut der vier schlanken Beine arbeiteten, konnten dem Loper eine beachtliche Geschwindigkeit verleihen. Die blitzenden Fangzähne des lang gestreckten Kopfes waren gefährlich scharf. Ich war lange nicht mehr geritten, und der Loper war ausgeruht und voller Unruhe. Er würde, sobald ich eine Sekunde lang unaufmerksam war und ihm Gelegenheit dazu gab, sogar seinen eigenen Herrn anfallen. Ich zog an dem Lederriemen, der seinen Kopf mit einem Balken verband, und presste seinen Unterkiefer flach auf das Holz. Beißen konnte Grinn ‒ so hatte ich ihn genannt ‒ nicht mehr. Dann schob ich die Eisenstangen zwischen dem Gitter des Vorschlages durch und brachte die Füße in eine Lage, in der er sie nicht mehr bewegen konnte, schnallte in aller Ruhe den hochgestützten Sattel um, befestigte die Steigbügel und schraubte die Sporen in meine Stiefel. Das Schwierige war, ihm die Zügel anzulegen. Ich musste heute den Doppelzügel gebrauchen, denn sonst biss er auf die Trense und ging durch. Mit der scharfen Kandare konnte ich ihn im Zaume halten. Endlich konnte ich das Gewehr in die Lederhülle stecken und das Lederband lösen. Die vordere Tür klappte herunter, und ich schwang mich in den Sattel. Mit einem Riesensatz stürmte Grinn ins Freie und preschte durch die Büsche. Das war jedes Mal sein erster Trick, um mich loszuwerden.
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