«Einverstanden«, antwortete Rahel. «Wir laden ihn an deine Feier ein und prüfen, wie er sich verhält, was er trinkt und wie viel, ob er Kontakt aufnimmt. Er könnte sich ein Bild von unseren kompetenten Politikern machen, in der grossen Gesellschaft fällt er ja nicht weiter auf.»
«Ich lade die Stadträte ein», meinte Dorothea, «und einen Teil der Gemeinderäte, zumindest die der Kommission für Sicherheit.»
«Ich werde diesen Firmin im Auge behalten. Dann habe ich eine Aufgabe und fühle mich nicht einsam.»
Die Aare floss gemächlich unter der Fussgängerbrücke durch, hinter dem Stützpfeiler der Brücke träge Strudel bildend. Dorothea besah die ausladenden Bäume. Eine der alten Eschen war krank, ihre Blätter braun, die Krone bereits kahl. Was für ein trauriger Anblick. Jeden Sturm hatte sie überstanden, jede Sommerhitze, nun erlag sie diesem aus Ostasien eingeschleppten Pilz. Ihre beschwingt-sommerliche Stimmung verflog.
Die Wohnung lag am gegenüberliegenden Hang, im zweiten Haus einer Reihe dreistöckiger Herrenhäuser, die nach und nach abgerissen und durch kubische Betonbauten ersetzt wurden. Sie dachte an die Vorbereitungen für das Fest im September, und sie dachte an Rahel, die sich ihr Leben zurückeroberte, nach den schlimmen Jahren in Freiburg, den Panikattacken, die vollkommen die Kontrolle über sie gewonnen hatten.
Wäre Rahel eine Landschaft – Dorothea verglich von Berufs wegen gerne Menschen mit Landschaften, Gerüchen und Witterungen –, sie wäre ein Waldrand, der in eine steinige, wilde Wiese ausläuft. Ein Geruch von Rosmarin, getrocknetem Gras und Walderde, dazu eine Note Fuchsbau für die Schärfe. Eine Landschaft an der Grenze, von Stürmen gezeichnet, widerständig und lebhaft.
«Wo bist du denn so lange gewesen?» Otto sah zu seiner Frau hoch, während er einen Apfel schälte.
«Bei Rahel.»
Otto tat, als wähle er die nächste Frucht aus.
Dorothea rückte wortlos die Gartenbank auf dem Sitzplatz zurecht.
«Geht es ihr gut?»
«Durchaus. In den Ferien fahren sie auf eine niederländische Insel namens Ameland. In ein Haus mit Strohdach, mitten in den Dünen, es soll traumhaft sein. Sie freut sich auf die Wellen der Nordsee, die Wanderungen im Wattenmeer, auf das fliessende Licht des Nordens. Und vor allem auf die gemeinsame Zeit als Familie – sie sagt, sie würde am liebsten dortbleiben.»
«Aber das macht sie nicht.»
«Du hast auch nie getan, was gut für dich gewesen wäre.»
«Ich lebe in der Gegenwart, früher interessiert mich nicht», erwiderte Otto gereizt. «Sind die Einladungen für das Fest nun endlich fertig?»
«Wir haben sie gestern zusammen angeschaut, mein Lieber. Hast du es vergessen?»
«Natürlich erinnere ich mich.» Er wischte mit seiner grossen, weichen Hand über die Augen. «Ganz gewiss! Es ist eine sehr schöne Karte. Mit Tiger.»
«Löwe», korrigierte Dorothea und fuhr ihm über das schüttere Haar. Ihr war, als übertrage sich seine schwindende Energie auf ihre Hand. Wie eine Insel in einem steigenden Meer, dachte sie, deren Ufer durchweicht werden, deren grüne Ebenen allmählich von Wellen überrollt werden, die Salzlachen und verschlicktes Land hinterlassen. Der instabile Grund zieht alles in die Tiefe: Erinnerungen und Menschen, Strände und Inseln. Sein Vater war ein Mann des Meeres und der Gezeiten gewesen, auch Otto blieb dem Wasser verbunden – vielleicht ist es seine Art, von dieser Welt zu gehen.
«Die Äpfel sind bereit!» Ottos Stimme unterbrach ihre Gedanken. «Ich bringe sie in die Küche, den Kuchen backe ich gleich selbst, wenn es Madame recht ist.»
Er zwinkerte, als er die Schüssel an ihr vorbeitrug. Kurz darauf erschien er mit einem Putzlappen und reinigte die Arbeitsfläche von Saftspritzern, Schalenstückchen und herumliegenden Kernen.
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