Hermann Schmidt - Fabian Boll - Das Herz von St. Pauli

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Fabian Boll ist für die Fans des FC St. Pauli seit einigen Jahren die Identifikationsfigur beim Hamburger Kultklub. Bereits 2002 begann seine Karriere bei St. Pauli, und bis heute blieb er einer der Leistungsträger seiner Mannschaft. Mit seinem bedingungslosen Einsatz auf und neben dem Platz ist er ein Aushängeschild des Klubs. Für Fabian Boll ist der FC St. Pauli seit seiner Jugend der Fußballklub, an den er sein Herz verloren hat. Vor seiner Karriere stand er schon als Fan zunächst in der Nordkurve und dann in der «Meckerecke» der Gegengeraden des legendären Millerntor-Stadions. Besonders spannend an seiner Person: Er ist der einzige Fußballprofi in Deutschland, der neben dem Fußball noch einer zweiten Arbeit nachgeht – halbtags arbeitet Fabian Boll als Kriminaloberkommissar in Hamburg. Hermann Schmidt legt in enger Abstimmung mit Fabian Boll eine sehr persönliche Biografie über einen der interessantesten und besten Spieler der letzten Jahre von St. Pauli vor.

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Ich ging schon damals regelmäßig zum Training an die Kollaustraße und beobachtete das Geschehen am Rande des Platzes. Fabian war immer einer der fleißigsten bei den Übungen und ging in den Trainingsspielchen stets voll zur Sache. Er war für mich einer der Spieler, auf den ich meine Hoffnungen für den FC St. Pauli und seinen Wiederaufstieg setzte. Wenn das Training zu Ende war und die Spieler vom Platz gingen, vergaß er nie, mich zu begrüßen. Immer fand er ein freundliches Wort. Zusammen mit Thomas Meggle, Florian Lechner, Marcel Eger, Bene Pliquett, Florian Bruns und Carsten Rothenbach gehörte Fabian Boll zu den Spielern, die anders waren als die meisten anderen Fußballprofis. Diese Gruppe von Spielern des FC St. Pauli vermittelte ihren Zuschauern und Fans das Gefühl, ein Teil des Vereins zu sein. Und das konnten sie wahrscheinlich vor allem deshalb, weil ihnen der FC St. Pauli selbst Heimat war.

Das Buch über Fabian Boll habe ich geschrieben, weil ich ihn bewundere und verehre. Er hat über viele Jahre sein ganzes Streben immer auf den Fußball ausgerichtet. In all den Jahren, in denen ich mich für Fußball interessiere, habe ich wohl keinen Spieler persönlich kennengelernt, der so diszipliniert alle anderen Interessen dem geliebten Fußballsport unterordnet. Und nebenbei zeichnen ihn Tugenden aus, die ihn zu einem ganz besonderen Menschen machen. Fabian Boll ist ein lebensfroher, positiv denkender und sehr humorvoller Mann, der seine Natürlichkeit im harten Profigeschäft nicht verloren hat, der herzerfrischend ehrlich und direkt ist und einer, auf den man sich verlassen kann. Nicht nur auf dem Platz.

Wie aus dem kleinen Fabian Boll einer der besten Fußballer in Norddeutschland wurde und wie er sich zu einem verantwortungsbewussten Menschen entwickelt hat, das möchte ich in diesem Buch beschreiben.

Hermann Schmidt

Kapitel 1

Gastspiel in Paderborn

Der Tag, an dem ich mich entschied, ein Buch über Fabian Boll zu schreiben, war ein Freitag, und dank des Bezahlsenders Sky ein Spieltag für den FC St. Pauli. Es war der 2. Dezember 2011. Morgens las ich die Sportseiten der Hamburger Tageszeitungen, um mich auf das Spiel in Paderborn vorzubereiten. Meinen Sohn Henning holte ich um 13:30 Uhr in Hamburg von der Schule ab, wir düsten durch den Tunnel und dann die A7 hinunter.

