„Es ist egal, wer das gemalt hat. Es ist völlig egal, weil es dich anmacht, dass du jemanden inspiriert hast, du bist zu einem Ding geworden, kondensiert durch den Blick eines Anderen. Du hast Lust, über diese Version deiner selbst abzuspritzen, darüber zu kommen. Es hat nichts damit zu tun, ob ich es bin, oder du es bist, der auf dem Bild zu sehen ist, es ist die Art wie es gemacht ist. Schamlos und ungehemmt und anstößig. Das bist du – innerlich. Endlich hat dich jemand erkannt.“
Er greift nach hinten, sieht mich nicht an, berührt mich jedoch, begrapscht mich. Nicht plump, sondern fordernd, als hätte er so etwas schon einmal gemacht.
„Tu es auch! Ich will deinen Saft auf meinem Saft sehen. Auf diesem beschissenen Bild. Tun wir es verflucht nochmal … pack zu, ja, ja, ja, verdammt, JA!“
Er brüllt und kommt völlig orgiastisch über meine Hand, über das gesamte Bild. Sein Körper zittert, er seufzt tief, während ich den letzten Rest aus ihm herausknete. Am Betonboden ein wenig Sperma – ich lächle, er sieht verlegen aus, lässt mich los, als hätte er Angst davor, sich bei mir revanchieren zu müssen. Ich schüttle den Kopf. Es macht mir nichts aus, aber ich möchte, dass er mich ansieht. Ich lasse ihn los, lecke an seinem Saft, inhaliere den Duft seines Schwanzes an meiner Handfläche. Er sieht, wie scharf mich der Geruch und der Geschmack machen. Ich umfasse meinen eigenen Penis, benutze sein Sperma für meine eigenen Zwecke, spüre meine Ringe, die rauen Farbkleckse an meinen Fingern, genieße es, ihn mir zusehen zu sehen, wie er sich am Blick meiner Selbstbearbeitung ergötzt, was letztendlich meinen Samenerguss über das Bild provoziert. Sein Blick auf meinen Schwanz.
„Das war …“
Die Kontrolle über sich selbst kommt allmählich zurück, während er nach Worten sucht. Er zieht sich an, sieht jetzt fast vernünftig aus. Er lächelt. Ich trockne mich mit meinem T-Shirt ab, öffne den Kapuzenpulli und sage:
„Ja, das war es.“
Er senkt den Blick zu den Leinwänden.
„Glaubst du, man sieht das auf der Vorderseite?“
„Keine Ahnung. Ist das nicht egal?“
„Die liegen bei rund 50.000 bis 60.000 Kronen …“
„Scheiß drauf.“
„Du? Es wäre mir recht, wenn das hier diesen Raum nie verlassen würde.“
Das verspreche ich selbstverständlich. Man muss Vertrauen schaffen. Das ist eine der Hauptregeln in der Kunst. Man muss Vertrauen haben, am meisten in sich selbst. Man muss dieses Selbstvertrauen herausfordern, um alles geben zu können. Es geht jedoch auch darum, den Mut zu haben, alles wieder zu zerstören, wenn es darauf ankommt – das sage ich natürlich nicht.
„Wem zur Hölle sollte ich das auch erzählen?“
Er sieht ein wenig verloren aus. Vielleicht ist er gerade dabei auszunüchtern. Scheiße. Die Zeit läuft uns fort. Mir fehlt noch etwas, bevor ich ihn verlassen kann.
„Da geht es mir genau so. Ich kann ja auch nicht wissen, mit wem du dich so unterhältst. Du könntest ja ebenso gut die Geschichte von dem Typen erzählen, der total heiß darauf war, es dir in einem Hinterhof zu besorgen. Können wir einen Pakt schließen? Koste die Markierung, die wir hinterlassen haben. Nur ein bisschen davon. Ich möchte dich deinen Finger darin eintauchen sehen. Schlucke es.“
Er tut es. Ein wenig uninteressiert setzt er seinen Daumen in das Weiße auf den Farben. Es leuchtet auf. Er vermischt unsere Samen und saugt es von seinem Finger – als wäre es nichts – als wäre es geschmolzenes Eis. Langsam. Als würde es ihm gefallen. Es sieht verdammt schön aus. Ich fühle mich, als hätte ich etwas erschaffen, das alles verändert.
„Reicht das? Ich muss jetzt wirklich gehen.“
„Ja, das ist in Ordnung. Danke. Ich bleibe noch ein bisschen – räume hinter uns auf. Genehmige mir noch ein Bier, wenn ich schon da bin. Dann muss ich nach Vesterbro. Vielleicht bis bald?“
Er nickt und verschwindet hinaus in den dunklen Hinterhof. Ich bin entspannt und doch zugleich euphorisch – fast schwebend, obwohl das Adrenalin dabei ist, mir durch die Poren zu entrinnen. Ich höre ihn ein Fahrrad umstoßen und darüber fluchen. Stille macht sich breit.
