Nicola, Andy und Ruth verzehrten ihr Essen vor dem Fernseher. Kleine Grüppchen essen so, Frauen und Kinder, wenn die Welt auseinanderbricht.
Schließlich murmelte Ruth irgendwas.
»Was hast du gesagt?« fragte Nicola.
»Auf den Müll geworfen«, sagte Ruth. »Das passiert schlichten tugendhaften Gemütern. Sie werden auf den Müll geworfen.«
Nicola und Andy verdrehten die Augen und schauten gen Himmel.
Sie hielten sie für verrückt. Oft genug hatte ihr Vater gesagt: »Eure Mutter ist verrückt.«
Am Morgen gingen Nicola und Andy in die Schule.
Einige Tage später rief Bobbo an und teilte mit, daß er Ruth und den Kindern erlauben würde, erst einmal weiter in dem Haus zu wohnen, obwohl die Räumlichkeiten ganz offensichtlich zu groß für sie wären. In einer kleineren Wohnung würden sie sich wesentlich wohler fühlen.
»Was meinst du mit ›erst einmal‹?« fragte sie, aber er gab darauf keine Antwort. Er sagte, er würde ihr bis auf weiteres 52 Dollar pro Woche zahlen, was 20 Prozent über dem legalen Minimum läge. Dank der neuen Gesetzgebung, durch die Zweitfrauen fairer behandelt wurden, mußte er lediglich seine Kinder unterstützen. Von gesunden Frauen aus erster Ehe konnte man erwarten, daß sie sich auf eigene Beine stellten.
»Ruth«, sagte Bobbo, »du hast sehr gute, sehr solide Beine. Du wirst schon durchkommen.«
»Aber das Haus samt Haushalt kostet mindestens 165 Dollar die Woche«, sagte Ruth.
»Eben deswegen muß es ja auch verkauft werden«, sagte Bobbo. »Aber vergiß nicht, daß sich die Kosten durch meine Abwesenheit senken. Frauen und Kinder verbrauchen nicht annähernd soviel wie Männer. Die Statistiken beweisen das. Abgesehen davon, jetzt, wo die Kinder in der Schule sind, wo sie eigentlich schon fast erwachsen sind, kannst du ruhig wieder arbeiten gehen. Es ist nicht gut für eine Frau, wenn sie zu Hause vermodert.«
»Aber die Kinder werden auch mal krank; das halbe Jahr über sind Schulferien; und außerdem gibt es keine Arbeit.«
»Für diejenigen, die arbeiten wollen, gibt es immer Arbeit«, sagte Bobbo. »Das weiß doch jeder.«
Er telefonierte vom Turm aus. In einer Ecke des großen Raumes neigte Mary Fisher ihren hübschen Nacken und schrieb süße Worte über die Natur der Liebe nieder.
»Ganz plötzlich bewegten sich seine Finger, und sie spürte, wie seine Fingerspitzen provozierend über ihre Haut strichen, auf die bebenden zarten Konturen ihres Mundes zu«, schrieb Mary Fisher, und dann legte Bobbo den Telefonhörer und sie ihre Feder nieder, und sie besiegelten ihre gemeinsame Zukunft mit einem Kuß.
Mary Fisher lebt mit meinem Mann Bobbo in ihrem Turm und schreibt über die Natur der Liebe und sieht keinen Grund, weshalb nicht jeder glücklich sein sollte.
Weshalb sollte sie einen Gedanken an uns verschwenden? Wir sind machtlos und arm und ohne jede Bedeutung. Dieses »Jeder« schließt uns nicht mal ein.
Ich wage zu behaupten, daß Bobbo manchmal nachts aufwacht, und sie fragt dann, was los ist, und er sagt, ich denke an die Kinder, und sie sagt, besser so, wie es jetzt ist, ein klarer Bruch, und du siehst sie gar nicht mehr, und er glaubt ihr, weil Andy und Nicola nicht zu den Kindern gehören, die einem das Herz bluten lassen, schon gar nicht einem, dessen haarige Beine gerade mit Mary Fishers kleinen seidigen Beinchen verschlungen sind.
Und sollte er jemals sagen: »Ich frag mich, wie Ruth zurechtkommt«, dann wird sie ihm den Mund mit einem Scheibchen Räucherlachs und einem Schluck Champagner stopfen und sagen: »Ruth wird ihren eigenen Weg in dieser Welt gehen. Schließlich hat sie Kinder. Ich Ärmste, ich habe keine! Alles, was ich habe, bist du, Bobbo.«
Meine beiden Kinder kommen und gehen, nehmen Nahrung auf, wollen sich hätscheln lassen, aber ich habe ihnen nichts zu geben. Wie könnte ich? Weibliche Teufel haben vertrocknete Zitzen. Es dauert eine Weile, bis man sich ganz und gar zu einem weiblichen Teufel entwickelt hat. Anfangs fühlt man sich total erschöpft, das kann ich Ihnen sagen. Die Wurzeln der Selbstvorwürfe und des guten Benehmens sitzen tief im lebendigen Fleisch. Man kann sie nicht sanft herausziehen, man muß sie herausreißen, und da bleiben so einige Fleischfetzen hängen. Manchmal schreie ich nachts so laut, daß ich die Nachbarn wecke. Die Kinder lassen sich durch nichts aus dem Schlaf schrecken.