Ich war schon fast überall in Deutschland, um Fußballspiele zu besuchen. In Paderborn war ich allerdings noch nie. Von dieser Stadt wusste ich lediglich, dass es politisch und kirchlich rabenschwarz ist und dass Paddy Borger hier einmal ein saublödes Malheur passiert ist, wovon später noch die Rede sein wird. Das Mädchen aus unserem Dorf, von dem ich den ersten Kuss bekam, ist noch während der Grundschulzeit mit seinen Eltern in die Stadt der Katholiken gezogen und hatte dort den Beruf der Friseurin erlernt. Was aus der wohl geworden ist?

Bei der Vorbereitung auf meine Reise in die Fußballprovinz erfuhr ich im Internet: Paderborn konnte vor gut 1.000 Jahren von den im Reich marodierenden Ungarn nicht eingenommen werden, hatte kurze Zeit später über 300 Bierbrauer unter seinen Einwohnern und war nach der Reformation lange Zeit evangelisch. Dann haben es sich die Katholiken wieder unter den Nagel gerissen.

Wenn wir in Paderborn drei Punkte holen würden, könnten wir vielleicht wieder aufsteigen. Ich überlegte, ob ich Fabian Boll eine SMS schicken sollte, so wie wir es vor einigen Jahren immer praktizierten. Damals hatte ich mich mit meinen Ergebnistipps mehr als einmal als Prophet erwiesen. Irgendwann, als meine Siegprognosen nicht mehr stimmten, stellten wir das Ritual ein. Bei hundert Auswärtsspielen, die ich während dieser Zeit als Fan gesehen habe, durfte ich lediglich einen einzigen Sieg miterleben. Ich hätte Fabian Boll vor dem Spiel in Paderborn schreiben können, dass er heute noch mehr laufen und kämpfen müsse, als er das ohnehin schon tut, und dass er allen sagen soll, dass ich mal wieder auswärts dabei bin, nach langer Krankheit, die nun fast überwunden scheint. Dann würden sie wie die Löwen kämpfen, weil sie wüssten: Hermann ist da, es sieht heute schlecht aus für den FC St. Pauli. Wir müssen alles geben, um am Ende nicht wieder mit leeren Händen dazustehen. Aber ich unterließ es, mich bei Fabian zu melden. Ich wollte niemanden unnötig aufregen oder verunsichern. Dieser Aberglaube ist ohnehin völlig absurd.

Aber viele Fußballer sind abergläubisch, und ich selbst gehörte von Kindesbeinen an zu denjenigen, die bestimmte Rituale pflegten, um eine Niederlage zu vermeiden. Ich trug morgens vor den Spielen immer Klamotten, die ich an Spieltagen getragen hatte, an denen wir nicht verloren hatten. Als ich noch in Schüler- und Jugendmannschaften spielte, hörte ich mir samstags immer die gleichen Rundfunksendungen vor dem Spiel an. Ich hatte immer ein sauberes Taschentuch in der Turnhose und lief stets als letzter Spieler meiner Mannschaft ein. Ich dachte, das bringt Glück. Und zur Sicherheit betete ich jeden Freitagabend für einen Sieg meiner Mannschaft, für einen Sieg der ersten Mannschaft des SV Eckelshausen und für einen Sieg des 1. FC Köln.

Leider hatte ich mir unmittelbar vor der Auswärtsfahrt nach Paderborn auch noch eine Grippe mit einem saumäßigen Husten eingefangen, was die Auswärtsfahrt nicht gerade erträglicher machte. Auf der A2 wurde der Verkehr schließlich immer dichter, trotzdem standen wir um Schlag vier auf dem Parkplatz am Stadion. In der Ferne kam der Mannschaftsbus des FC St. Pauli an. Mir wurde ganz warm ums Herz: unsere Mannschaft! Ob die Spieler auch so aufgeregt waren wie ich? Ob Deniz Naki von Beginn an spielen würde? Ich hatte Fabian Boll kürzlich einmal gefragt, ob er sich nicht ein wenig um diesen kleinen Hitzkopf kümmern könne. Wahrscheinlich dachte Fabian Boll, dass ich ein bisschen „gaga“ bin und mich um Sachen kümmere, die mich einen feuchten Kehricht angingen.

