„An mir fehlt’s net!“
„Und an den anderen darf’s ebensowenig fehlen! Schau, wen du rasch zusammenkriegst — aber nur ganz entschlossene, haarscharfe Kerle aus dem Bund — die Besten von den Besten . . .“
„I find’ sie schon!“
„. . . vor allem die Führer . . . möglichst sämtliche Führer . . . sag’ ihnen von mir: Die Sach’ steht auf Spitz’ und Knopf! Jede Minute ist kostbar. . .“
„Wann sollen wir abrucken?“
„Heute abend noch! . . . Mit dem Schnellzug nach Mannheim! Bestelle ausdrücklich: Es ist mein strengster Befehl! Ich selber komme morgen nach . . . auf anderem Weg. Ich bin steckbrieflich verfolgt. Ich kann die Bahn nicht benutzen!“
„Is scho’ recht!“
„Da habt ihr Geld . . .“
„Ui Jegerl — is das ein Batzen beieinand . . .“
„Schweizer Franken! Mit denen kommt ihr überall durch! In Mannheim wartet ihr auf mich. Auf dem Bahnhof wird euch schon einer empfangen — mit dem Kennwort! Dem vertraut ihr euch an! Der schmuggelt uns der Reihe nach hinüber in die Rheinpfalz!“
„Hat er g’nug falsche Pässe?“
„. . . oder ohne Pässe mit Kähnen über den Rhein . . . Nur keine Sorge . . .“
„Ah — da feit si nix!“
„Also — Hans: die Besten — nur die Besten . . .“
„Was nach ’was herschaut — vom Bund —, das geht mit! I klaub’ sie mir schon heraus — die Rechten!“
„Dein Ehrenwort, dass du niemandem sagst, wo du mich getroffen hast!“
„Mein Ehrenwort!“
„Also Handschlag, Hans!“
„Handschlag!“
Das Zimmer nebenan war leer. In der Küche drüben sassen unter der flackernden Gasflamme auf Holzschemeln der bleiche, junge Oberbayer und das Mädchen für alles. Der Gebirgler rückte seinen Stuhl gegen das Herdfeuer und wärmte sich, eine Zigarette unter dem dünnen, blonden Schnurrbärtchen, die in kurzen Lederhosen und Wadenstutzen steckenden, mageren Beine. Vom Wasserkessel her war ihm ein Tropfen auf das linke Knie gespritzt. Es entstand da sofort ein weisser, kleiner Fleck in der anscheinend naturbraunen Hautfärbung. Der Sepp klatschte sich mit den flachen Händen auf die blossen Stellen zwischen den Gamsledernen und den Wollstutzen.
„Ich friere an den Knien!“ sagte er auf französisch zu der brünetten kleinen Köchin. „Welch’ eine blödsinnige Volkstracht!“
„Ein Wunder, wie Sie die zu dieser Volkstracht gehörende Mundart beherrschen, Capitain!“ Das Münchener Kindl sprach auch französisch. Der französische Hauptmann lachte:
„Kein Wunder bei meiner Methode, Mademoiselle, eine fremde Sprache bei den Töchtern des fremden Landes zu lernen! Diese Kunst ist galant und praktisch zugleich! Ich habe sie schon vor dem grossen Krieg geübt! Ich liess mich nach München beurlauben, weil man mir sagte, dass in keiner Stadt Deutschlands die Mädchen zärtlicher seien als an der Isar. Nur unglücklicherweise — es waren keine Montmorency’s — keine Gräfinnen, die mir ihr Herz schenkten, sondern Kinder des Volkes, und so lernte ich die barbarische Mundart Bayerns. Nun kommt mir das zugut!“
Die beiden — der französische Hauptmann und die Agentin aus der Welsch-Schweiz — lachten wieder. Draussen schlug eine Tür. Er horchte auf:
„Da geht er weg!“
Durch einen Türspalt auf dem Flur lugte das bleiche, nervöse Geistergesicht der Schlaftänzerin mit grossen Schattenaugen und neckisch kurzen Bubisträhnen um die Ohren. Sie sah gerade noch Hans Mühlbergers junge Reckengestalt über den Gang stürmen, den Treppenabsatz hinab, hinaus auf die nachtdunkle Strasse.
