Bobbo kam sehr müde heim, ließ das Abendessen ausfallen, ging sofort zu Bett und fiel in tiefen Schlaf, aus dem er erst am nächsten Morgen gegen sieben Uhr erwachte. Er sagte: »Jetzt weiß ich, was Liebe ist« und stand auf und zog sich an, wobei er sich im Spiegel anstarrte, als würde er dort etwas vollkommen Neues sehen. Auch die nächste Nacht blieb er weg und danach jede Woche zwei oder drei Nächte.
Manchmal erklärte er, er hätte noch spät zu arbeiten und würde in der Stadt übernachten; gelegentlich jedoch, wenn er sehr müde oder sehr aufgekratzt war, gestand er ein, daß er bei Mary Fisher gewesen war, und er erzählte von den Dinnergästen – berühmte Leute, reiche Leute, von denen selbst Ruth schon gehört hatte – und was es zu essen gegeben und was für geistreiche, bezaubernde, schlimme Sachen Mary Fisher gesagt und was für ein Kleid sie getragen hatte und wie es dann hinterher gewesen war, als er ihr endlich das Kleid ausziehen konnte.
»Ruth«, pflegte er zu sagen, »du bist mein Freund. Du mußt mir in dieser Angelegenheit alles Gute wünschen. Das Leben ist so kurz. Mißgönne mir dieses Erlebnis, diese Liebe nicht. Ich werde dich nicht verlassen, du mußt dir deswegen keine Sorgen machen. Du hast es nicht verdient, verlassen zu werden. Du bist die Mutter meiner Kinder. Sei geduldig, es wird vorübergehen. Wenn es dich verletzt, so tut es mir leid. Aber laß es mich wenigstens mit dir teilen.«
Ruth lächelte, hörte zu und wartete, und es ging nicht vorüber. An den stillen Tagen dachte sie über die Natur der Frauen nach, die so wenig Rücksicht auf Ehefrauen nahmen.
»Eines Tages«, sagte sie, »mußt du mich mal zum Essen in ihren Turm mitnehmen. Finden die Leute es nicht merkwürdig, daß deine Frau nie dabei ist?«
»Das sind keine Leute wie du«, sagte Bobbo. »Nur Schriftsteller und Künstler und so was. Und niemand, der was ist, heiratet heutzutage noch.«
Doch er mußte ihre Bemerkung Mary Fisher weitererzählt haben, denn kurz darauf wurde Ruth in den Turm eingeladen. Es waren lediglich zwei weitere Gäste anwesend: der örtliche Anwalt mit Frau, beide schon etwas bejahrt. Mary Fisher erklärte, die anderen hätten im letzten Moment abgesagt, doch Ruth glaubte ihr nicht.
Bobbo hatte sein Bestes getan, um Mary Fisher davon abzuhalten, Ruth einzuladen, hatte aber keinen Erfolg gehabt.
»Wenn sie Teil deines Lebens ist, Darling«, sagte Mary Fisher, »dann möchte ich, daß sie auch Teil meines Lebens ist. Ich möchte sie richtig kennenlernen, nicht bloß als eine Person, die du mitten in der Nacht an einer Straßenecke abgesetzt hast. Keine meiner Heldinnen würde das zulassen! Ich sag dir, was ich machen werde. Wir machen eine jener Dinnereinladungen daraus, die Pflicht und nicht Vergnügen sind.«
Bobbo fragte manchmal Mary Fisher, warum sie ihn liebte. Mary Fisher sagte, weil er Geliebter und Vater war, das Verbotene und das Erlaubte, alles in einer Person, und außerdem war die Liebe sowieso eine geheimnisvolle Sache, und Amor war nun mal eigensinnig, und warum wollte er das überhaupt wissen, konnte er es denn nicht einfach hinnehmen ?
Bobbo nahm es hin. Ruth kam zum Essen. Sie stolperte und errötete, und die Haare auf ihrer Oberlippe und an ihrem Kinn glänzten im Lichtschein; sie hatte Wein aufs Tischtuch gegossen und die falschen Dinge zu den falschen Leuten gesagt und alles durcheinander gebracht.
»Glauben Sie nicht auch«, hatte sie zu dem Anwalt gesagt, »daß es um so mehr Verbrechen gibt, je mehr Polizei es gibt?« »Sie meinen«, hatte er freundlich erwidert, »je mehr Polizei, desto weniger Verbrechen. Gewiß doch.«
»Nein, ganz gewiß nicht«, sagte Ruth aufgeregt, während ihr der Spinat über das Kinn lief, und Bobbo mußte sie mit einem Tritt unter dem Tisch zum Schweigen bringen.
Manchmal dachte Bobbo, Ruth wäre verrückt. Sie sah nicht nur nicht so aus wie andere Leute, man konnte sich auch nicht darauf verlassen, daß sie sich so wie andere Leute benahm.
