»Aha. Und wer sind Sie?«
»Ein Brite.«
»Das erkennt man. Tourist?«
»Ich wohne von Zeit zu Zeit hier.«
»Wo denn?«
»Ich habe ein kleines Haus. Oben auf dem Hügel an der Hungry Bay.«
»Tatsächlich? Hätte nicht gedacht, dass dort außer diesen fiesen Klammeraffen, die ständig in den wild wachsenden Bananenpalmen schnattern, noch jemand lebt.«
»Das Haus ist sehr klein und steht am höchsten Punkt – Teakettle Cottage. Kennen Sie es?«
»Die alte Zuckerfabrik, ja. Ich dachte, einer der letzten Wirbelstürme hätte die Bude weggeweht.«
»Nein, nein. Sie hat's überstanden«, entgegnete Hawke. Er konnte sich nicht erklären, weshalb er seine bescheidene Bleibe in Schutz nahm.
»Dann sind Sie berechtigt, sie zu besetzen, schätze ich. Sie dürfen von Glück reden, wenn die Polizei Sie nicht rauswirft. Obdachlose und Landstreicher schaden dem Image des Fremdenverkehrs von Bermuda.«
Hawke ließ ihr diese beleidigende Spitze durchgehen. Sie starrte ihn abermals dreist an, ihre Augen leuchteten beinahe begierig. Er konnte diesen neugierigen Smaragden nur ausweichen, indem über den Ozean schaute – am Horizont entlang – und so tat, als suche er weiß Gott was.
»Für einen Obdachlosen am Strand haben Sie eine ziemliche Menge Narben. Was machen Sie beruflich?«
»Schaukämpfe mit Alligatoren? Raubkatzen?«
Das Mädchen verzog keine Miene, sondern sagte nur: »Wenn es Ihnen so schrecklich unangenehm ist, gehen Sie Ihre Badehose holen. Ich verspreche, Ihnen nichts abzuschauen.«
»Sehr nett, danke.« Er blieb liegen.
»Wie heißen Sie?«, wollte sie wissen.
»Hawke.
»Hawke. Der Name gefällt mir. Kurz und prägnant.«
»Wie lautet Ihrer?«
»Korsakowa.«
»Wie Russlands berühmter Komponist Rimski-Korsakow.«
»Wir rühmen uns lieber damit, Sibirien erobert zu haben.«
»Ihr Vorname lautet?«
»Anstasia, aber nennen Sie mich Asia.«
»Klingt sehr kontinental.«
»Ich bin mir sicher, dass man das in Ihren Kreisen witzig findet, Mr. Hawke.«
»Wir versuchen, humorvoll zu sein.«
»So, so. Oh, das ist Hoodoo, mein Fahrer. Genau pünktlich.«
Sie zauberte ein weißes Nichts von Bikini aus ihrer Tasche und streifte diesen erst über eine bebende Brust, dann über die andere. Hawke, der es nicht fertigbrachte, nur eine Sekunde dieses bewunderungswürdigen Schauspiels zu verpassen, bemerkte seinen trockenen Mund und dass er flach hechelnd Luft schnappte. Ihre Brustwarzen wurden unter dem dünnen Stoff hart, was sie noch erotischer anmuten ließ, obwohl sie nun bedeckt waren.
Als er erneut spürte, wie sich sein bestes Stück aufrichtete, sorgte er sich mit einem Mal umso mehr darum, seine Badehose nicht zu tragen. Schnell lenkte er seine Gedanken auf eine schmähliche Partie Kricket vor langer Zeit, die Mannschaften der Colleges Eton und Malvern im Londoner Stadion Lord's, als er zwölf gewesen und nach einer spektakulären Niederlage vom Platz gegangen war. Jene schmerzhafte Erinnerung hatte unpassende Begierden bisher souverän abgetötet und ließ ihn hoffentlich auch jetzt nicht im Stich.
Asia schien nicht zur Kenntnis zu nehmen, dass er arge Nöte ausstand. Als ein kleines Zodiac-Boot mit mittiger Steuerkonsole in die Bucht brauste, raffte sie schnell ihre Sachen zusammen und sprang auf. Der Fahrer war ein eleganter Schwarzer, schlank und sportlich mit schneeweißen Haaren. Hoodoo trug blütenweiße Kleider, ein kurzärmeliges Hemd und traditionelle Kniestrümpfe unter Bermudashorts. Er lächelte und winkte der hübschen Blonden, während er mit dem Bug an den Strand glitt. Am Heck hingen zwei wuchtige Außenborder. Hawke ging davon aus, dass es Viertakter waren. Sie liefen so leise, dass er nicht gehört hatte, wie das Zodiac nähergekommen war.