Wenige Minuten später verliess auch der Oberbayer, nach flüsternder Zwiesprache mit dem Mann im Bett, das Haus in Schwabing. Der Mann im Bett war nun schon, mit einem Sprung ausserhalb des Bettes. Er stand in voller Kleidung. Er warf die Wattebäuschchen auf den Boden. Die Augen schmerzten ihn nicht mehr. Sie sahen, grau und kühl, ohne mit den Wimpern zu zucken, mitten in den Lichtquell des Donauweibchens hinein, liefen dann misstrauisch hin und her. Die Stirn darüber zog sich in grübelnde Falten. Er war schon mit seiner Überlegung zu Ende. Er ging mit langen, weich wiegenden, kaum hörbaren Schritten durch das Vorderzimmer in den Flur und an das Telephon. Er rief eine Nummer hinein. Dann, nach ein paar Minuten des Wartens mit einer Stimme, in der keine Spur von Heiserkeit mehr war:
„. . . Kann ich Herrn Privatgelehrten Splittgerber selber sprechen? . . . Oh — Sie sind es? . . . Guten Abend! . . . Hier ist William T. Mirander, vom European Associated Press Committee. — Sie entsinnen sich meiner? Danke! Sehr schmeichelhaft! Sie luden mich neulich einmal ein, Sie auf Ihrem Landsitz im Isartal zu besuchen und über Ihre pazifistischen Bestrebungen zu interviewen! Ich hätte nun eben bis morgen vormittag Zeit . . . Wie? Ja! . . . Die Strasse zu Ihnen ist ja, wie Sie sagten, für Autos gesperrt. Ich würde diesen kleinen Abendzug nehmen, der ja wohl bald geht! In ein paar Stunden bin ich da! Wie? Sie sind gern bereit, mit mir nür Englisch zu sprechen? Oh — es tut nicht not! Ich bin Amerikaner und auf amerikanischem Boden geboren — aber mein Vater war Skandinavier und meine Mutter eine Deutsche! . . . Bitte, unbekannterweise meine Empfehlungen an Mrs. Splittgerber! Wie? Sie ist nicht da? Sie hat heute in Berlin im Reichstag gesprochen? . . . O ja . . . Mrs. Splittgerber ist ja Abgeordnete. Ich vergass. Und ich darf trotzdem? . . . Thank you — wenn wir schon Englisch sprechen müssen . . . Good bye!“
Er wandte sich von dem Apparat ab. Neben ihm stand besorgt die quallige alte Dame mit dem schwarzen Schnurrbart und kratzte sich mit einer Stricknadel im Grauhaar. Er sagte, während er eine schon gepackte kleine Handtasche aus der Ecke holte, nachlässig:
„Ich muss diese Nacht wo anders zubringen, nachdem dieses grosse Kind hier hereingeschaut hat! Trotz seines biederen, deutschen Ehrenworts! Sicher ist sicher! . . . Sollte jemand nach mir fragen, so haben Sie niemals etwas von mir gehört!“
„Und Ihre Adresse . . .“
„Ich habe keine Adresse! Ich existiere überhaupt nicht. Ich bin Luft. Wie oft ich euch das noch sagen soll. . .“
Er schüttelte seufzend den Kopf, zuckte die Achseln, nahm Mantel und Hut und ging, die Tasche in der Hand. In dem heimlichen Hamsterlager im Vorderzimmer stand die alte Dame vor dem geöffneten Küchenschrank und ordnete kurzatmig in je Zwanzigpfund-Pakete zusammengeschnürte deutsche Papiergeldlasten für den Schmuggelverkehr im Rucksack über die Grenze, — Salvarsankästchen in festen Flugzeugpackungen zum Auswerfen über dem Ausland, — kirschgrosse, auf der Zollstation in der Backentasche zu verbergende Seidenbeutelchen mit losen Diamanten zur Kapitalflucht in die Schweiz. Sie glich, in ihrem mütterlichen Schalten, einer gewissenhaften Hausfrau, die ihr Leinen lüftet und ihr Eingemachtes prüft.
Die eine Zimmertür nach dem Flur hinaus war offen. Drinnen stand die Mademoiselle aus der Welsch-Schweiz in fleckiger Küchenschürze als Publikum für die Schlaftänzerin. Das bleiche, wirrhaarige Geschöpf probte seine neueste Nummer: Sie sass, in einem durchsichtigen Geisterhemd, mit geschlossenen Augen auf einem Stuhl und lächelte schlummernd, sehnsüchtig, in schwermütigen Träumen. Aber dazwischen zuckte es schmerzlich um ihre halboffenen Lippen, und sie bewegte sich unruhig mit wechselndem Mienenspiel. Denn sie fing sich im Schlaf einen Floh. Der Mann mit der Reisetasche kümmerte sich nicht um sie. Er betrat das Treppenhaus, sicherte, das Haustor aufdrückend, vorsichtig mit hinausgestecktem Kopf rechts und links in die dunkle Nacht und ging dann durch die menschenleere Gasse in der Richtung nach der Ludwigstrasse.
Dort hatte sich der Oberbayer schon eine Viertelstunde vorher auf den nächsten Strassenbahnwagen geschwungen und war in das Innere der Stadt gefahren. Auf dem Hauptpostamt gab er eine Depesche nach Mannheim auf. Der Beamte las: „Bestellte Ware eintrifft morgen früh. Sorgt für ordnungsmässigen Empfang!“ Er schaute auf. „Wird ’leicht net mehr rechtzeitig ankomme — dös Telegramm!“ sagte er. Der Gebirgler schob noch einen Stoss Banknoten hin. „Machen wir’s halt dringend!“ sprach er gleichmütig. Dem Mann am Schalter fiel das nicht weiter auf. „Die Rammel hab’n jetzt a Geld — die g’scheerten!“ meinte er zu seinem Sonntagnachmittag-Kollegen, während die Nagelschuhe die Treppe hinabscharrten. „Die verdienen vüll z’ vüll Geld — mit am Viehhandel ins b’setzte Gebiet!“
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