Zum Schluß saugte ich Energie aus der Erde. Ich ging in den Garten, grub die Erde mit einem Spaten um, und machtvolle Kraft stieg durch meine Zehen in meine kompakten Waden und nistete sich in meinen teuflischen Lenden ein: Drang und Reiz zugleich. Es sagte mir, daß das Warten nun ein Ende haben mußte, die Zeit des Handelns war gekommen.
Carver hauste in einer Hütte unten am Sportplatz von Eden Grove, wo er als eine Art Verwalter tätig war. Er war über sechzig, stoppelbärtig, mit verrunzelter Haut, aber mit strahlend hellen Augen. Die Haut seiner Arme war rot und wie gegerbt, aber über seinem Bauch spannte sie sich weiß und dünn. Die Hütte stand dort, wo Tennisplätze und Aschenbahn aneinanderstießen; eigentlich sollte Carver dort die Rasenmäher und Walzen aufbewahren und von hier aus seinen täglichen Aufsichtspflichten nachkommen. Nun aber blieb er auch über Nacht hier, lag unter einer schmutzigen Decke auf einer Schaumgummimatratze, manchmal schlafend, meistens jedoch nicht. Er war bei der Stadt angestellt – zur Hälfte ein Wohltätigkeitsfall, zur Hälfte machte er sich nützlich. Er meldete Bienenschwärme und vertrieb Kinder und Liebespärchen.
Es hieß, Carver hätte ein Kind an irgendeinem fernen Strand vor dem Ertrinken gerettet und dabei einen Gehirnschaden erlitten. Aus diesem Grund forderten die Damen von Eden Grove, als sie eine Petition zu seiner Entlassung vorlegten, lediglich seine vorzeitige Pensionierung, anstatt fristlose unehrenhafte Entlassung. Frauen und Mütter, die auf ihrem Weg zu den Geschäften und der Schule an der Sportstätte vorbei mußten, eilten gesenkten Blickes vorüber. Manchmal starrte Carver nur lüstern; manchmal entblößte er sich. Obwohl das niemand tatsächlich gesehen hatte, kannte jeder irgend jemand, der es gesehen hatte.
Carver beobachtete, wie Ruth die Straße entlang ging. Er mochte das Blitzen ihrer dunklen Augen, ihren schwerfälligen Gang. Sie trippelte nicht wie andere Frauen und Mütter auf kleinen Absätzen daher. Ihre Schuhe waren flach, vielleicht weil ihre Füße zu groß waren, um in etwas anderes zu passen. Carver wußte sehr wohl, daß sie eines Tages auf eine Tasse Tee zu ihm hereinschauen würde. Er wußte stets im voraus, wer in intime Beziehung zu ihm treten würde und daß er, nachdem er eine zukünftige Partnerin erkannt hatte, nichts weiter zu tun hatte – wie alle anderen auch –, als zu warten. Liebe, das war ihm schon immer klar gewesen, war nichts als das vorherige Wissen um Glück oder Schmerz.
Carver wußte, wie man etwas begehrte, aber nicht zu sehr begehrte; er wußte, wie man hoffte, aber nicht zu ungestüm; wie man wartete, aber nicht zu lange. Carver ließ sich gern im Strom des Schicksals treiben, mit einer leichten Drehung hier und da, einer beiläufigen Wendung, ausgelöst durch Willen und Hoffnung, ein Fisch im Strom der Zeit.
»Komm rein und trink eine Tasse Tee«, sagte er, dicht am Zaun des Tennisplatzes stehend, als sie vorüberging. Sie kam herein.
Ruth trank ihren Tee aus einer Tasse mit einem Sprung. In einem Eisenofen brannte ein Holzfeuer, obwohl Sommer war. Dicht aneinandergedrängt, setzten sie sich davor, als ob Winter wäre. Zeitungen lagen als Teppich auf dem Boden. Man hätte aus ihr zwei von seiner Sorte machen können, aber das schien keine Rolle zu spielen. Ihre Augen glitzerten. Er machte eine Bemerkung in dieser Richtung.
»Sie glitzern, wenn ich weiß, was ich will«, sagte sie.
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