Hoodoo sprang aus dem Schlauchboot und blieb auf seinen Fahrgast wartend mit der Fangleine stehen. Hawke fiel auf, dass er aussah wie ein junger Harry Belafonte mit vorzeitig ergrautem Schopf.
Asia Korsakowa hielt inne, schaute noch einmal auf Hawke hinab und sagte: »Schöne Augen. Betörend, dieses Blau, wie überfrierender Regen am Polarkreis.«
Als er keine Antwort gab, fügte sie lächelnd hinzu: »Sehr erfreut, Sie kennengelernt zu haben, Mr. Hawke. Entschuldigung wegen der Störung.«
»Ja, es war auch mir ein Vergnügen, Miss Asia.« Mehr brachte er nicht heraus, nachdem er sich umgedreht hatte und nun erheben wollte, um Abschied zu nehmen.
»Nein, nein, Sie brauchen nicht aufzustehen, tun Sie das bloß nicht!«, bat sie lachend mit Blick über ihre Schulter.
Hawke strahlte, während er dabei zuschaute, wie sie Hoodoos Hand nahm, anmutig in das schwankende Boot stieg und sich auf eine hölzerne Ruderbank am Heck setzte. Als er den Namen TSAR am Bug erblickte, nahm Hawke an, dass dies das Beiboot einer großen Jacht war.
»Machen Sie's gut«, rief er, als das kleine Zodiac zum offenen Meer hin wendete, beschleunigte und die Bucht hinter sich ließ.
Er wusste nicht, ob sie ihn gehört hatte. Jedenfalls drehte sich Anastasia Korsakowa weder zu ihm um, noch wurde irgendwie deutlich, dass sie sein Lebewohl aufgeschnappt hatte. Bedauerte er nun, sie ziehen lassen zu müssen, wo ihm ihre Störung doch so zuwider gewesen war? Wie schnell ein Mann das Gesicht einer hübschen Frau verinnerlichte, sodass es sich in seinen Verstand einbrannte.
Er schaute hinter dem kleinen Boot her, bis auch seine Heckwelle hinter den Felsen verschwunden war.
Dann stand er auf, klopfte sich den Sand von der nackten Haut und nahm seinen ausgebleichten Schwimmanzug. Nachdem er hineingeschlüpft war, ging er zügig in das klare, blaue Wasser. Mit kraftvollem Armschlag schwamm er auf die erste Linie aus Korallenriffs zu, wo hinter dem Hügel über dem Meeresspiegel sein kleines Haus stand.
Unterwegs dachte er daran, dass Mark Twain das Wesen von Bermuda wohl am besten auf den Punkt gebracht hatte. Gegen Ende seines Lebens hatte der Autor einem Freund, der auch nicht mehr der Jüngste gewesen war, von der Inselgruppe geschrieben: »Fahr ruhig in den Himmel, wenn du willst, aber ich bleibe lieber hier.«
Es mochte nicht unbedingt der Himmel sein, kam Hawkes Vorstellung davon aber verteufelt nahe.
Moskau
Der Hubschrauber des russischen Präsidenten setzte zur Landung auf dem Dach des brandneuen GRU-Komplexes an. ›Glawnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije‹ oder ›Hauptverwaltung für Aufklärung‹ erheiterte Präsident Wladimir Rostow wiederholt, und nicht in geringem Maße. Dass jede Regierung die Namen und Kürzel diverser Institutionen mit schöner Regelmäßigkeit änderte, war ein Überbleibsel aus der Ära der Tschekisten: Geheimniskrämerei bis zum Gehtnichtmehr.
Jeder in Moskau mit zwei Augen im Kopf wusste genau, was es mit diesem Gebäude auf sich hatte. Es war das Hauptquartier des KGB.
Wladimir Wladimirowitsch Rostow, ein schlanker und unprätentiöser Mann, der einen Kopf größer war als der durchschnittliche Russe, wirkte oft verdrießlich und hatte eine lange, spitze Nase, die auch gut zu einem Narren bei Shakespeare gepasst hätte. Er hielt sich eigenartig gebeugt, als heuchle er Demut, und wurde auf den Fluren des Kremls häufig wegen dieser Gangart parodiert, sobald er jemandem den Rücken zukehrte.
Sein Spitzname ›Graue Eminenz‹ sagte alles.
In diesem Moment nun, da er versonnen durch ein von Graupeln schraffiertes Fenster des Helikopters auf die Straßen Moskaus schaute, die in der feuchtkalten Luft matt glänzten, wirkte er welk und müde. Nicht mehr lange und er beging seine achte Dekade auf Erden. Jedes Jahr spürte er in seinen Knochen, wenngleich es politischem Selbstmord gleichkäme, dies zuzugeben. Er kehrte gerade von der Barentssee zurück, wo er Marineeinheiten bei Manövern zugesehen hatte.
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