Ich stoppe die Kamera im Regal, öffne die Tür zu den Assistenten. Es wird etwa sieben Minuten dauern bis er es aus dem Hinterhof schafft, um den Häuserblock geht und die Galerie auf der Vorderseite erreicht. Die Bilder werden hinausgetragen. Du verbleibst hängend. Neugierde.
„Es hat geklungen, als wäre es gut gewesen. Mit wem bist du hier gelandet?“
„Ich gebe dir nur das hier. Das ist etwas zwischen mir und ihm. Ganz gleich, wie sehr zur Schau gestellt er sich fühlen wird. Niemand wird ihn wiedererkennen, aber man wird alles sehen. So wie ich ihn gesehen habe. Seine Finger, seine Lippen. Ihn – wie er daran leckt. Er wird es in Worten sehen. Es ist das erste Mal, dass ich mit Schwarzlicht arbeite.“
„Make a deal with God. Get him to swallow.“
Ich singe die Worte. Das Bild leuchtet über denen, die bereits in der Galerie angekommen sind, ich kann Jubel hören, während die Assistenten die Leinwände aufhängen – eine Performance.
Ich sage:
„Ja, es ist schön geworden. Fangt schon mal an, die Sonderausstellung zu eröffnen. Ich werde im Atelier schnell einen Loop für den Projektor zusammenschneiden – ich schick dir dann den Link. Ich hätte schon lange auf Visuals umsteigen sollen. Das wird die geilste Show. Tut mir richtig leid, dass ich nicht dabei sein kann. Haben wir eigentlich genug Wein?“
Die Fotografin
von Marianne Sophia Wise
Eines späten Märzabends. Es hatte den ganzen Tag über geregnet und graue, matschige Schneereste trieben über den Gehsteig. Sie wohnte in einer Eigentumswohnung einer Wohnanlage in Vesterbro, einem Stadtteil Kopenhagens. Gerade war sie dabei, den Schlüssel ins Schloss der Haustür zu stecken, als sie eine Gestalt bemerkte, die auf der Stufe direkt vor ihr saß. Es war ein Mann, beinahe unsichtbar in seinem schwarzen Mantel und einem Schal, der sein Gesicht verdeckte. Er sah zu ihr auf, der Schal rutschte nach unten und ein bleiches Gesicht mit einer kleinen, blutenden Wunde auf der Stirn kam zum Vorschein.
„Darf ich kurz vorbei?“, fragte sie. Ihre Blicke trafen sich, aggressionslos, er saß einfach nur da, bleich und blutig. Sie musste wohl gestarrt haben, denn er murmelte etwas von ein paar besoffenen Typen, die ihn ins Gebüsch gestoßen hatten. Er senkte seinen Blick, rückte an den äußersten Rand der Treppe und schlang die Arme um seinen Körper.
Sie schloss auf und trat ein. Das Geräusch der zufallenden Tür ließ sie innehalten. Es war ein langer und anstrengender Tag im Büro gewesen und eigentlich hätte sie erschöpft sein sollen, doch der Anblick des Mannes auf der Treppe draußen füllte sie mit Energie. Dieses Gesicht. Sie musste es haben. Es könnte die Perle der Ausstellung werden, die Hauptattraktion. Sie drehte sich um und linste durch die Fensterscheibe der Eingangstür. Er saß noch immer da. Ein Gefühl der Anspannung überkam sie. Sie machte auf. „Möchtest du etwas zu essen und eine Tasse Kaffee?“
Ein Ausdruck der Verwunderung lief über sein Gesicht, dann nickte er, kam auf die Beine und folgte ihr mit steifen Gliedern die Treppen hinauf.
Als er über die Schwelle der großen Dachgeschoßwohnung trat, gab er ein kurzes Pfeifen von sich. Sie lächelte ein wenig – diese Reaktion war sie gewohnt, wenn Gäste ihre Wohnung zum ersten Mal sahen.
Der Mann blieb bei der Wohnungstür stehen, sah sich um. Sie schaltete eine Wandlampe ein, weißes Licht fiel auf ihn nieder und machte seine dick eingehüllten Umrisse deutlicher und voluminöser. Seine Hände lugten aus den Mantelärmeln. Groß und fremd. Seine Kleidung war schäbig. Und stand er nicht sogar etwas unsicher auf den Beinen? War er krank? Oder drogenabhängig?! Erst jetzt überkam sie ein Gefühl der Angst. Sie war nahe daran zu bereuen, dass sie ihn nach oben gebeten hatte.
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