1 ...8 9 10 12 13 14 ...17 Ich bin kurz davor, die Küche zu verlassen, bleibe aber abrupt stehen, da mein Vater anfängt, zu sprechen. „Junge, ich bin stolz auf dich. Du hast frischen Wind in die Firma gebracht.“
Wow! Mein Herz setzt ein paar Schläge aus. Das hätte ich nicht erwartet. Eher ein: „Du bist enterbt.“
„Wenn dir diese Frau so viel bedeutet – und nach dem, was du gesagt hast, gehe ich davon aus –, sorge dafür, dass du sie wieder zurückgewinnst. Und wenn sie sich nicht an dich erinnert, dann tu alles, damit sie es wieder tut.“
Ich schaue über meine Schulter, nicke ihm zu, gehe weiter und verlasse das Haus. Er hat recht. Was mich wundert, ist, dass er nicht wütend auf mich ist. Er hat wohl gemerkt, wie sehr ich Layla liebe, weil er die gleichen Gefühle für meine Mutter hat. Ich bin sprachlos. Also bleibt jetzt abzuwarten, wie sich Laylas Zustand entwickeln wird, und dementsprechend werde ich handeln. Eines ist jedoch sicher: Ich werde sie nicht einfach so aufgeben.
Zehn Tage sind mittlerweile vergangen und es gibt immer noch keine wesentliche Besserung. Laylas Zustand sei „stabil“, betont der Arzt. Jeden verdammten Tag das Gleiche. Ich kann dieses Wort nicht mehr hören.
Die meiste Zeit habe ich neben ihr gesessen und an meinem Laptop gearbeitet. Zwischendurch bin ich ins Büro gefahren, um an Meetings teilzunehmen.
So auch heute. Wir haben ein wichtiges Meeting mit Huawei, um das neue Handy, welches in zwei Monaten auf den Markt kommen soll, mit günstigen Tarifen speziell jüngeren Menschen schmackhaft zu machen. Das Team aus der Werbeagentur ist auch anwesend, um eine neue Strategie festzulegen. Kurz vor Beginn der Verhandlungen rief ich meinen Vater an, der mir viel Glück wünschte und nochmals betonte, wie stolz er auf mich sei.
Zwei Stunden dauert das Meeting. Zwei Stunden, in denen ich nicht bei Layla sein konnte. Umso mehr freue ich mich nun, zu ihr fahren zu können, um ihr von diesem neuen Deal zu erzählen. Ich weiß, dass sie stolz auf mich sein wird, weil ich die Firma umgekrempelt habe, mehr auf die junge Generation eingehe und mit dem Gedanken spiele, innerhalb der nächsten zwölf Monate in die restlichen Bundesstaaten zu expandieren.
Von den Konferenzräumen, die sich im Erdgeschoss befinden, nehme ich den Fahrstuhl, um in die siebte Etage zu fahren. Sobald die Türen aufgehen, steige ich aus und bin auf dem Weg in mein Büro, da klingelt mein Handy. Ich hole es aus meiner Hosentasche und schaue auf das Display. Luke ist dran. Er hat mich in den vergangenen Tagen nicht angerufen, da er genau wusste, dass ich die meiste Zeit bei Layla war. Heute habe ich viel im Büro zu tun und will erst gegen Mittag zu ihr. „Luke, was gibt’s?“
„Sie ist wach, Chris.“
Oh mein Gott. Sofort bleibe ich stehen und stütze mich an der Wand ab. Mein Herz beginnt zu rasen, meine Beine sind schwer wie Blei. Sie ist wach. Sie ist wirklich wach.
„Wie geht es ihr?“, krächze ich.
„Ich weiß es nicht, bin noch in der Schule. Meine Mutter hat mich gerade angerufen. Sie ist bei ihr.“
„Ich mache mich sofort auf den Weg.“
Zum Glück ist das Krankenhaus nicht weit von hier entfernt und ich kann in kürzester Zeit bei ihr sein. Als ich an meiner Assistentin vorbeieile, sage ich nur: „Ich bin den Rest des Tages nicht hier.“
Ich öffne meine Bürotür, schnappe mir mein Jackett und die Autoschlüssel und verlasse schnell das Gebäude, bevor noch irgendein Mitarbeiter auf die Idee kommt, mich anderweitig zu beschäftigen.
Als ich in den Gang, der zur Intensivstation führt, abbiege, weist mich eine Schwester darauf hin, dass Layla in ein normales Zimmer verlegt wurde. Also mache ich mich auf die Suche nach diesem Zimmer. Nachdem ich dort angekommen bin, sehe ich, dass die Tür offen steht, bleibe stehen und schaue hinein.
Sie liegt im Bett und der Arzt sitzt neben ihr, hält eine Art Tablet in der Hand und macht Notizen. An eine Wand gelehnt steht Lukes Mutter, die mich mit einem ernsten Gesichtsausdruck ansieht.
