1 ...6 7 8 10 11 12 ...20 Solcherlei Rücksicht nahm eine Gruppe junger Männer aus dem Kreis um General Mast, die plötzlich auftauchte und die Villa umstellte, nicht. Mit vorgehaltenen Maschinenpistolen verstellten sie Admiral und General den Weg.
»Was soll das heißen?« fuhr sie Juin an. »Sind wir nun Gefangene?«
»Es sieht so aus«, erwiderte Murphy trocken.
Kurze Zeit später nahmen die Wirren der Nacht eine weitere überraschende Wende: Mitglieder der Mobilgarde, einer Einheit der Polizei, erschienen, nahmen die Rebellen fest und befreiten ihre prominenten Landsleute, auf die es in dieser Stunde ankam. Als sich die verspäteten US-Fahrzeugkolonnen endlich Algier näherten, entschloß sich Darlan, den Franzosen Befehl zur Feuereinstellung zu geben. Die Amerikaner zählten 700 Gefallene, sie hatten bis jetzt 29 Schiffe verloren, darunter 3 Zerstörer und 7 Transporter, aber »dem Waffenstillstand in Algier war die Partnerschaft der französischen Streitkräfte in Nordafrika mit den Alliierten gefolgt«, stellte Raymond Cartier fest. »Giraud, der schriftlich sein Wort gegeben hatte, der Deutschlandpolitik Pétains kein Hindernis in den Weg zu legen, hatte am 13. November den Oberbefehl übernommen und den französischen Truppen Order erteilt, den Vorstoß der Alliierten nach Tunesien zu decken. Juin, der unterzeichnet hatte, was früher beim Militär ein ›Revers‹ genannt wurde, hatte sich unter Girauds Kommando gestellt und bis dahin unschlüssige Generale wie Mendigal und Koeltz mitgezogen. Darlan war mit Feuer in seine Rolle eines Rächers des Vaterlandes geschlüpft, wobei übrigens die Deutschen – nach dem Zeugnis von Goebbels’ Tagebuch – sein geheimes Einverständnis mit Pétain voraussetzten.«
Die Gaullisten, die eigentlichen Rebellen von Vichy, standen vergrämt noch immer im Abseits. Ihre Zeitungen schlugen einen harten antiamerikanischen Ton an. In »La Marseillaise« hieß es wörtlich: »Die Tatsache, daß unsere amerikanischen Verbündeten Gebiete besetzen, die uns so viel Blut gekostet haben, trifft unser Land viel mehr als die Besetzung einiger unserer Départements durch die Nazis, denn es trifft unsere Ehre.«
Ein leidenschaftlicher Anhänger de Gaulles beendete auch Darlans Auftreten als Freiheitskämpfer. Er verschaffte sich am Weihnachtsmorgen Zutritt zu dem Haus des Admirals und erschoß ihn. Er wurde dafür zum Tode verurteilt. Die halbe Welt bat um Gnade für den Attentäter. Vergeblich. Zwei Tage später wurde das Urteil – unangekündigt – vollstreckt. Die Hintergründe konnten niemals genau geklärt werden.
Jene Männer, die nun ihre Haltung änderten oder sich früherer Bindungen entledigten, hatten dafür sehr überzeugende Gründe, doch mußte man zugeben, daß sie Hitler keine schlechten Vorwände lieferten, sich durch entsprechende Maßnahmen vor weiterem Schaden zu schützen.
Pétain wurde von seiner Umgebung bestürmt, mit einem bereitstehenden Flugzeug nach Nordafrika zu flüchten und sich den Putschisten anzuschließen. Er lehnte ab, obwohl ihn Roosevelts Botschafter erst verständigt hatte, als die »Operation Torch« schon gelaufen war.
Wenige Stunden später erklärte der deutsche Botschafter dem Marschall, daß der Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu den USA nicht als ausreichende Antwort angesehen würde: Deutschland verlange die Kriegserklärung. Nunmehr ging es Schlag auf Schlag: Die französischen Truppen wurden entwaffnet, der bisher unbesetzte Teil Frankreichs besetzt. Gleichzeitig wurde Frankreich aufgefordert, Tunesien den deutsch-italienischen Streitkräften zu öffnen.
Inzwischen hatten die Alliierten die tunesische Grenze bereits erreicht und überschritten; bis zur Hauptstadt hatten sie nur noch 25 Kilometer vor sich. Der Generalresident Jean-Pierre Estéva wurde von zwei Seiten in die Zange genommen. Der bärtige Admiral war ein strenggläubiger Katholik, der täglich die 6-Uhr-Messe besuchte; es ging ihm der Ruf großer Rechtschaffenheit voraus, und niemand, der seine Sittenstrenge hinter seinem Rücken belächelte, wagte ihn für einen schlechten Franzosen zu halten. Estéva weigerte sich, von Pétain abzufallen und sich Darlan zu unterstellen.
