Davids Sohn weiht einen prächtigen Tempel für Gott ein. Zum ersten Mal scheint er einen festen äußerlichen Wohnsitz zu haben. Und trotzdem stellt der weise König Salomo fest: »Der Herr hat gesagt, dass er im Dunkeln wohnen will« (1. Könige 8, 12; ELB).
Doch das Volk wird verschleppt. Gott zieht aus seinem Tempel aus und ein in ein Heiligtum, das Rollen hat. Eine der eindrücklichsten Visionen im Alten Testament ist die »Thronwagenvision« in Hesekiel 1. Die Worte dieser Schriftstelle gelten den Juden als heilig. Gottes Thron hat bewegliche Räder. Er kann einfach überall hinfahren. Selbst ins Exil. Wieder einmal ist das Volk Abrahams heimatlos. Und trotzdem gilt: Gott wohnt nicht in einem Gebäude. Gott geht und rollt seinen Kindern sogar nach.
Wie kommen wir nur auf die Idee, dass Gott an einem bestimmten äußerlichen Ort wohnen würde? Warum gelten Kirchen immer als Heiligtümer? Gott wehrt und wehrt sich und weist auf die große, die andere Heimat hin. Er wohnt bei uns und besonders bei den Heimatlosen. Die Sehnsucht hat ihn dorthin gebracht.
Deshalb bricht der heimatlose Gott noch einmal zu einer Reise auf. Er sehnt sich nach Heimat bei den Menschen.
DIE REISE DES HEIMATLOSEN GOTTES
Jesus, Gott selbst, ist der ewige Nomade. Zumindest äußerlich. Er kommt in seine selbst gemachte Heimat und trotzdem wird sie ihm kein Zuhause geben (Johannes 1, 11). Geboren wird er nicht im Heimatdorf der Eltern (Lukas 2). Kurz nach seiner Geburt müssen seine Eltern fliehen und eine Zeit im Ausland verbringen (Matthäus 2, 13-15). Auch begraben wird er nicht dort, wo er herkommt (Matthäus 27, 57-60). Kein einziges Mal heißt es in den Evangelien: »Jesus ging nach Hause.« Er hat keine äußere Heimat. Er wird sterben für die Sehnsucht, ein Zuhause bei den Menschen zu haben.
Und trotzdem: Jesus weiß, wo er hingehört. Er kennt die andere, die größere, die Herzheimat. Dieses Zuhause durchdringt sein Wesen, sein Sein, seinen Charakter. Das verändert alles. Darum ist er göttlich. Seine Herzheimat ist der Vater selbst (Johannes 17). Und sein Zuhause sind die Menschen – Gefährten –, die mit ihm unterwegs sind. Sie sind seine Heimat (Matthäus 12, 50).
Seine Wurzeln führen ihn in die Ruhe. Er schläft mitten im Sturm auf dem Boot, weil er in sich beheimatet ist (Markus 4, 38). Er lebt aus einem inneren Rhythmus heraus, sucht die Stille (Matthäus 14, 13). Er pflegt sein geistliches Leben (Lukas 9, 19) und feiert die Feste, wie sie fallen (Johannes 2). Er weiß, wohin sein Weg geht, und ist sich seiner Berufung bewusst (zum Beispiel Matthäus 16, 21-23).
Er gibt weiter, was er an Heimat in sich trägt: Er heilt, versorgt, legt den Finger in Wunden, predigt, schenkt Hoffnung. Und weil er Heimat in sich trägt, nämlich Gott selbst, wird er die Weltgeschichte verändern. Er stirbt als Heimatloser, obwohl er das sicherste Vaterland überhaupt hat (Matthäus 27, 46). Auferstehen wird er, um nach Hause zu gehen (Johannes 20, 17). Einen Ort zum Bleiben bietet ihm die Welt nicht.
Jesus trägt ein Geheimnis in sich. Obwohl er äußerlich keine feste Bleibe hat und ihn niemand aufnimmt, ist er tief in sich zu Hause. Er lebt ein Geheimnis, das ich kennenlernen möchte. Auf dieser Suche bin ich.
Das Geheimnis hängt mit dieser Frage zusammen: Wo wohnt Gott? Er hat keine feste, äußerliche Bleibe gefunden. Aber seine Verheißung an die flüchtigen Menschen gilt: Ich bin bei euch. Wie genau soll ich mir das vorstellen?
Wo wird die Sehnsucht des heimatlosen Gottes gestillt? Wo ist sein Rückzugsort? Wo kann er alle Masken fallen lassen? Wo kennt er sich aus? Nehmen wir einmal an, Gott würde beim Nachhausekommen die Jogginghosen anziehen. Gibt es diesen Ort? Wo ist das Wohnzimmer Gottes? Wo wartet er? Wo lebt er? Wo wirkt er? Klar, uns fällt sofort der Himmel ein: golden, prunkvoll, göttlich. Und: weit weg. Aber: Kurz bevor Jesus ermordet wird, verspricht er seinen Gefährten: »Ich will euch nicht als Heimatlose zurücklassen. Ich komme wieder zurück« (nach Johannes 14, 18). Er sagt: »Ich und der Vater werden Wohnung nehmen in euch« (nach Johannes 14, 23b). Die Wahrheit ist einfach, weise und tief.