Plötzlich nimmt Layla mich wahr und schaut zu mir herüber. Ihre Augen fixieren mich. Sie starrt mich an und wirkt neugierig. Vielleicht fragt sie sich, was ich hier zu suchen habe. Der Arzt schaut über seine Schulter und wirft mir einen warnenden Blick zu. Schon gut. Sie ist gerade erst zu sich gekommen, da werde ich bestimmt nichts tun, um sie wieder aufzuregen. Tiefe Furchen bilden sich auf Laylas Stirn, und als ich auf sie zugehen will, kommt Lukes Mutter zu mir und packt mich am Arm.
„Christopher, ich muss mit dir reden.“ Mrs. Thompson zieht mich in eine Ecke des Zimmers und sieht mich mit ernster Miene an. „Christopher“, beginnt sie und stoppt. Was ist los? Ich sehe ihr an, dass sie versucht, die richtigen Worte zu finden. Ihr Blick huscht rüber zu Layla und dann wieder zu mir. Sie atmet tief ein und greift nach meiner Hand. „Layla … sie leidet an Amnesie.“ Sie drückt meine Hand, aber ich spüre nichts. Mein Körper ist wie gelähmt. „Der Arzt kann nicht sagen, wie lange dieser Zustand anhalten wird. Layla denkt, wir haben das Jahr 2015. Gott, ich weiß nicht, wie ich es ihrer Mutter beibringen soll. Sie war gestern hier und bat sie, aufzuwachen.“
NEIN!
Sie kann sich nicht an uns erinnern. Die Zeit, die wir miteinander verbracht haben, ist einfach so weg.
„Tut mir leid, mein Junge“, flüstert sie, und ich spüre, wie sich ein fürchterlicher Schmerz in meiner Brust ausbreitet. Ohne auch nur ein Wort zu sagen, gehe ich an ihr vorbei und verlasse das Zimmer.
„Tante Emily, was hat er hier zu suchen?“, höre ich Layla fragen, und das gibt mir den Rest.
Mit wackeligen Knien und einem Brennen in den Augen gehe ich den Gang entlang, bis meine Beine nachgeben. Ich stütze mich an der Wand ab und lege eine Hand auf meine Brust. Dort, wo mein Herz war, befindet sich nun ein großes Loch.
Eine Schwester kommt auf mich zugeeilt. „Sir, geht es Ihnen gut?“
Ich kann nicht sprechen, also nicke ich einfach, damit sie weggeht und mich in Ruhe lässt. Sie verschwindet, und an die Wand gelehnt gleite ich langsam zu Boden. Ich ziehe die Beine an, lege meinen Kopf auf die Knie und gebe den Versuch auf, meine Tränen zurückzuhalten.
Luke
Als meine Mutter mich angerufen und mir mitgeteilt hat, dass Layla wieder wach sei, war ich erleichtert. Eine halbe Stunde später rief sie mich erneut an und sagte mir, dass sie ihr Gedächtnis verloren habe. Ich konnte nicht sprechen, so tief saß der Schock. Für ein paar Minuten konnte ich nicht mir ihr reden. Aber als sie mir sagte, dass Chris im Krankenhaus gewesen sei, Layla sich wunderte, was er dort zu suchen habe, und er daraufhin fluchtartig das Krankenhaus verlassen habe, kam ich wieder zu mir. Chris hat mir als Freund in den letzten Jahren sehr oft beigestanden, also ist es jetzt meine Pflicht, ihm beizustehen. Und ich denke, ich weiß genau, wo ich ihn finde.
Nach Schulschluss setze ich mich in meinen Wagen und fahre los. Wenn er mal allein über alles nachdenken will oder es darum geht, eine wichtige Entscheidung zu treffen, geht er an diesen Ort. Das letzte Mal, als er hier war, ist schon ein paar Jahre her. Damals konnte er sich nicht entscheiden, ob er Betriebswirtschaft oder Sport studieren sollte. Er entschied sich für das Erste.
Wie erwartet sitzt Chris auf einer Bank am Hafen und starrt auf das Meer hinaus. Ich setze mich neben ihn, lege meine Hand auf seine Schulter und drücke sie, um ihm zu zeigen, dass ich mit ihm fühle. Er befindet sich in einer Scheißsituation. Erst die Annullierung und nun ist auch noch Laylas Erinnerung an ihn wie wegradiert.
„Chris, ich weiß nicht, was ich sagen soll.“
Er lehnt sich nach vorn und stützt die Ellbogen auf den Knien ab. Mit den Händen bedeckt er sein Gesicht und schluchzt. Noch nie habe ich ihn weinen sehen. Noch nicht mal, nachdem Pam, seine Highschoolliebe, ihn verlassen hat. Dass er nun Emotionen zeigt, sagt mir, dass er Layla wirklich lieben muss. Nie im Leben hätte ich mir vorstellen können, mal mitansehen zu müssen, wie er wegen der Liebe leidet. „Du liebst sie.“
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