Ich beschloss, die Bedingungen etwas zu verschärfen, indem ich mir vornahm, 50 verschiedene Begriffe aus der Science Fiction in meine 100 Wörter zu stopfen.
Nur um zu sehen, ob es sich machen ließ, nehme ich an.
Ich wählte den Titel »Skiffygram«. Der Ausdruck »skiffy« ist die buchstabengetreue Aussprache von »sci-fi«, wie mir Alfred Bester damals erklärte.
Ein Drabble ist so kurz, dass ich meinen Beitrag hier in voller Länge wiedergebe:
Immortal telepathic zombie time travellers from a nonAristotelian parallel universe, Atlantean hive minds, and invisible levitating psionic robots traversed hyperspace to attack mutants, mad scientists, humanoids, Martians, computers, clones, Dianeticians, and asteroid miners on an overpopulated utopian space colony terraforming Jupiter. Starfleet Captain Smith grokked the symbiotic alien invaders with his tachyon sensitized holographic video implant, emerged from hypnosleep, downed food pills, donned ion-driven antigrav waldoes, blasted off, and fired his atomic powered Venusian laser. Antimatter quantum effects inverted the beam! “It’s a disaster story,” his translation unit croaked as his subatomic particles dispersed on the solar wind.[1]
Anmerkung für Pedanten: ›nonAristotelian‹ zählt als ein Wort, ›ion-driven‹ zählt als zwei Wörter, und ›it’s‹ zählt als ein Wort.
[1]Unsterbliche telepathische Zombie-Zeitreisende aus einem nicht aristotelischen Paralleluniversum, androide Kollektivintelligenzen von Atlantis und unsichtbare levitierende psionische Roboter durchquerten den Hyperraum, um Mutanten, verrückte Wissenschaftler, Humanoide, Marsianer, Computer, Klone, Scientologen und Asteroidenbergleute auf einer überbevölkerten utopischen, mit dem Terraforming von Jupiter befassten Raumkolonie anzugreifen. Dank seiner umfassenden Intuition bemerkte Smith, Kapitän der Sternenflotte, die symbiotischen Alien-Invasoren mit seinem tachyon-empfindlichen holografischen Videoimplantat, erwachte vom Hypnoschlaf, schluckte Nahrungspillen, legte ionengetriebene Antigrav-Telemanipulatoren an, düste los und feuerte seinen atomar betriebenen venusianischen Laser ab. Antimaterie-Quanteneffekte invertierten den Strahl! »Eine Katastrophengeschichte«, krächzte seine Übersetzungseinheit, als der Sonnenwind seine subatomaren Partikel verwehte. (Anm. d. Ü.)
Abb. 1. Beccon Publications, 1988.
Metafiktion
Nachdem ich mein Drabble an Meades und Wake in England abgeschickt hatte, kam ich dazu, es mit kritischem Blick anzusehen. Einige seiner 50 Begriffe schienen ein bisschen marginal zu sein. Asteroidenbergleute zum Beispiel kommen in nicht gar so vielen Science-Fiction-Erzählungen vor. Andere Begriffe gehören mehr in die Wissenschaft als in die Science Fiction: beispielsweise der Sonnenwind. Und wenn ich ein paar Planetennamen anführte – zählen sie wirklich zu den Science-Fiction-Begriffen?
Diese Überlegungen brachten mich auf die Frage, wie viele wahrhaft elementar wichtige Begriffe in der Science Fiction existieren – also Ideen, die in zahlreichen Büchern vorkommen und derart verbreitet sind, dass sie jetzt zum Standardfundus gehören, auf den alle Autoren des Genres zugreifen. Ich tat mich in der Encyclopedia of Science Fiction um, die eine Liste von »Themen« enthält, doch sie war nur begrenzt hilfreich, da sie äußerliche Erscheinungsformen der Science Fiction (etwa Anime) wie auch inhaltliche Konzepte einschloss.
Am Ende beschloss ich, mich auf mein Gedächtnis in Kombination mit den Romanen in meinen Regalen zu verlassen. So kam ich zu einer Liste von 43 Begriffen, die ich als hinreichend wichtig ansah – wie zum Beispiel Aliens, Telepathie, Antischwerkraft und Unsterblichkeit.
Als ich nun meine Liste zusammenhatte, stellte sich die Frage, was damit anzufangen sei. Nun gut, statt einer Erzählung von 100 Wörtern könnte ich einen Roman schreiben, der all diese Begriffe enthielte. Das wäre viel herausfordernder, weil es einen Plot benötigte, in dem die Begriffe koexistieren könnten.
