Er brauchte Hund und Katze, um die Schicht aufzulecken, doch die schmollten beide draußen und wollten nicht mehr hereinkommen. Statt dessen setzten sie sich auf das Mäuerchen, dicht neben seine Eltern und warteten genau wie jene auf einen häuslichen Stimmungsumschwung.
»Hör endlich auf zu weinen«, bat Bobbo in der Küche. »Weshalb machst du wegen allem und jedem so ein Theater? Schließlich kommen bloß meine Eltern zum Essen. Sie erwarten keinen solchen Aufwand. Mit einer einfachen Mahlzeit wären sie vollkommen zufrieden.«
»Wären sie nicht. Aber deswegen wein’ ich auch gar nicht.«
»Weshalb dann?«
»Das weißt du ganz genau.«
Ah, Mary Fisher. Das wußte er in der Tat. Er versuchte es mit Vernunftgründen.
»Als ich dich heiratete, hast du doch nicht erwartet, daß ich mich nie in irgendeine andere Frau verlieben würde?«
»Genau das hab ich erwartet. Jede Frau erwartet das.«
Sie fühlte, daß sie betrogen worden war.
»Aber du bist nicht wie andere Frauen, Ruth.«
»Du meinst, ich bin ein Monster.«
»Nein«, sagte er vorsichtig, freundlich. »Ich meine, wir sind alle Individuen.«
»Aber wir sind verheiratet, wir sind ein Fleisch.«
»Wir haben doch wohl mehr aus Bequemlichkeit geheiratet, meine Liebe. Ich denke, das war uns beiden damals klar.«
»Bequem für dich.«
Er lachte.
»Worüber lachst du?«
»Du denkst und redest nur in Klischees.«
»Mary Fisher vermutlich nicht?«
»Natürlich nicht. Sie ist eine kreative Künstlerin.«
Die Kinder, Andy und Nicola, tauchten in der Küchentür auf, er klein und schmal, sie breit und groß. Genau verkehrt herum. Er erschien mädchenhafter als sie. Bobbo gab Ruth die Schuld daran, daß sie die Kinder in falscher Reihenfolge zur Welt gebracht hatte. Er hatte das Gefühl, sie habe es absichtlich getan. Sein Herz blutete für die Kleinen. Kinder haben empfindliche Nerven, die sie sich jeden Tag schmerzhaft anstoßen. Obwohl er sie liebte, wünschte er, sie wären nie geboren worden. Sie standen zwischen ihm und Mary Fisher, und er träumte seltsame Träume, in denen sie ein trauriges Ende fanden.
»Kann ich einen Krapfen haben?« fragte Nicola. Auf häusliche Krisen reagierte sie, indem sie nach Essen verlangte. Sie hatte reichlich Übergewicht. Die zu erwartende Antwort »Nein« erzeugte bereits beim Aussprechen einen Gegenreiz und ersparte so ihren Eltern weiteren Kummer. Sie wären dann so beschäftigt, sie auszuschimpfen, daß sie ganz vergaßen, sich gegenseitig zu beschimpfen; zumindest nahm sie das fälschlicherweise an.
»Ich habe einen Splitter im Fuß«, sagte Andy. »Schaut mal, ich hinke!«
Er führte es vor, marschierte durch die Essensreste auf dem Fußboden, hinkte weiter ins Wohnzimmer, wobei er Sauce in den Teppich trat. Der Teppich war herbstgrün, gut abgestimmt auf die avocadofarbenen Wände und die seegrüne Decke. Bobbo schätzte, die fettigen Tritte würden die Reinigungsrechnung um weitere 30 Dollar erhöhen. Bei der jährlichen Generalreinigung würde der Teppich nun einer Spezialreinigung unterzogen werden müssen.
Draußen entschieden Angus und Brenda, daß Ruth mittlerweile ihre Fassung wiedergewonnen haben mußte. Sie verließen ihr Bänkchen, gingen den Gartenweg hoch und klingelten an der Haustür. Ding-dong!
»Bitte erspare mir jede Peinlichkeit in Gegenwart meiner Eltern«, bat Bobbo, worauf Ruth um so heftiger zu weinen begann. Sie stieß gewaltige würgende Schluchzer aus, wobei ihre gigantischen Schultern zuckten. Selbst ihre Tränen wirkten größer und wasserhaltiger als die anderer Leute. Mary Fisher, dachte Bobbo, vergießt niedliche kleine Tränen, die eine höhere Oberflächenspannung haben als die seiner Frau und die auf dem offenen Heiratsmarkt sicherlich höher eingestuft wurden. Gäbe es so was, er würde Ruth, ohne zu zögern, sofort auf den Markt werfen.