»Die entnervenden Umstände, unter denen man auf französischer Seite handeln mußte, überforderten seinen schlichten Verstand«, urteilte Raymond Cartier. »Er weigerte sich, Darlan zu gehorchen, in dem er einen in die Politik verstrickten Militär sah, und vermochte hinter Pétains unwilligen Protesten gegen die Vergewaltigung Nordafrikas nicht dessen heimliche Zustimmung zu erkennen. Da er Befehl hatte, Tunesien den Achsenmächten zu öffnen, tat er es auch. Tunis wurde besetzt. Bizerta kapitulierte, und die deutsch-italienischen Streitkräfte hätten sich noch schneller des Landes bemächtigt, wenn nicht General Barré eine kleine Streitmacht aus Chausseurs d’Afrique und Mobilgarden zusammengestellt hätte, um mit ihr bei Medjez-el-Bab an der Straße nach Algerien Widerstand zu leisten.«
Inzwischen hatten deutsche Truppen die Grenze zum unbesetzten Frankreich überschritten und in den Kasernen die Vichy-Truppen entwaffnet. SS-Einheiten näherten sich dem Hafen von Toulon, wo die französische Kriegsflotte lag. Von Nordafrika aus gab Darlan den Befehl, die Schiffe zu versenken; er wurde befolgt.
Über den staubigen E-Hafen in Süditalien schallen Pfiffe. Alarm, der dritte schon in vier Tagen. So lange sind die Fallschirmjäger des Regiments 5 nicht aus der Sprungkombination, dem Knochensack, gekommen. So lange warten sie darauf, endlich das Nest, in dem sie sich aus Langeweile mit Marsala die Füße waschen, verlassen zu können.
»Ob es diesmal Ernst ist?« fragt Oberjäger Staller den jungen Leutnant Molitor.
»Was weiß ich«, knurrt der Offizier. »Lieber hol’ ich mir im heißen Afrika einen kalten Arsch, als daß ich mir hier noch länger Plattfüße in den Leib stehe –«
»Ich glaube, da unten ist nicht viel mehr zu erben«, unkt Oberjäger Stallerweise, »als Malaria, Heldentod oder Gefangenschaft.«
Leutnant Molitor tippt sich an die Stirn und klettert in die Maschine.
Ihre Schnauze steht nach Süden – nach Nordafrika, wo Nicole lebt. Aber an die Schwester will er nicht denken. Am besten ist es überhaupt, vor dem Einsatz abzuschalten.
Der gebürtige Straßburger wurde zwangsweise zur deutschen Wehrmacht eingezogen. Später meldete sich Peter Molitor freiwillig zu dieser Einheit. Wenn er schon Krieg spielen mußte, dann wollte er wenigstens bei einem interessanten Sauhaufen sein und nicht bei einem langweiligen Verein.
Deutsch ist Molitors Muttersprache, obwohl er in der Schule Französisch lernte. Sein Großvater hat im Siebziger Krieg gegen die Deutschen gekämpft, sein Vater im Ersten Weltkrieg für Kaiser Wilhelm. Sein Schwager ist im Kampf gegen Hitler gefallen, und er, der Beutedeutsche, trägt heute im Knochensack seine Haut zu Markte, ohne dabei zu überlegen, für wen.
Er klettert in den dicken Bauch der Ju, hängt den Karabinerhaken ein.
Daß da unten in Nordafrika die Hölle los ist, wissen die Grünen Teufel, trotz der optimistischen Sprachregelung der Wehrmachtsberichte, die die alliierte Landung wie einen Sieg feiern – dabei kam die »Operation Torch« zum denkbar ungelegensten Zeitpunkt: Alle deutschen Kriegsanstrengungen sind zwangsläufig auf Rußland fixiert. Was man jetzt an Truppen nach Afrika abgeben muß, wird der Ostfront abgehen.
Feldmarschall Kesselring, der Oberbefehlshaber Süd, erbittet und erhält Handlungsfreiheit für seine Gegenmaßnahmen. Als erste Einheiten landen Staffeln des Jagdgeschwaders 53, einer Stuka- und einer Transportgruppe, in Tunesien und nehmen überfallartig den Flugplatz Al Aqueila in Besitz. Bei der ersten Kompanie des Fallschirmjägerregiments 5, unter Hauptmann Sauer, die mit Ju 52 und »Giganten« eingeflogen werden, um Stadt und Hafen von Tunis zu sichern, ist auch der Zug des Leutnants Molitor.
Читать дальше