So setzten sie sich beide nieder und stießen mit den Gläsern an, während der Mörder, der bisher wimmernd auf seinem Lager gelegen hatte, sich, auf den Ellbogen gestützt, ein wenig erhob und mich und die beiden anstarrte.
Dies war die erste Nacht meiner neuen Beschäftigung und im Laufe des nächsten Tages lernte ich auch das übrige ganz gut kennen. Ich mußte bei den Mahlzeiten bedienen, die der Kapitän zu regelmäßigen Stunden zusammen mit dem jeweils diensthabenden Steuermann einnahm. Den ganzen Tag über lief ich mit einem Schluck Schnaps von einem zum anderen und nachts schlief ich auf einer Bank, über die ein altes Segel geworfen wurde, im hintersten Winkel der Kajüte. Es war ein hartes, kaltes Lager, auch konnte ich nie ohne Unterbrechung schlafen. Denn irgend jemand kam immer herein vom Deck, um einen »Schluck« zu machen, und wenn die Wache gewechselt wurde, setzten sich die beiden oder oft alle drei hin, um zusammen ein Gläschen zu leeren. Wie sie dabei gesund bleiben konnten oder wie ich es konnte, verstehe ich bis heute nicht.
Anderseits war es ein leichter Dienst. Es mußte kein Tischtuch aufgebreitet werden, die Mahlzeiten bestanden entweder aus Haferbrei oder eingesalzenem Pökelfleisch, nur zweimal wöchentlich gab es Pudding. Und obwohl ich nicht allzu behende war (auch nicht allzu fest auf meinen Seemannsfüßen stand) und oft hinfiel mit allem, was ich ihnen brachte, zeigten sowohl Herr Riach als auch der Kapitän merkwürdig viel Geduld mit mir. Ich konnte es mir nicht anders erklären, als daß sie ihr Gewissen beruhigen wollten und wohl niemals so gut gegen mich gewesen wären, wären sie nicht vorher viel schlechter gegen Ransome gewesen.
Was Herrn Shuan anbelangte, so hatte sicherlich der Trunk oder sein Verbrechen oder beides zusammen seinen Geist umnachtet. Ich kann nicht sagen, daß ich ihn jemals bei klarem Verstande gesehen hätte. Er gewöhnte sich niemals an meine Anwesenheit, stierte mich immerfort an (manchmal, schien es mir sogar, voll Schreck) und fuhr mehr als einmal vor meiner Hand zurück, wenn ich ihn bediente. Ich war von Anfang an ziemlich überzeugt davon, daß er keine klare Vorstellung davon hatte, was er getan und am zweiten Tage meines neuen Dienstes wurde meine Annahme bestätigt. Wir waren allein und er hatte mich schon geraume Weile angestarrt, als er plötzlich aufsprang, blaß wie der Tod, und zu meinem größten Entsetzen ganz nahe an mich herankam. Aber ich hatte keinen Grund mich zu fürchten.
»Du warst früher nicht hier«, fragte er.
»Nein, Herr«, sagte ich.
»Es war ein anderer Bub da?« fragte er wieder. Und als ich ihm geantwortet hatte, »Ah!« sagte er, »das hab' ich mir gedacht!« und er ging wieder und setzte sich, ohne noch ein Wort zu sagen hin, nur um Branntwein rief er.
Alles zusammen war es keine allzu schwere Zeit, solange es dauerte, was (wie Ihr gleich hören sollt) nicht lange war. Ich bekam so gut zu essen, wie nur einer von ihnen, und hätte ich nur gewollt, so wäre ich von morgens bis abends betrunken gewesen, wie Herr Shuan. Auch Gesellschaft hatte ich, und zwar gute Gesellschaft. Herr Riach, der das Gymnasium besucht hatte, sprach mit mir, wie zu einem Freund – wenn er nicht brummig war – erzählte mir viele merkwürdige Dinge und auch manche belehrende. Sogar der Kapitän, obwohl er mich meist hübsch in Entfernung hielt, zeigte sich hin und wieder ein bißchen weniger zugeknöpft und erzählte mir von fremden Ländern, die er gesehen hatte.
Der Schatten des armen Ransome lastete schwer auf allen vieren von uns und auf mir und Herrn Shuan besonders drückend. Auch hatte ich noch einen besonderen Kummer. Hier war ich nun und mußte schmutzige Arbeit leisten für drei Männer, die ich verachtete, und von denen einer wenigstens an den Galgen gehörte; dies war die Gegenwart. Was die Zukunft anbelangte, konnte ich mich nur an der Seite von Negersklaven, in den Tabaksplantagen arbeiten sehen. Herr Riach ließ mich nie wieder, vielleicht aus Vorsicht, ein Wort von meiner Geschichte erwähnen. Der Kapitän, dem ich mich zu nähern versuchte, stieß mich wie einen Hund zurück und wollte kein Wort hören. So sank mein Mut mit jedem Tage, bis ich sogar froh war, meine Arbeit verrichten zu können, nur um nicht nachdenken zu müssen.
