«Cappuccino, bitte, und einen Kanelboller.»
«Sofort!» Überschwänglich begab er sich an die Theke, wo er nahezu fließend auf Norwegisch die Bestellung aufgab. Zumindest was lockere Dialoge anging, wurde er nicht mehr angesehen wie ein Tourist, der sich qualvoll in einer Fremdsprache übte. Er bezahlte mit Karte, was in den Geschäften ebenfalls gang und gäbe war. Anschließend ließ er es sich nicht nehmen, die Tassen und die Teller samt Zimtschnecken zu ihrem Tisch zu tragen.
«Find ich klasse, dass unser Treffen geklappt hat», sagte er und zwinkerte ihr zu. Lächelnd kippte er zwei Beutel Zucker in seinen Kaffee und rührte um. Aber Emma sorgte dafür, dass seine gute Laune nicht andauerte.
«Ich bin sicher nicht hier, um ein Kaffeekränzchen abzuhalten», zischte sie. «Das ist Arbeitszeit, die ich eigentlich mit deinem Partner verbringen sollte.»
Er seufzte tief und legte den kleinen Löffel beiseite.
«Es tut mir wirklich leid, was vorgefallen ist», entschuldigte er sich.
«Allein Thor hätte sich zu entschuldigen», erwiderte sie. Nach wie vor wirkte sie aufgebracht. «Sein Verhalten ist nicht nur skandalös, sondern absolut respektlos!»
«Sicher», antwortete er. Zaghaft nahm er einen Bissen von der Zimtschnecke und kaute gemächlich. Das Gebäck schmeckte sagenhaft, wie alle Süßwaren der norwegischen Cafés. Aber nichts war mit dem zu vergleichen, was Thor ihm zum Kaffee servierte. Seine selbstgemachten Kuchen und Kekse machten sogar Dylans heißgeliebten Donuts aus England Konkurrenz. Ob er in seinem Café auch diese phänomenale Rezeptur benutzen würde? Sorgfältig wischte er sich die klebrigen Finger an der Serviette ab. Wie sollte er Emmas Gemüt bloß besänftigen? Auf ganzer Linie musste er ihr recht geben. Thors Verhalten war nicht zu entschuldigen und trotzdem …
«Ich verstehe deine Entrüstung absolut und obwohl es vermutlich nichts an der Sache ändert, kann ich dir versichern, dass Thor die Angelegenheit garantiert nicht so wichtig nimmt wie du.»
«Wie bitte?»
Dylan hob die Schultern an. «Während du dich hier ärgerst, wird er mit Sicherheit zu Hause sitzen und keinen Gedanken mehr daran verschwenden.»
«Er hatte nichts an», erinnerte sie ihn nahezu vorwurfsvoll. «Er hat mich angebrüllt und des Hauses verwiesen.»
«Ja, das stimmt.» Dylan kratzte sich im Nacken. Das Verhalten seines Partners machte ihn verlegen, aber inzwischen konnte er auch schon darüber hinwegsehen. Thor machte niemals etwas, ohne davon überzeugt zu sein. «Nacktheit ist für ihn noch nie ein Thema gewesen», erklärte er. «Ihm wird es scheißegal sein, dass du ihn unbekleidet gesehen hast. Du hast ihn in seiner Privatsphäre gestört; das ist der Punkt, der ihm nicht passte.»
«Aber er muss doch damit rechnen, dass ich vorbeisehe», konterte Emma. «Da er sich bislang den Gesprächsterminen entzogen hat, muss ich unangekündigt vorbeikommen, um sicherzugehen, dass ich ihn erwische.»
Dylan nagte an seinem Piercingring. «Wenn es zur falschen Zeit ist, wird es immer ausarten. Das kann ich dir versichern.»
«So kommen wir ja nie weiter!», tönte sie. Trotzdem biss sie in die Zimtschnecke und schloss kurz genüsslich die Augen. Ein Moment, den Dylan ausnutzte. Mit einem schelmischen Blick beugte er sich vor und flüsterte: «Hat er sich denn wenigstens die Hand vorgehalten?»
Emma hielt inne und schluckte hastig. Ihre Wangen färbten sich rot. «Nein.» Plötzlich zuckten ihre Mundwinkel und sie sah peinlich berührt nach unten. «Nein, das hat er nicht.»
«Oh, my gosh …» Dylan stieß ein glucksendes Lachen aus. Das Eis war gebrochen. Emma grinste.
«Also, das war ….» Ihr Blick wanderte zum Fenster. «Ich wusste gar nicht, wo ich hinsehen sollte.», fuhr sie mit erhobener Stimme fort.
Nun lachte Dylan mutiger. «Das ist typisch für ihn.» Er bestätigte seine Aussage. «Glaub mir, er dachte sich nichts dabei und im Endeffekt sitzt du jetzt hier und ärgerst dich.»
