Denise Peikert
Was sie antreibt, wer sie umtreibt
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© 2020 Kommunal- und Schul-Verlag GmbH & Co. KG · Wiesbaden
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Umschlag: Guido Klütsch
ISBN 978-3-8293-1489-3
eISBN 978-3-8293-1630-9
Zu Beginn – ein Vorwort
Hinweis
Detlef Ebert , Löcknitz
Plötzlich Speckgürtel
Henriette Reker , Köln
Die Eskalation ganz normaler Leute
Am Rande I – Keiner will’s machen
Claus Ruhe Madsen , Rostock
Nee, komm!
Thorsten Krüger , Geestland
Cola Zero Schulden
Susanna Tausendfreund , Pullach
Grüner wird’s wirklich nicht
Am Rande II – Ministerpräsident, wie war’s im Rathaus?
Marion Prange , Ostritz
Die kommen, die Nazis
Am Rande III – Das fehlt: Frauen
Ashok Sridharan , Bonn
Wie Davos, nur ganzjährig
Daniel Schultheiß , Ilmenau
Das Ende der Wurstigkeit
Am Rande IV – Erst, wenn’s weh tut
Thomas Herker , Pfaffenhofen
Nun holt’s halt zu Fuß die Semmeln
Karola Voß , Ahaus
iKleinstadt
Dank
Das Handeln von Menschen hat Ursachen oder es verfolgt Ziele, meistens jedenfalls. Wir essen, weil wir Hunger haben, und wir ziehen eine dicke Jacke an, damit wir nicht frieren. Gelegentlich tun wir auch etwas „nur so“, aber selten. Warum oder wozu aber schlagen sich erwachsene, vernünftig denkende Zeitgenossen Abende in Gemeinderatssitzungen um die Ohren, um sich wie der Bürgermeister von Löcknitz den Vorwurf anzuhören, die von der Stadt gerade erst gepflanzten Bäume seien kahl? Warum sind sie am Wochenende nicht bei ihren Familien oder Freunden, sondern diskutieren auf Bezirksparteitagen endlos im Kreis oder eröffnen das x-te Volksfest, natürlich immer bestens vorbereitet und glänzend aufgelegt? Warum sitzen sie am Wochenende nicht „draußen in der Sonne“, wie es sich der inzwischen pensionierte Bürgermeister von Neulewin jahrelang erträumte, sondern im Feuerwehrgerätehaus, wo sie sich die immer gleichen Grußworte anhören und verdiente Mitglieder ehren? Warum erträgt es eine Bürgermeisterin in Brandenburg, nachts um halb zwei von einem wütenden Mitbürger angerufen zu werden, der nicht schlafen kann, weil irgendwo ein Hund bellt? Weil es Ruhm oder Geld verspricht oder wenigstens die Eitelkeit befriedigt?
Fragen, denen Denise Peikert in diesem Buch nachgeht. Sie hat mit Bürgermeistern und Oberbürgermeisterinnen gesprochen. Sie spürt der verborgenen Kraft nach, die sie antreibt. Die muss es geben, denn niemand wird zur Kommunalpolitik gezwungen oder als Stadtdirektorin geboren. Glamour als Triebfeder scheidet aus, denn der Bürgermeisterposten einer 3.000-Einwohner-Gemeinde bringt den Amtsinhaber selten ins Fernsehen, macht aber wie die Kunst viel Arbeit (frei nach Karl Valentin). Eine gewisse Popularität genießen Oberbürgermeister von Großstädten, aber auch die wird außerhalb der jeweiligen Gemarkungsgrenze stark überschätzt: Die Kenntnis der Namen der Rathauschefs von Dresden, Stuttgart, Frankfurt am Main und Düsseldorf dürfte in einer Fernseh-Quizsendung jedenfalls für eine fünfstellige Gewinnsumme reichen. Und dass selbst lokale Berühmtheit nicht immer glanzvoll ist, illustriert der Baudezernent einer hessischen Großstadt so: Er sitzt mit seiner Familie im Wirtshaus beim Essen, ist also erkennbar privat, da tritt ein Mitbürger an den Tisch, zieht einen Stuhl heran und sagt: „Herr Stadtrat, Sie haben doch sicher zehn Minuten Zeit für mich …“
Dabei ist das, wovon dieser Dezernent berichtet, zwar lästig, aber doch noch ein fast wertschätzendes Zugehen auf Lokalpolitiker. Was wir viel häufiger beobachten, ist das Gegenteil: Geringschätzung, Häme, Verächtlichmachung bis hin zu blankem Hass, ja bis zur Gewalt, wie die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker sie erlitten hat, und nicht nur sie. Im Sommer 2019 lud Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier 15 Bürgermeister ein, um mit ihnen über Bedrohungen, Anfeindungen und Gewalt zu sprechen, denen Kommunalpolitiker landauf, landab ausgesetzt sind.