Kapitel IX
Der Mann mit dem goldenen Gürtel
Inhaltsverzeichnis
Mehr als eine Woche verging und das Mißgeschick, das die Covenant auf ihrer Fahrt bisher verfolgt hatte, wurde noch ärger. Einige Tage ging es ein Stückchen vorwärts, an anderen wurden wir tatsächlich zurückgetrieben. Schließlich wurden wir so weit südlich verschlagen, daß wir den ganzen neunten Tag in Sicht von Kap Wrath hin und her geworfen wurden. Darauf folgte eine Beratung der Offiziere und irgend welche Entscheidungen, die ich nicht genau verstand, da ich nur die Ergebnisse sah, daß wir einen widrigen Wind zu einem günstigen machten und südwärts steuerten.
Am zehnten Nachmittag fiel ein dicker, feuchter, weißer Nebel, daß man von einem Ende des Schiffes nicht bis zum anderen sehen konnte. Den ganzen Nachmittag sah ich, so oft ich über das Deck ging, Männer und Offiziere über das Bollwerk gelehnt, angestrengt horchen – »auf Brecher«, hieß es; und obwohl ich nicht einmal das Wort verstand, fühlte ich Gefahr in der Luft liegen und war aufgeregt.
Gegen zehn Uhr nachts, ich bediente eben Herrn Riach und den Kapitän beim Nachtmahl, stieß das Schiff mit großem Krach gegen irgend etwas und wir hörten Stimmen rufen. Meine zwei Herren sprangen auf ihre Beine.
»Aufgefahren!« sagte Herr Riach.
»Nein, Herr,« sagte der Kapitän, »wir haben nur ein Boot in den Grund gebohrt.«
Und sie eilten hinaus.
Der Kapitän hatte recht. Wir waren im Nebel an ein Boot angefahren, hatten es zertrümmert und es war sofort mit der ganzen Mannschaft gesunken, bis auf einen einzigen Mann. Dieser Mann war (wie ich nachträglich hörte) als Passagier am Steuer gesessen, während die übrigen auf ihren Bänken ruderten. Im Augenblick des Zusammenstoßes wurde das Steuer in die Luft geworfen und der Mann, da er die Hände frei hatte, war in die Höhe gesprungen und hatte am Bugspriet des Schiffes festen Halt gefaßt. Dies zeigte, daß er viel Glück hatte, große Geschicklichkeit besaß und über ungewöhnliche Kraft verfügte, sich solcherart aus einer so gräßlichen Lage retten zu können. Doch als der Kapitän ihn in die Offizierskajüte hereinführte und ich sein Antlitz zum erstenmal erblickte, sah er so kühl aus wie ich.
Er war etwas klein von Gestalt, aber gut gebaut und so flink wie eine Ziege. Sein Gesicht trug einen guten, offenen Ausdruck, war aber sehr sonnverbrannt, blatternarbig und voll Sommersprossen. Seine Augen waren ungewöhnlich hell und tanzten eigenartig wie in einem Wahn, was beängstigend und einnehmend zugleich war. Und als er seinen großen Mantel abnahm, legte er ein Paar schöne, silberbeschlagene Pistolen auf den Tisch und ich sah, daß er mit einem großen Schwert umgürtet war. Er hatte ein vornehmes Benehmen und dankte dem Kapitän in höflichen Worten. Alles zusammen hatte ich den Eindruck, daß ich diesen Mann lieber zum Freund als zum Feind hätte.
Auch der Kapitän stellte seine Beobachtungen an, aber ihn interessierten die Kleider mehr als der Mann. Und wirklich sah er, sobald er den Mantel abgelegt hatte, nur allzu prächtig aus für die Kajüte eines Handelsschiffes: Er trug einen Federhut, eine rote Weste, Hosen aus schwarzem Sammet und einen blauen Rock mit Silberknöpfen und schönen Silberborten; kostbare Kleider, nur einigermaßen mitgenommen durch den Nebel und dadurch, daß man anscheinend in ihnen geschlafen hatte.
»Es tut mir leid, Herr, wegen des Bootes«, sagte der Kapitän.
»Es sind ein paar wackere Leute untergegangen«, sagte der Fremde, »und ich wollte lieber die auf festem Lande wiedersehen als zwanzig Boote.«
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