»Kommt rein«, sagte er an der Haustür zu seinen Eltern. »Kommt nur rein! Wie schön, euch zu sehen! Ruth hat Zwiebeln geschält. Ich fürchte, sie sieht noch ein bißchen verheult aus.«
Ruth rannte hoch in ihr Zimmer. Wenn Mary Fisher rannte, dann waren ihre Schritte leicht und beschwingt. Ruths Gewicht schwankte von einem massiven Bein aufs andere; jedesmal wurde das Haus erschüttert, wenn sie aufstampfte. Die Häuser in Eden Grove waren nicht nur für kleinere, sondern auch für leichtere Personen gedacht.
In Mary Fishers Romanen in rosa und goldenen Umschlägen, die zu Hunderttausenden verkauft werden, blicken tapfere kleine Heldinnen zu gutaussehenden Männern auf und gewinnen sie für sich, indem sie sie freigeben. Kleine Frauen können zu Männern aufschauen. Aber Frauen von über einsachtzig haben da so ihre Probleme.
Ich will Ihnen eines sagen: Ich bin eifersüchtig! Ich bin eifersüchtig auf jedes kleine hübsche Frauchen, das seit Anbeginn der Welt jemals gelebt und zu einem Mann aufgeschaut hat. Tatsächlich bin ich von Eifersucht förmlich zerfressen, ein durchaus hübsches, lebendiges, hungriges Gefühl. Sie wollen wissen, weshalb mir das was ausmacht? Weshalb ich nicht einfach in mir selbst ruhe, diesen Teil meines Lebens vergesse und zufrieden bin? Habe ich nicht ein Heim und einen Ehemann, der die Rechnungen bezahlt, und Kinder, um die ich mich kümmern muß? Ist das nicht genug? Die Antwort heißt »Nein«! Ich verzehre mich danach, ich sterbe fast vor Sehnsucht, zu dieser anderen, vor Erotik, Begierde und Lust pulsierenden Welt zu gehören. Was ich will, ist nicht Liebe; so einfach ist das nicht. Ich will nicht mehr und nicht weniger, als alles nehmen und nichts dafür geben. Was ich will, ist Macht über Herzen und Brieftaschen der Männer. Mehr Macht können wir nicht an uns reißen, hier unten in Eden Grove, im Paradies, und selbst das bleibt mir verwehrt.
Ich stehe in meinem Schlafzimmer, unserem Schlafzimmer, Bobbos und meinem Schlafzimmer und bringe mein Gesicht in Ordnung, um so schnell wie möglich zu meinen häuslichen, ehelichen, mütterlichen Pflichten und meinen Schwiegereltern zurückkehren zu können.
Zu diesem Zwecke sage ich mir die Litanei vom braven Eheweib vor. Sie lautet folgendermaßen:
Ich muß so tun, als wäre ich glücklich, wenn ich unglücklich bin, zum Wohle von allen.
Ich darf mich nicht über mein Leben beschweren, zum Wohle von allen.
Ich muß für das Dach über meinem Kopf und das Essen auf meinem Tisch dankbar sein und das auch dadurch zum Ausdruck bringen, daß ich den lieben langen Tag putze und koche und beim geringsten Anlaß von meinem Stuhl aufspringe, zum Wohle von allen.
Ich muß die Eltern meines Mannes dazu bringen, daß sie mich mögen, und meine Eltern, daß sie ihn mögen, zum Wohle von allen.
Ich muß mich dem Prinzip unterwerfen, daß derjenige, der außerhalb des Hauses am meisten verdient, auch innerhalb des Hauses am meisten verdient, zum Wohle von allen.
Ich muß das sexuelle Selbstvertrauen meines Mannes stärken, ich darf weder insgeheim noch öffentlich für andere Männer sexuelles Interesse zeigen; ich muß die Art und Weise ignorieren, wie er mich herabsetzt, indem er öffentlich andere Frauen preist, die jünger, hübscher und beruflich erfolgreicher sind als ich und mit denen er, falls möglich, heimlich schläft, zum Wohle von allen.
Ich muß ihn bei all seinen Unternehmungen moralisch unterstützen, wie unmoralisch sie auch sein mögen, um unserer Ehe willen. Stets und ständig muß ich so tun, als wäre ich ihm in jeder Hinsicht unterlegen.
Ich muß ihn lieben, in guten wie in schlechten Tagen, in Reichtum und in Armut und darf in meiner Loyalität niemals schwankend werden, zum Wohle von allen.
Aber diesmal funktioniert die Litanei nicht. Sie beschwichtigt nicht, sie macht mich wütend. Ich schwanke: Meine Loyalität schwankt! Ich schaue in mein Inneres! Ich finde Haß, jawohl, Haß auf Mary Fisher, heiß, stark und süß, aber kein Fitzelchen Liebe, nicht einmal eine dünne, sich windende Faser. Ich liebe Bobbo nicht mehr! Treppauf lief ich weinend und voller Liebe, treppab werde ich trockenen Auges und ohne eine Spur von Liebe gehen.
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