Warum würde ich das tun wollen?
Weil mich Metafiktion seit jeher fasziniert hat. Im wörtlichen Sinn bedeutet der Begriff »über die Fiktion hinaus«, wie Metaphysik »über die Physik hinaus«. Metafiktion regt den Leser an, aus dem Erzählten heraus sich zu erheben, um es von oben zu betrachten, einschließlich der Struktur, des Kontextes und des Prozesses, durch den es zustande kam.
Eine von Google gefundene Definition ist da strenger, deshalb gebe ich sie hier wieder: »Fiktion, in der der Autor bewusst das Artifizielle oder Literaturhafte eines Werks deutlich macht, etwa durch Parodieren oder Abweichen von literarischen Konventionen (speziell Realismus) und traditionellen erzählerischen Verfahren.«
Die Romane, mit denen ich in den 1950ern und ’60ern groß geworden bin, taten das nie. Wenn ein Autor ein neues Buch plante, begann er (oder – damals nur sehr gelegentlich – sie) vielleicht mit Notizen zu Figuren und Plot und sah sich vielleicht an, wie eine Idee schon früher benutzt worden war. Doch wenn der Autor dann wirklich mit dem Schreiben anfing, erzählte er schlicht eine Story, und der Entstehungsprozess blieb verborgen.
William Gibson sagte mir einmal, dass Fiktion wie ein farbenprächtiger chinesischer Drache auf einem Straßenfest sei. Die Kinder in der Menge werden durch die sich windende und dahinwogende Gestalt des Drachen belustigt, der lebendig zu sein scheint. Doch darunter stecken eine Menge verschwitzter Kerle, die Stangen und Hebel bewegen, um den Effekt zustande zu bringen. Die Arbeit des Autors bestehe darin, einer dieser Kerle zu sein und den Leser zu beeindrucken, dabei zugleich den Arbeitsvorgang zu verbergen.
Gibson hatte natürlich recht; doch für mich ist die Weise, in der der Drache in Bewegung gebracht wird, mindestens ebenso interessant wie seine Außenwirkung. Ich finde den Arbeitsvorgang ebenso interessant wie das Produkt, weshalb ich auch am »Drabble Project« interessiert war, wie auch daran, es weiterzutreiben. (Ein Drabble ist wohl insofern eine simple Form von Metafiktion, als dem Leser von Anfang an klargemacht wird, dass der Form die äußerliche Grenze von 100 Wörtern aufgezwungen ist. Das ist ja der springende Punkt.)
In der zweiten Hälfte der 1960er war das Science-Fiction-Magazin NEW WORLDS voll von Experimenten zu erzählerischen Verfahren. John Sladek, J. G. Ballard, Brian Aldiss, D. M. Thomas und viele andere schrieben Metafiktion.
Ballard verfasste, was er »kondensierte Romane« nannte, in denen er auf all die Charakteristika gewohnter Erzählweise verzichtete und das Werk lediglich als Folge von Szenen präsentierte, wie Fotografien. D. M. Thomas schrieb ein Gedicht, das sich in zwei Dimensionen entwickelt, wie ein Kreuzworträtsel. John Sladek schrieb eine Erzählung, die aus isolierten Sätzen besteht, die in Tausenden verschiedenen Anordnungen gelesen werden können. Nur drei von vielen Experimenten.
Manche Leser fanden solche Sachen unbefriedigend oder gar anstrengend. Theoriebasierte Fingerübungen wollten sie nicht lesen. Sie wollten eine unkomplizierte Geschichte, die ihnen eine von Zweifel unbehelligte Lektüre ermöglichte. Ich kann ihre Einstellung gut verstehen, denn einige meiner Lieblingsromane sind sehr konventionell geschrieben. Doch reizte mich eben auch das Spiel mit den Verfahren des Schreibens – und ich dachte mir, es sollte möglich sein, beides zu tun. Warum also nicht Metafiktion, die zugleich eine gute, lesbare Story ist?
Das Erzählverfahren ausloten
Mein erster Roman, Garbage World, war kein ambitioniertes Buch, doch es mischte die traditionelle Erzählweise insofern mit etwas bewusster Selbstbeobachtung, als es humorvolle Anspielungen auf Traditionen der Science Fiction und zwanghaft Bücher sammelnde Fans brachte.
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