Gott hat unser Herz dafür gemacht, eine Wohnung zu sein. Gottes Schöpfung, unsere Herzen, wurde dafür geschaffen, Gottes Heimat auf dieser Erde zu sein. Es braucht keine äußerlichen Gebäude. Der heimatlose Gott findet in uns sein Zuhause. Unser Herz, unser Wesen, unser Sein ist Heimat Gottes (Apostelgeschichte 17, 27-28).
Gott ist kein Gast bei uns, sondern Bewohner. Das ist ein Geheimnis. Paulus beschreibt es so: »Diese Botschaft war in der Vergangenheit über viele Jahrhunderte und viele Generationen hinweg wie ein Geheimnis verborgen; jetzt aber wurde es denen enthüllt, die zu ihm gehören. Und das ist das Geheimnis: Christus lebt in euch! Darin liegt eure Hoffnung: Ihr werdet an seiner Herrlichkeit teilhaben« (Kolosser 1, 26-27; eig. Übersetzung).
Es ist wirklich ein Geheimnis. Und es ist ein Umdenken nötig. Denn wenn ich einfach nur »an Gott« glaube, dann könnte er ja außerhalb von mir wohnen. Dann ist er »Gegenüber«. Dann versuche ich zu ihm zu kommen, zu ihm durchzudringen, an ihn heranzutreten. Das haben Menschen jahrtausendelang versucht – und es ist ihnen mal mehr, mal weniger gelungen. Das Geheimnis ist, dass er in uns wohnt. Er ist mir nicht nur nahe, sondern er ist das Tiefste in mir. Er prägt und bestimmt mein Wesen. Er ist mir näher, als ich es mir selbst bin. Das verspricht Jesus (Johannes 20, 21) und er betet sogar dafür (Johannes 17, 11).
Dort, in deinem Herzen, begegnest du dem heimatlosen Gott. Da hat er Heimat gefunden. Er sehnt sich danach, dass du in deinem Herzen genauso zu Hause bist wie er.
Als wir an jenem Tag mit dem Sofa durch die Innenstadt zogen, stieg diese Ahnung in mir hoch. Vielleicht nimmt Gott nicht nur Raum in meiner Herzenswohnung. Gibt es da möglicherweise ein ganzes Land in mir? Ein Land, das Gott bewohnt? Ein Land, in dem ich spazieren gehen kann? Könnte dieses Land nicht meine Herzheimat werden?
Mittlerweile bin ich überzeugt: Gott unternimmt Streifzüge und geht in meinem Herzen spazieren. Dort finden sich unterschiedliche Landschaften: Gärten, Städte, Wüsten, Flüsse. Und er ist überall. Er kennt mein Herz. Es ist sein Vaterland. Vielleicht geht es dann doch um jenes Land, das die ersten Menschen Paradies nannten. Dort, wo Menschen und Gott gemeinsam Heimat gefunden haben. Denn es scheint einen Ort zu geben, an dem ich selbstverständlich mit Gott Gemeinschaft haben kann. Weil er dort wohnt. Mein Herz ist das Vaterland Gottes. Und wie Adam und Eva möchte ich dort mit ihm in der Kühle des Tages spazieren gehen.
Es geht letztlich darum, dass ich einen Weg zu mir selbst finde. Weil dort mein innerstes Zuhause ist. Und Gott dort auf mich wartet. Darin liegt der tiefe Sinn dieser alten Worte: »Nicht mehr ich bin es, der lebt, nein, Christus lebt in mir« (Galater 2, 20; NGÜ).
Und noch mehr: Wenn der Vater selbst in mir zu Hause ist, dann bin ich auch bei ihm zu Hause. Das klingt verrückt. Vielleicht klingt es sogar abwegig. Und trotzdem ist es der tiefste Sinn des Weges mit Gott: Wenn Gott selbst in mir Heimat gefunden hat, dann kann ich auch bei ihm zu Hause sein.
Wer Gott in seinem Herzen begegnet, der ist immer auch Einwohner des Herzens Gottes. Die Bibel nennt es »Himmel«. Wenn Gott in uns wohnt, ist unsere Heimat im Himmel (Philipper 3, 20). Wenn Gott ganz bei und in uns ist, sind wir bei und in Gott. Wir sind also Bürger des Himmels (Epheser 2, 19). Wir sind Teil seiner Familie. Auch Gott trägt eine Herzenslandschaft in sich, die wir entdecken dürfen. Das ist meine Hoffnung. Das ist das Ziel und das Ende meiner Flucht und Suche. Und es ist auch der Anfang. Denn ich entstamme dem Herzen Gottes. Es prägt mich, mein Wesen, meine Identität. Hier erlebe ich Ankommen, Angenommensein, Geliebtsein.
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