Roman
Saga
Zur Erinnerung an meine Mutter
Dies Buch gehört dir.
Damals, als du noch stark und glücklich warst, machten wir eines Tages, wie wir es in meiner Kindheit so oft taten, wenn die Dämmerung kam, eine „Wunschwanderung“ durch die Strassen der Stadt: in den Ladenfenstern suchten wir uns alles aus, was wir uns wünschten, wir teilten uns die Herrlichkeiten, die uns nicht gehörten, und stritten uns um sie. An diesem Tage blieben wir auch vor dem Buchladen stehen und du last alle Titel auf den Bänden und sagtest: „Wenn du nun einmal ein Buch schreibst, musst du meinen Namen darauf setzen.“
Und später, als du schon krank warst und wir so oft in den kümmerlichen Alleen des „Wäldchens“ spazieren gingen, — du brauchtest die späte Septembersonne, — nahmst du eines Tages meine Hand und sagtest mit deiner Stimme, die so voll Angst und Zärtlichkeit war: „Wenn ich nun tot bin und du, mein Junge, einmal ein Künstler geworden bist, willst du dann dafür sorgen, mir versprechen, dafür zu sorgen, dass sie — mich nicht ganz vergessen?“
Und du weintest, Mutter, weil du sterben musstest.
Deine Bitte habe ich nie vergessen.
Jetzt setze ich deinen Namen vor dieses Buch. Ich weiss, es ist deiner Liebe so wenig, wie deines Herzens oder deines Geistes würdig. Aber dies Buch ist in dem Erinnern an dich in mir entstanden, an dem Ort, wo du mich geboren. Dir war er bis zum Tode deine Heimat.
Kriegszeiten und eine fremde Macht verheerten bald diesen lichten Ort, wo dich, die in Freude und Sonne leben musste, Weichheit und Wärme umgab. Wie die Feinde über unser altes Heim, brach bald auch das Unglück über uns herein.
Und jetzt, wo du längst gestorben bist, setze ich deinen Namen vor dies Buch vom Unterliegen und von unserem verlorenen Heim.
Ich tue es jetzt, wo meine Jugend vorbei ist; und alles, was ich in zehn Jahren schrieb, schrieb, um zu leben, und schrieb, um zu schreiben, scheint mir oft so unendlich fern und doch so unendlich klar vor mir zu liegen.
Zwei Dinge streiten sich in all diesen Worten — und der Streit wird wohl niemals ganz enden —: mein altes Vätergeschlecht und du, die, neu und fremd, in dasselbe hineinkam. Du trugst seinen Namen mit begeisterter Hingabe. Du liebtest es, wie ich. Während eines Jahrhunderts hatte es Staatsmänner hervorgebracht, die das Land nicht vergessen wird, berühmte Ärzte, die für Generationen die grössten und volkstümlichsten im Norden waren.
Aber dann wurden die Söhne dieses Geschlechts Priester, weil sie zu schwach waren, Blut zu sehen, und untätige Müssiggänger, deren leere Hirne künstlich angefeuert werden mussten.
Du erzähltest mir oft von dem Ruhme unsers Geschlechts. Einer seiner grossen Ärzte hinterliess mir die Erzählung von all den Verirrungen und Krankheiten desselben: er wollte — zur Belehrung — seine Fäden in die Geschichte des Geschlechts hineinwinden.
Mein Geschlecht in mir schrieb wohl in meiner Jugend viel, sehr viel.
Aber auch du, Mutter, schriebst das Deinige.
Stella Höeg und Nina und Fräulein Agnes und Frau Katinka — das ist dein Blut. Diese Gestalten, das bist du, du allein. Sie sind Kinder deiner Freude und Kinder deines Leides. Sie haben dein Gesicht und deine Stimme. Sie lieben und leiden mit deinem Herzen. Sie gingen jung ins Grab, wie du, und aus dem gleichen Kummer.
Und sollten sie Lebenskraft haben — selbst nur für wenige Jahre — so wirst auch du so lange nicht vergessen werden.
Vor dieses Buch setze ich deinen Namen, als eine Erinnerung an die lichte Zeit und an ein Heim, das man hinter einer Tür flüchtig erschaut hat, die schnell geschlossen ward. Als der Unfriede über unser altes Haus kam, kam bald auch das Unglück und der Tod über uns.
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