Bobbo befürchtete, daß Mary sich ihm gegenüber etwas kühler verhielt, seit sie Ruth kennengelernt hatte. Niemandem tat es gut, in enger Beziehung zu unglücklichen und glücklosen Leuten zu stehen. Liebe, Erfolg, Energie, Gesundheit, Glück drehten sich in engem Kreis, trieben sich aus eigener Energie an, befanden sich jedoch gleichzeitig in einem höchst labilen Gleichgewicht. Ein Körnchen Sand im Getriebe, und die ganze Maschinerie konnte zum Stillstand kommen. Glück und Segen verwandeln sich nur zu leicht in Unheil! Und jetzt liebte er Mary Fisher und liebte sie und liebte sie, und seine Eltern waren zum Dinner gekommen, und seine Frau hatte geweint und eine Szene gemacht und das Essen auf den Boden geworfen, und er hatte nicht das geringste für sie übrig. Ruth stand zwischen ihm und dem Glück: unverrückbar! Hatte es in der ganzen Geschichte der Ehe jemals solche Unverrückbarkeiten gegeben?
Bobbo hatte zu Mary Fisher gesagt: »Mary, empfindest du keine Schuldgefühle, weil du eine Affäre mit einem verheirateten Mann hast?«
Und Mary hatte erwidert: »Ist das, was wir haben, eine Affäre?« Sein Herz hatte entsetzt zu hämmern begonnen, bis sie hinzugefügt hatte: »Ich dachte, es wäre mehr. Es fühlt sich an, als wäre es mehr! Es fühlt sich an, als wäre es für immer.« Die Freude hatte ihn zum Schweigen gebracht, und sie hatte weitergesprochen: »Schuldgefühle? Nein. Liebe entzieht sich unserer Kontrolle. Wir verlieben uns. Niemand trägt daran schuld. Du nicht. Ich nicht. Und ich vermute, weil Ruth nie etwas erwartet, wird sie auch nie etwas bekommen. Wir können unser Leben nicht verderben, weil sie fast ohne Freude geboren wurde. Es war ein Akt der Freundlichkeit deinerseits, als du sie geheiratet hast, und ich liebe dich deswegen, aber jetzt, mein Liebster, sei gut zu mir. Lebe mit mir. Hier, jetzt, für immer!«
»Und die Kinder?«
»Sie sind Ruths Krone und ihre Juwelen. Sie sind ihr ganzer Trost. Sie kann sich so glücklich schätzen. Ich habe keine Kinder. Ich habe niemanden außer dir.«
Sie sagte das, was er hören wollte. Es war hinreißend. Und nun saß er hier an einem Vorstadttisch, zusammen mit seiner Mutter, seinem Vater und seiner Vergangenheit, und dachte an Mary Fisher und wie sehr sie ihn brauchte und sehnte sich nach einer gemeinsamen Zukunft, und dann kam Ruth endlich mit der Suppenterrine herein.
Ruths tapferes Lächeln geriet über der Suppe ins Schwanken. Ihre Schwiegereltern starrten sie in ruhiger freundlicher Erwartung an. Und Ruth schaute auf die drei Hundehaare, die in dem grauen Schaum der durch Sahne verdickten köstlichen Pilzsuppe schwammen.
Der Hund hieß Harness. Bobbo hatte ihn Andy zu dessen achten Geburtstag gekauft. Ruth kümmerte sich um ihn. Harness mochte Ruth nicht. Für ihn war sie eine Riesin, ein Affront gegen die natürliche Ordnung der Dinge. Er akzeptierte das Essen, das sie ihm gab, schlief aber dort, wo sie es ihm verboten hatte, quetschte sich unter Schränke und schnappte nach suchenden Händen, nagte die Polster an und machte gewaltigen Radau, wenn man ihn irgendwo zurückließ, wo er nicht sein wollte. Er haarte, klaute Essen, fraß pfundweise Butter (wenn er welche auftreiben konnte) und kotzte sie sofort wieder aus. An den paar Sonntagen, an denen Bobbo zu Hause war, ging er gern mit Harness im Park spazieren, zusammen mit Andy; Vater und Sohn fühlten sich dann glücklich und wohl. Ruth blieb allein zurück, entfernte mit einem speziellen kleinen, batteriebetriebenen Staubsauger Haare von irgendwelchen Polsterungen und Bezügen. Sie mochte Harness nicht.
»Laß die Suppe nicht kalt werden, Ruth«, sagte Bobbo, als wäre das eine ihrer üblichen Angewohnheiten.
»Haare!« Das war alles, was Ruth hervorbrachte.
»Es ist ein hübscher sauberer Hund«, sagte Brenda. »Uns stört das nicht, oder, Angus?«
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