Zwar klagte schon Thomas Jefferson über den Volkssport der Bürger, ihre Volksvertreter und Regierenden lächerlich zu machen, neu sind allerdings Maßlosigkeit und Vulgarität der Hetze. Man findet sie nicht nur in den sogenannten bildungsfernen Schichten, sondern auch in den angeblich besseren Kreisen. „Was die Bürgermeister vor allem umtreibt, ist die inzwischen ganz normale Eskalation ganz normaler Leute“, schreibt Denise Peikert. Dass jemand, dem eine Baugenehmigung versagt wurde, Nägel in die Einfahrt zum Privathaus des Bürgermeisters legt, ist zwar nicht an der Tagesordnung, es sind aber auch nicht mehr nur einzelne Durchgeknallte, die so oder so ähnlich reagieren. Es ist auch nicht das Prekariat, das Maß und Mitte verliert und vorübergehende, gerichtlich überprüfbare Pandemie-Vorsichtsregeln in einem Rechtsstaat mit dem Alltag in einer Diktatur gleichsetzt, es sind Hochschullehrer darunter. Und wer kennt nicht die großen und kleinen Wirtschaftskapitäne, die auf IHK-Empfängen abfällig äußern, sie würden den politischen Laden, diese Schwatzbude von Ahnungslosen, schon auf Vordermann bringen, wenn man sie nur ließe?
Aus welchen Denkfiguren speist sich der Affekt? Die einen meinen, Politik sei eine Art Theater, um das Volk bei Laune zu halten und es glauben zu machen, im Bundestag oder im Rathaus würden tatsächlich Entscheidungen getroffen. Wie naiv! In Wirklichkeit habe die Politik doch gar nichts mehr zu melden, die eigentliche Macht liege in den Händen von Lobbygruppen, von anonymen Märkten, der Globalisierung, des Finanzkapitals, der Amerikaner, der jüdischen Weltverschwörung. Die Reihe der finsteren Mächte ließe sich fast beliebig fortsetzen, die Begründungen sind auch Moden unterworfen.
Was kann man darauf antworten? Vermutlich nur, dass die Welt und die Politik scheußlich komplex sind, komplexer jedenfalls, als es sich die Vertreter der schlichten Handlanger-Theorie vorstellen. Außerdem gibt es in der Welt da draußen keine verborgenen, objektiv „richtigen“ Lösungen, die man nur erkennen und durchsetzen muss, was angeblich jeder Stammtischstratege oder Wutbürger kann, nur eben die bekanntlich unfähigen Politiker nicht. Schön wär’s, kann man nur sagen. Und ja, Lobbygruppen gibt es, sie haben auch Einfluss, aber das ist in offenen Gesellschaften nicht unmoralisch – zumal nicht nur die Automobilwirtschaft und die Energieerzeuger Einflussagenten haben, sondern auch Gewerkschaften, Umweltverbände und Naturschützer.
Ein anderer Topos lautet, in der Politik gehe es längst nicht mehr um „die Sache“ – wobei in der Regel offenbleibt, welche Sache gemeint ist –, sondern nur um Pöstchen und Wiederwahl. Ja, darum geht es auch. So wie in Sportvereinen, in Schulelternbeiräten und in Entwicklungshilfe-NGOs ebenfalls. Die Politik ist nämlich kein Philosophenhügel, auf dem nur die Kraft der Argumente zählt. In der Politik geht es um Interessen, um Einfluss, auch um Imponiergehabe. Kurzum: Es geht zu wie im richtigen Leben.
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