Henning und ich aßen eine Currywurst, und statt eines ohnehin alkoholfreien Biers pfiff ich mir das Antibiotikum gegen die Grippe ein. Wegen der Idee mit dem Buch beschloss ich, Fabian Boll heute einmal ganz genau unter die Lupe zu nehmen. Und als ob der Mann, der beim FC St. Pauli die 17 trägt, das gewusst hätte: Dieses für den Verlauf des Weltfußballs eher unbedeutende Match in der westfälischen Provinz würde Fabian Boll nämlich zu einem seiner ganz großen Tage machen. Wir würden den besten Fabian Boll aller Zeiten zu sehen bekommen!

Die Mannschaftsaufstellung der Boys in Brown nahm ich erstaunt, ja ungläubig zur Kenntnis. Wieso ließ André Schubert Deniz Naki erneut auf der Bank? Trotz der schwachen Leistung einiger seiner Mannschaftskameraden im Spiel gegen Dynamo Dresden?! Beim Warmmachen sah ich schon, dass Deniz angefressen war. Wenn der Junge sauer war, spielte er den Clown, obwohl ihm wahrscheinlich eher zum Weinen als zum Lachen zumute war. Im Spiel mit seinen Kameraden gab er zunächst eine erstklassige Breakdance-Einlage. Ich ahnte, dass das den preußischen Fußballpuristen auf der Bank des FC St. Pauli nicht entgangen war und sie es nicht gut finden würden. Naki, der Mann, auf den ich alles gesetzt hatte, kasperte auch noch auf dem Platz herum, als alle anderen Spieler schon längst wieder in der Kabine verschwunden waren, um sich fürs Einlaufen bereit zu machen. Er war so, wie ich wahrscheinlich im Alter von 15 Jahren gewesen war.

Mir ging es nicht so gut. Ich fror, obwohl es nicht wirklich kalt war. In den ersten 25 Minuten des Aufstiegskampfs gegen den SC Paderborn entpuppten sich die Gastgeber als abgeklärtes Team, das einen kontrollierten Ball spielte, auf Torsicherung bedacht war und geschickt in wenigen unkomplizierten Zügen überfallartig sein Spiel in die gegnerische Hälfte verlagerte. Die Spieler des FC St. Pauli schoben, wie so oft, im Kurzpassspiel den Ball so lange hin und zurück, bis der Gegner ihn ergatterte, dann ging es ratzfatz in Richtung Tschauner. Erst nach einer knappen halben Stunde kamen wir besser ins Spiel. Die Paderborner waren uns bis zu diesem Zeitpunkt absolut überlegen gewesen. So kam zumindest ein wenig Hoffnung in unserer Kurve auf. Aber Dennis Daube und die meisten seiner Kollegen wirkten wie abwesend. Sie gingen nicht konsequent in die Zweikämpfe. Sebastian Schachten schien völlig überfordert, Saglik hatte eine einzige gute Szene in 45 Minuten. In der letzten Minute der ersten Halbzeit drosch Jan-Philipp Kalla den Ball völlig unbedrängt und unkontrolliert von der 16-Meter-Linie halbhoch zu einem Gegenspieler. Der passte im Gegenzug über Kalla hinweg auf den rechten Flügelmann der Paderborner, von dort flog der Ball in den Strafraum und Proschwitz hämmerte den Ball zum 1:0 für den SCP ins Tor. Pünktlich wie die Maurer hatten wir uns einmal mehr in der letzten Minute einer Halbzeit einen einschenken lassen. Solche Abwehrfehler werden in jeder Kreisklasse bestraft.

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