«Ja, vermutlich sollte ich das nicht tun», sagte sie.
«Richtig», antwortete er. «Glaub mir, würde ich mit so etwas bei ihm ankommen, würde er sagen: ‹Ach, Perk, musst du wieder alles dramatisieren?›.»
«Thor nennt dich beim Nachnamen?», hakte sie sofort nach.
Er nickte. «Ja, eigentlich schon immer.»
«Wieso?» Ihre Wut schien verflogen. Sie tranken Kaffee und aßen den Kuchen, so wie es sich Dylan gewünscht hatte: vertraut und ohne Differenzen.
«Das frage ich mich auch und ich glaube, er macht das, um einen gewissen Abstand zu bewahren. Alles, was Gefühle fordert, lässt er nicht gern an sich heran.»
«Aber du bist sein Lebenspartner», gab sie zu denken.
«Das stimmt», meinte er. «Trotzdem war unsere Beziehung nicht von vornherein klar definiert und ich glaube, er hat nach wie vor Angst vor einer festen Bindung.» Er lehnte sich zurück und verdeutlichte. «Seine Hunde zum Beispiel, die haben keinen Namen. Sie gehorchen ihm, sehen in ihm den Anführer und ich denke auch, dass er sie mag. Aber er verhätschelt sie nicht, baut keine emotionale Ebene zu ihnen auf, spielt nicht mit ihnen und gibt ihnen auch keine Leckerli zwischendurch.»
Emma hörte ihm gebannt zu. «Das ist erstaunlich.» Nebenbei klappte sie ihre Unterlagen auf und machte sich Notizen, wie immer, wenn sie mit Dylan im Gespräch war und den Dialog führte, den sie eigentlich mit ihrem Klienten führen sollte.
«Also ist er eher gefühlskalt», rätselte sie.
Dylan schüttelte den Kopf. «Nein, das auch nicht. Er wirkt oft schroff und emotionslos, aber nur, weil er seine Gefühle nicht ausdrücken kann oder Bedenken hat, sie zu zeigen.»
Nun kniff sie die Augen zusammen und kaute nachdenklich an ihrem Kugelschreiber. «Warum? Was meinst du?»
«Ich muss annehmen, dass der Grund dafür in der Vergangenheit liegt. Alles, was ihm bislang wichtig war, im Besonderen Bindungen zu Menschen, wurde auf tragische Weise zerstört: Seine Eltern lehnten ihn ab, seine Großmutter starb zu früh und Magnus hat sich in seinen Armen erschossen.» Dylan hob die Schultern an. «Und vielleicht gibt es noch mehr, was ihn in jungen Jahren mitgenommen hat. Er erzählt ja nichts freiwillig.»
«Also gibt er sich auch dir gegenüber bedeckt?», wollte sie wissen.
«Bedeckt ist geschmeichelt», antwortete er. «Will ich Informationen haben, muss ich darum betteln, und selbst dann lässt er mich oftmals im Regen stehen. Das ist nicht leicht.»
Emma blätterte in den Unterlagen herum. «Es sind jetzt fast drei Monate, in denen er die Fußfessel trägt. Wie geht es ihm damit?»
«Es geht ihm besser», erwiderte Dylan frei raus. «Wir hatten Sex.»
«Oh!» Emma lachte. Sie hob die Schultern an. «Ist das ungewöhnlich? Ihr seid ein Paar.»
«Na ja.» Dylan druckste herum. «Ich hatte doch erzählt, dass er sich nach dem Amerikatrip zurückgezogen hat – und das auf ganzer Linie. Die letzten Wochen lief überhaupt nichts mehr zwischen uns und er schob es auf die Fußfessel.» Entspannt stieß er einen Seufzer aus. «Aber seit ein paar Tagen ist der Knoten geplatzt.» Er grinste. «Wie du mitbekommen hast.»
«Wie ist er denn als Liebhaber?», hakte Emma nach.
Dylan stutzte. «Das willst du jetzt nicht wirklich wissen oder?»
«Du musst keine Bedenken haben», erwiderte sie und deutete auf ihre Aufzeichnungen. «Das kommt nicht in den Bericht und du bist nicht verpflichtet, mir davon zu erzählen. Immerhin müsste ich eigentlich mit ihm darüber reden. Aber es gibt Fälle, bei denen sich die Angeklagten vorbildlich an ihre Auflagen halten, den Schein bewahren, dass alles korrekt läuft, und hinter unserem Rücken den Frust ablassen. Leidtragende sind oftmals Angehörige und Partner.» Sie verdeutlichte: «Je mehr du mir von seinem Alltag erzählst, desto besser bekomme ich ein Bild von ihm und desto positiver wird mein Bericht ausfallen – vorausgesetzt, du bestätigst, dass er sich unter Kontrolle hat.»
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